AUS DER KAPITALMARKTFORSCHUNG

Goodwill-Bilanzierung und Impairment-only-Ansatz

Managementkontrolle oder Instrument der Bilanzpolitik?

Goodwill-Bilanzierung und Impairment-only-Ansatz

Von Hans-Joachim Böcking, Marius Gros und Sebastian KochVor über zehn Jahren wurde durch das IASB die Praxis, einen entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) planmäßig abzuschreiben, aufgegeben und stattdessen die mindestens jährliche Überprüfung von dessen Werthaltigkeit vorgeschrieben (Impairment-only-Ansatz nach IAS 36; dieser findet sich in den USA seit 2001 in SFAS 142). Dies geschah mit dem Ziel, die gezahlten Übernahmeprämien z. B. für Synergieeffekte sowie den Akquisitionserfolg transparent zu machen und eine Managementkontrolle zu ermöglichen. Überdies argumentierte der Standardsetter, die Nutzungsdauer von Geschäfts- oder Firmenwerten sowie deren Nutzungsverlauf seien weder vorhersehbar, noch liefere eine planmäßige Abschreibung entscheidungsnützliche Informationen. Der neu eingeführte jährliche Werthaltigkeitstest könne hingegen solche entscheidungsnützlichen Informationen generieren und stehe somit im Einklang mit der Ausrichtung der IFRS auf die Kapitalmarktinformation. IFRS-Abschlüsse dienen weder der Ausschüttungs- noch der Steuerbemessung. Konzeptionell überlegenDer Impairment-only-Ansatz nach IAS 36 sieht zur Werthaltigkeitsüberprüfung vor, den Buchwert einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit einschließlich des zugeordneten Geschäfts- oder Firmenwerts mit ihrem erzielbaren Betrag zu vergleichen (Impairment-Test). Ist der erzielbare Betrag niedriger als der Buchwert, ist auf diesen abzuschreiben. Der erzielbare Betrag repräsentiert dabei das Maximum aus dem Nutzungswert bei fortgesetzter Nutzung und dem bei einem hypothetischen Verkauf zu erwartenden Netto-Verkaufserlös (beizulegender Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten). Intendiert wird mit diesem – weitgehend einer planmäßigen Abschreibung als theoretisch überlegen anerkannten – Bewertungskonzept, das Entscheidungskalkül eines rational agierenden Kaufmanns abzubilden.Seit Einführung des Impairment-only-Ansatzes haben die quantitative Bedeutung von Geschäfts- oder Firmenwerten sowie die qualitative Diskussion um deren Bewertung jedoch stetig zugenommen. Zahlreiche Publikationen belegen mit ihren empirischen Auswertungen zunächst einen Anstieg des Anteils der Geschäfts- oder Firmenwerte an der Bilanzsumme der indexgelisteten Unternehmen in Deutschland (siehe Abbildung). ErmessensspielräumeKritiker der derzeitigen Regelungen, darunter nationale und internationale Enforcement-Institutionen, Standardsetter, Regulierer sowie einige Wissenschaftler, führen dies unter anderem auf fehlende bzw. zu geringe Abschreibungen von einst gezahlten Geschäfts- oder Firmenwerten zurück und vermuten dahinter regelmäßig opportunistisches Managementverhalten. Ermöglicht werde dieses opportunistische Verhalten insbesondere durch die Ausgestaltung des Wertminderungstests.Den Kritikern zufolge eröffnet dieses Bewertungskonzept dem Management zu viele Ermessensspielräume, da sowohl für die Berechnung des Nutzungswerts als auch des beizulegenden Zeitwerts abzüglich Veräußerungskosten regelmäßig Discounted-Cash-flow-Verfahren angewendet werden, die viele Annahmen erfordern und gewissen Subjektivitäten unterliegen. Insofern betreffen die derzeit im Rahmen der Unternehmensbewertung infolge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geführten Diskussionen um die Marktrisikoprämie und den risikofreien Zins auch den Wertminderungstest. Aufgrund der immanenten Ermessensspielräume verweisen Kritiker auf mögliche Bilanzpolitik in großem Ausmaß sowie auf nach deren Dafürhalten insgesamt zu geringe und zu späte Wertberichtigungen des Geschäfts- oder Firmenwerts. Unterstützt sehen sie ihre Argumentation durch die von der DPR im Rahmen des Enforcement festgestellte Fehleranfälligkeit der Goodwill-Bilanzierung. Der Impairment-only-Ansatz würde insofern seinem Ziel nicht gerecht, eine Managementkontrolle zu ermöglichen und