RECHT UND KAPITALMARKT

Gibt es eine Anwesenheitspflicht für Vorstände vor Gericht?

Aufforderung zum persönlichen Erscheinen sollten Manager nicht ignorieren

Gibt es eine Anwesenheitspflicht für Vorstände vor Gericht?

Von Christoph Baus und Stefan Patzer *)Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einer bemerkenswerten Entscheidung ein Ordnungsgeld gegen ein Versicherungsunternehmen verhängt, weil trotz einer “Anordnung des persönlichen Erscheinens” nach § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) weder ein Mitglied des Vorstands noch ein ermächtigter Vertreter in der mündlichen Verhandlung erschienen war. Nach Auffassung des Gerichts hat das Nichterscheinen eine gütliche Einigung behindert.So hatte der Senat bereits vier Monate vor dem Termin eine Hinweisverfügung erlassen, die Grundlage eines Güteversuchs sein sollte. Im Termin erschien für das Versicherungsunternehmen allerdings nur ein Unterbevollmächtigter. Dieser schloss widerruflich den vom Senat vorgeschlagenen Vergleich ab. Der Hauptbevollmächtigte widerrief diesen später ohne nähere Begründung. Schließlich einigte man sich mit dem Versicherungsnehmer auf einen niedrigeren Vergleichsbetrag. Ordnungsgeld Nach Vergleichsschluss verhängte das OLG Karlsruhe ein Ordnungsgeld gegen das Unternehmen. Es bemängelte die Missachtung der Anordnung des persönlichen Erscheinens und entschied, dass es “dem Rechtsfrieden [diene], wenn die verschiedenen Beteiligten […] die wechselseitigen Argumente und Standpunkte kennenlernen und verstehen”. Anderenfalls komme es zu einem Kommunikationsproblem: “Wenn der maßgebliche Entscheidungsträger des Versicherungsunternehmens und der Hauptbevollmächtigte an einer mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Informationsweitergabe durch den Unterbevollmächtigten nicht ausreicht, um den zuständigen Entscheidungsträger des Versicherungsunternehmens vollständig über die Erörterungen im Termin zu informieren” (OLG Karlsruhe, VersR 2019, 899, 901). Dass sich die Parteien letztlich doch auf einen Vergleich verständigt haben, ändere daran nichts.Das Gesetz erlaubt den Gerichten, das persönliche Erscheinen aus zwei Gründen anzuordnen: erstens gemäß § 141 ZPO zur Sachaufklärung und zweitens gemäß § 278 ZPO zur Durchführung eines Güteversuchs. Im ErmessenDie Entscheidung, eine Partei persönlich zu laden, steht im Ermessen des Gerichts. Der Bundesgerichtshof hat die Anforderungen an die Ermessensausübung – insbesondere im Hinblick auf das Festsetzen eines Ordnungsgeldes – aber klar konturiert. Demnach besteht der Zweck der Vorschrift allein darin, die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, und nicht eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu sanktionieren. Das Gericht darf bei Ausbleiben der Partei nur ein Ordnungsgeld festsetzen, wenn das Ausbleiben die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert (BGH NJW-RR 2007, 1364 Tz. 16).In den meisten Fällen wird die Geschäftsleitung daher einen Vertreter entsenden können. Das Gesetz erlaubt dies, sofern der Vertreter in gleichem Maße wie die Partei bei der Aufklärung des Sachverhalts unterstützen kann und zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt ist. Besondere Vorsicht ist indes geboten, wenn der Anwalt selbst als ermächtigter Vertreter agieren soll.Durch die Prozessvollmacht ist er im Außenverhältnis zwar regelmäßig zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt, für eine wirksame Vertretung im Sinne von § 141 ZPO muss er aber den gleichen Kenntnisstand besitzen wie die von ihm vertretene Partei (BGH NJW-RR 2007, 1 364 Tz. 7).Im hier diskutierten Fall hatte das OLG Karlsruhe das persönliche Erscheinen allerdings nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts, sondern primär zur Ermöglichung eines Güteversuchs angeordnet. Klar ist, dass das Unternehmen auch hier einen Vertreter entsenden kann. Die überwiegende Auffassung verlangt allerdings, dass der Vertreter in der Lage ist, einen unwiderruflichen Vergleich zu schließen. Das OLG Karlsruhe formuliert nun sogar noch weitergehende Anforderungen und verlangt, dass die Geschäftsleitung mindestens den im Unternehmen zuständigen Entscheidungsträger entsendet. Es diene dem Rechtsfrieden, wenn dieser sich “in einer für die Gegenseite und für das Gericht erkennbaren Weise persönlich mit dem Gegenstand des Verfahrens befasse und an der Erörterung im Verhandlungstermin beteilige”. Besonderer FallEs spricht viel dafür, dass für das OLG Karlsruhe die besonderen Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend waren, ein Ordnungsgeld festzusetzen. Die Begründung des Senats legt zudem nahe, dass er die Prozessführung des Versicherungsunternehmens auch im Übrigen als respektlos angesehen hat. Es ist daher zweifelhaft, ob die Entscheidung weitreichende Folgen für die Praxis haben wird. Sie ist allerdings ein Musterbeispiel dafür, dass man ein vom Gericht angeordnetes persönliches Erscheinen niemals einfach ignorieren sollte. Und zwar selbst dann nicht, wenn – wie im besprochenen Fall – der eigene Anwalt dazu geraten hat, dass ein persönliches Erscheinen nicht erforderlich ist. *) Dr. Christoph Baus ist Partner und Chair des deutschen Litigation & Trial Department von Latham & Watkins, Stefan Patzer Associate der Kanzlei.