entscheidungsnützliche Informationen zu liefern. Neben der Durchführung des Wertminderungstests selbst sind darüber hinaus auch regelmäßig die dazugehörigen Anhangangaben und somit die Transparenz in der Kritik. Die getroffenen Annahmen seien für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar. Diese Kritikpunkte veranlassen einige Kritiker dazu, die Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung des Goodwill zu fordern. IASB überprüft RegelungenIn Anbetracht der kritischen Diskussionen und teils erheblichen Kritik stellt auch das IASB den Impairment-only-Ansatz auf den Prüfstand. So hat Hans Hoogervorst, Vorsitzender des IASB, bereits 2012 in einer Rede angemerkt, es habe den Anschein, der Goodwill-Wertminderungstest würde in der Praxis nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt. Die Wertminderungen erfolgten zu spät, da zu beobachten sei, dass der Markt diese bereits zuvor “eingepreist” habe. Im Dezember 2013 startete das IASB den Post-Implementation-Review zu IFRS 3, um die eingeführten Regelungen kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang wurde neben einer Analyse des aktuellen Forschungsstands durch das IASB auch die interessierte Öffentlichkeit zur Stellungnahme aufgerufen. Eine Auswertung von 97 eingegangenen Stellungnahmen durch Stork-Wersborg/Teuteberg/Zülch zeigt erneut die kontroverse Diskussion um den Impairment-only-Ansatz. Während Einsender aus Kontinentaleuropa tendenziell keinen erhöhten Informationsnutzen des Impairment-only-Ansatzes im Vergleich zur planmäßigen Abschreibung sehen, wird dieser von Einsendern aus angloamerikanisch geprägten Ländern positiver gesehen. Eine Änderung der derzeitigen Bilanzierungsvorschriften wird mehrheitlich jedoch nicht vorgeschlagen. Um einen Beitrag zu der aktuellen Diskussion zu liefern, soll im Folgenden ein stark komprimierter Überblick des aktuellen Forschungsstandes erfolgen. Wertrelevanz des GoodwillEmpirische Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, ob der Impairment-only-Ansatz entscheidungsnützliche Informationen liefert, untersuchen oftmals die Wertrelevanz des Geschäfts- oder Firmenwerts bzw. dessen Wertminderungen für den Kapitalmarkt. Hierzu analysieren Wertrelevanzstudien regelmäßig den Zusammenhang zwischen Goodwill-Wertminderungen und dem Aktienkurs bzw. dem Marktwert des Eigenkapitals, wobei die statistischen Modelle auch weitere Einflussfaktoren bzw. Kontrollvariablen berücksichtigen. Die Ergebnisse der Studien weisen darauf hin, dass Goodwill-Wertminderungen, wie der Theorie nach zu vermuten, durchaus einen negativen Zusammenhang mit der Bewertung des Unternehmens am Kapitalmarkt aufweisen. Höhere Goodwill-Wertminderungen scheinen grundsätzlich mit niedrigeren Aktienkursen einherzugehen. Daraus lässt sich zunächst ableiten, dass Goodwill-Wertminderungen neue und relevante Informationen für den Kapitalmarkt liefern können. Diese (kurzfristigen) Reaktionen fallen jedoch mitunter sehr gering aus. Vermehrt wird in den Studien auch darauf hingewiesen, dass die Börsenkurse bereits fallen, bevor eine Wertminderung erfasst wird. Dieses Ergebnis wird regelmäßig derart interpretiert, dass Manager Ermessensspielräume opportunistisch nutzen, um Goodwill-Wertminderungen zu verzögern. Allerdings kann dies auch darauf hindeuten, dass der Vergleich von Markt- und Buchwert des Eigenkapitals einen geeigneten Indikator für eine Wertminderung des Geschäfts- oder Firmenwerts darstellt; andernfalls bedarf es Begründungen von Seiten des Managements.Ein ebenfalls häufiger Ansatz der Rechnungswesenforschung ist, die Bilanzierung und deren Würdigung durch den Kapitalmarkt vor und nach Einführung einer Regelung zu untersuchen, um deren Auswirkung messen zu können (Event-Studien). Forschungsarbeiten, die die Wertrelevanz des Geschäfts- oder Firmenwerts vor und nach Einführung des Impairment-only-Ansatzes untersuchen, weisen gemischte Ergebnisse auf, kommen im Gesamtbild jedoch eher zu dem Schluss, die Wertrelevanz sei durch die Neuregelungen gestiegen. Ergebnisse von Event-Studien sollten indes immer mit Vorsicht interpretiert werden, da auch andere gleichzeitig implementierte Neuregelungen oder Veränderungen im Marktumfeld die gemessenen Effekte beeinflussen können und eine Separierung schwierig ist. So wurde parallel zur Einführung des Impairment-only-Ansatzes beispielsweise in den USA auch die “Pooling of interests” Methode bei Unternehmenszusammenschlüssen abgeschafft und in der Europäischen Union zusätzlich die IFRS-Anwendung erstmalig verpflichtend vorgeschrieben. Raum für OpportunismusDie in einigen Wertrelevanzstudien bereits vermutete opportunistische Ausnutzung von Ermessensentscheidungen ist Gegenstand vieler weiterer Arbeiten der empirischen Rechnungswesenforschung, die oftmals Firmen aus verschiedenen Ländern gleichzeitig untersuchen. In der Regel werden unter Anwendung statistischer Modelle die Determinanten von Goodwill-Wertminderungen analysiert. In Frage kommen insbesondere ökonomische Faktoren, Anreize für das Management, Corporate-Governance-Mechanismen sowie länderspezifische Unterschiede in der Durchsetzung der Regelungen (Enforcement). Bei der Untersuchung der Ausübung von Ermessensspielräumen muss insbesondere beachtet werden, dass es neben Anreizen, möglichst geringe Goodwill-Wertminderungen vorzunehmen, auch Situationen gibt, in denen das Management Anreize hat, möglichst hohe Goodwill-Wertminderungen zu verbuchen. Anreize, wenig abzuschreiben, können insbesondere bestehen, wenn rechnungslegungsbezogene Bonussysteme Bestandteil der Managementvergütung sind, durch Reputationserwägungen des Managements die Verletzung von Nebenabreden in Kreditverträgen (Covenants) vermieden oder auch bestimmte Gewinnziele erreicht werden sollen, um beispielsweise die Erwartungen von Analysten zu erreichen bzw. zu überbieten. Für ein neues Management kann hingegen ein Anreiz bestehen, hohe Goodwill-Wertminderungen vorzunehmen, da es für die vergangenen M & A-Transaktionen nicht verantwortlich ist und zukünftiges Abschreibungspotenzial mindern kann (“clear the decks”). Ein weiterer Anreiz, hohe Goodwill-Wertminderungen vorzunehmen, kann vorliegen, wenn bereits vor der Erfassung der Wertminderung feststeht, dass das Jahresergebnis beispielsweise im Vergleich zur Branche oder zu den Vorjahren schlecht ausfallen wird. Eine Wertminderung verschlechtert zwar das aktuelle Jahresergebnis weiter, das Abschreibungspotenzial für künftige Perioden wird jedoch reduziert und somit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass künftige Jahresergebnisse (c. p.) besser ausfallen (“big bath accounting”). Umgekehrt kann aber auch ein ungewöhnlich gutes Jahresergebnis Anreize bieten, hohe Goodwill-Wertminderungen zu erfassen. Dadurch kann die Volatilität der Jahresergebnisse verringert und somit deren Prognostizierbarkeit verbessert werden. Zugleich wird in wirtschaftlich guten Zeiten zukünftiges Abschreibungspotenzial abgebaut (“income smoothing”). Verschiedene empirische Studien zeigen regelmäßig signifikante Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Anreizen des Managements und der Erfassung bzw. der Höhe von Goodwill-Wertminderungen. Die Ergebnisse deuten somit darauf hin, dass die Ermessensspielräume des Impairment-only-Ansatzes opportunistisch genutzt werden können. Wirksame MechanismenEin der Theorie nach geeigneter Weg zur Einschränkung opportunistischen Verhaltens sind wirksame Governance-Mechanismen. Forschungsarbeiten, die versuchen, diesen Zusammenhang empirisch nachzuweisen, müssen aufgrund der nicht direkt beobachtbaren Qualität von Governance-Mechanismen Surrogate verwenden. Solche Surrogate sind beispielsweise der Anteil des Aktienbesitzes von Blockholdern oder des Managements, der Anteil unabhängiger und/oder über Finanzkompetenz verfügender Board- bzw. Prüfungsausschussmitglieder oder auch die Stärke bzw. Qualität des Enforcement-Systems eines Landes. Grundsätzlich können diese Studien einen Zusammenhang verschiedener solcher Surrogate mit der Erfassung von Wertminderungen bzw. der Zeitnähe der Informationsvermittlung aufzeigen und interpretieren dies als Anzeichen, dass Governance-Mechanismen in der Lage sind, die opportunistische Ausnutzung von Ermessensspielräumen einzuschränken. Diese Ergebnisse sind jedoch aus verschiedenen Gründen mit Vorsicht zu interpretieren. Zunächst sind die verwendeten Surrogate nicht unumstritten. Beispielsweise vereinfacht das Herunterbrechen der Stärke bzw. Qualität eines Enforcement-Systems auf eine für das statistische Modell nutzbare Zahl die zugrunde liegenden Mechanismen sehr stark. Weiter ist zu beachten, dass die meisten Studien in Ländern mit dem international weit verbreiteten monistischen System der Unternehmensführung durchgeführt wurden, woraus sich Fragen der Generalisierbarkeit ergeben. Darüber hinaus können unter Umständen die Kontrolleure selbst ähnlichen Anreizstrukturen wie das Management unterliegen. Dies kann z. B. auftreten, wenn die Kontrolleure in vorherige Entscheidungen eingebunden waren oder erfolgsabhängig vergütet werden. Mangelnde TransparenzEin weiterer Ansatz, die opportunistische Ausnutzung von Ermessensspielräumen einzuschränken, ist die Schaffung von Transparenz. So müssen Unternehmen insbesondere die wesentlichen Elemente der Ermittlung des erzielbaren Betrags im Anhang angeben. Hinsichtlich der Umsetzung dieser Regelungen in der Praxis stellt die ESMA in einem Bericht von 2013 fest, dass die Anhangangaben zum Wertminderungstest des Geschäfts- oder Firmenwerts regelmäßig zwar grundsätzlich vorhanden sind, jedoch häufig aus Standardformulierungen bestehen und wenig unternehmensspezifische Informationen enthalten. Auf Basis solcher unspezifischer Angaben sei es nicht möglich, die getroffenen Annahmen und somit die Verlässlichkeit des durchgeführten Wertminderungstests zu beurteilen. Die vorliegenden wissenschaftlichen Studien bestätigen in der Regel eine schwache Qualität der Anhangangaben oder zeigen sogar eine Nichteinhaltung der IFRS-Vorgaben. Fazit und AusblickIn der Gesamtschau scheinen die wissenschaftlichen Befunde von Wertrelevanz- bzw. Event-Studien die konzeptionelle Überlegenheit des Impairment-only-Ansatzes gegenüber der planmäßigen Abschreibung zu belegen. Der Impairment-only-Ansatz scheint den Zweck der IFRS-Rechnungslegung, entscheidungsnützliche Informationen zu vermitteln, zu fördern. Gleichwohl bestätigen die wissenschaftlichen Befunde aber auch, dass bestehende Ermessensspielräume opportunistisch genutzt werden können, Governance-Mechanismen jedoch geeignet scheinen, diesem Verhalten entgegenzuwirken.Vor diesem Hintergrund sollte der Impairment-only-Ansatz grundsätzlich beibehalten werden, und es sollten allenfalls partielle Anpassungen bzw. Konkretisierungen der Anforderungen an den Wertminderungstest und dessen Transparenz erwogen und somit die Durchsetzbarkeit (Enforceability) verbessert werden. Dies steht grundsätzlich im Einklang mit den vom IASB jüngst veröffentlichten Ergebnissen der Post-Implementation-Review zu IFRS 3. Eine Rückkehr zur planmäßigen Abschreibung aus vorrangig pragmatischen Gründen ist abzulehnen.Vielmehr ist dafür Sorge zu tragen, die opportunistische Nutzung von Ermessensspielräumen möglichst einzudämmen. Hierzu bietet sich eine Stärkung bzw. konsequente Anwendung von Governance-Mechanismen an. Aufsichtsräte sind gefordert, da sie regelmäßig über die Soll/Ist-Abweichungen von Investitions- bzw. Unternehmensstrategien gemäß § 90 AktG vom Vorstand informiert werden müssen. Diese “Follow-up”-Berichterstattung dient dem Zweck, die Prognosefähigkeit des Vorstands beurteilen zu können. Auch könnte die verpflichtende Berufung eines zweiten Financial Expert in den Prüfungsausschuss erwogen werden. Zudem würde eine Mitgliedschaft des Prüfungsausschussvorsitzenden im Investitions- bzw. Strategieausschuss die Investitionsnachschau im Sinne eines Projektcontrollings und somit die Beurteilung des Wertminderungstests erleichtern.—-Literaturhinweis: Der Artikel entstand auf Basis des folgenden Beitrags: Böcking, H.-J., Gros, M., Koch, S. (2015): Goodwill-Bilanzierung in der Diskussion – Erkenntnisse der empirischen Rechnungslegungsforschung zum Impairment-Only-Ansatz, erscheint in “Der Konzern”.