RECHT UND KAPITALMARKT

Großer Wurf im Sanierungsrecht

Modularer Instrumentenkoffer - Insolvenzantrag nicht mehr zwingend - Geschäftsführer im Spannungsfeld - Standort wird gestärkt

Großer Wurf im Sanierungsrecht

Von Volker Böhm *)Mit einem neuen Restrukturierungsgesetz sollen sich Unternehmen bereits zum Jahreswechsel einfacher als bislang und ohne Insolvenzverfahren finanziell restrukturieren können. Der vorliegende Referentenentwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts zeigt, wie das gelingen soll. Der Name ist Programm: Kaum jemand hatte ein Gesetz mit einem solchen Umfang erwartet. Das Justizministerium wagt den großen Wurf: Es greift nicht nur Kritikpunkte am bisherigen Insolvenzrecht auf und erhöht die Eingangsvoraussetzungen für Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren. Zudem soll die Sanierung von Konzernen erleichtert werden, indem mittels Insolvenzplan künftig in die Sicherheiten eingegriffen werden kann, welche nicht insolvente Konzerngesellschaften gewährt haben. Darüber hinaus soll – auch coronabedingt – so schnell wie möglich die EU-Richtlinie für die Einführung des neuen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens umgesetzt werden, die ursprünglich erst für Mitte 2021 geplant war. Scheitern an EgoismenIm Mittelpunkt des Referentenentwurfs steht ein Restrukturierungsgesetz, mit dem sich Unternehmen in einer Krise schnell in einem nicht öffentlichen Verfahren finanzwirtschaftlich sanieren können. Ein solches Verfahren wurde hierzulande von vielen Sanierungsberatern schon seit Längerem für notwendig erachtet. Andernfalls würden wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen in außergerichtlichen Sanierungen aufgrund des Konsensualprinzips zu häufig an den Egoismen einzelner obstruierender Gläubiger scheitern.Mit dem neuen Restrukturierungsgesetz erhalten Sanierer neben dem Regelinsolvenzverfahren, der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren nun einen Instrumentenkoffer, aus dem sie situationsbedingt einzelne Maßnahmen auswählen und einsetzen können. Mit dem Restrukturierungsplan, der Kernstück des Gesetzes ist, kann in die Fälligkeit oder die Höhe bestehender Forderungen eingegriffen werden – aber auch ein Eingriff in Sicherungsrechte ist möglich. Die Unternehmen können dabei bestimmte Gläubigergruppen ausnehmen und sich beispielsweise nur auf die Restrukturierung der Forderungen der Kreditgläubiger beschränken. In Arbeitnehmerrechte kann aber nicht eingegriffen werden. Entschieden wird nach dem Mehrheitsprinzip, und zwar mit Geltung für alle betroffenen – auch die nicht zustimmenden – Gläubiger.Ein solcher Sanierungsvergleich stand Unternehmen grundsätzlich bereits mit dem Insolvenzplan im Eigenverwaltungsverfahren zur Verfügung. Allerdings ist auch in der Eigenverwaltung ein Insolvenzantrag zu stellen – für viele Unternehmer immer noch ein Reputationsverlust und damit der Grund, von diesen Sanierungsinstrumenten (zu) wenig Gebrauch zu machen. Zumindest für eine reine finanzwirtschaftliche Sanierung sieht der Gesetzesentwurf vor, dass ein Insolvenzantrag nicht mehr zwingend erforderlich ist.Nutzen kann dieses Verfahren jeder Unternehmer, der in den nächsten 24 Monaten zahlungsunfähig zu werden droht. Voraussetzung ist, dass er sein Restrukturierungsvorhaben beim zuständigen Gericht an- und den Gläubigern eine realistische Sanierungsperspektive aufzeigt. Gelingt es ihm, die Mehrheit der Gläubiger von seinem Konzept zu überzeugen, kann der Unternehmer den Restrukturierungsplan allgemeinverbindlich erklären lassen, auch gegen den Widerstand Einzelner.Bisher waren ein solcher Vergleich und das Überstimmen einzelner Gläubiger(gruppen) außergerichtlich nicht möglich. Das führte dazu, dass deutsche Unternehmen für ihre Restrukturierung auch auf Verfahren im Ausland gesetzt haben – etwa das englische Scheme of Arrangement. Dies war nicht nur für die Unternehmen im Hinblick auf den Beratungsaufwand sehr kostspielig, sondern auch für die Gläubiger schwierig zu handhaben. Das neue Verfahren stärkt also den Sanierungsstandort Deutschland.Kritisch wird hingegen gesehen, dass nach dem Referentenentwurf Unternehmen in diesem Verfahren künftig bei Gericht beantragen können, dass bestehende Verträge beendet werden. Voraussetzung hierfür: Die Beendigung muss wesentlich für die Sanierung sein und der Vertragspartner muss sich dem Sanierungsversuch entzogen haben. Ist das der Fall, kann das Vertragsverhältnis durch Gerichtsbeschluss beendet und die aus der vorzeitigen Beendigung resultierende Schadensersatzforderung des Vertragspartners in einem Restrukturierungsplan nur mit einer Quote bedacht werden.Diese Option geht Kritikern – etwa aus Vermieterkreisen – zu weit: Betrachtet man den filialisierten Einzelhandel, kann eine vorzeitige Beendigung von ungünstigen Mietverträgen für das Unternehmen zwar enorme Sanierungschancen eröffnen, beim Vermieter jedoch große wirtschaftliche Schäden verursachen. ParadigmenwechselBisher können Verträge nur von einem Insolvenzverwalter oder im Eigenverwaltungsverfahren vom Unternehmen unter Aufsicht eines Sachwalters beendet werden – also nur, wenn über das Unternehmen wegen der materiellen Insolvenz ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Durch die Vorverlagerung sieht mancher Kritiker die Gefahr des Missbrauchs und eine Aufweichung der Rechtssicherheit.Wenn das Gesetz tatsächlich bereits wie geplant zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt, kann das vorinsolvenzliche Verfahren besonders für Unternehmen interessant sein, die unmittelbar (finanziell) unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie leiden. Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat der Gesetzgeber coronageschädigten Unternehmen zwar Luft verschafft. Seit 1. Oktober gilt die Antragspflicht jedoch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit wieder, bei Überschuldung ist das ab dem 1. Januar 2021 der Fall. Mit dem neuen Verfahren erhalten Unternehmen die Möglichkeit, beispielsweise die Rückzahlungsfälligkeiten oder die Höhe von Corona-Finanzhilfen neu zu verhandeln und so eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Der Referentenentwurf sieht aber auch vor, dass Geschäftsleiter zur Krisenfrüherkennung und Sanierung verpflichtet werden. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sollen haften, wenn sie ihre Mandanten bei entsprechenden Anzeichen nicht auf Bestandsrisiken für das Unternehmen aufmerksam gemacht haben. Und es gibt einen Paradigmenwechsel: Geschäftsleiter sollen künftig nicht erst bei eingetretener, sondern bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubiger berücksichtigen und stärker als die Gesellschafterinteressen gewichten.Die Geschäftsleiter stehen somit im Spannungsfeld zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber den Gesellschaftern des Unternehmens und den Interessen der Gläubiger, die ihre Forderungen abgesichert sehen wollen. Dies ist die Kehrseite ihrer künftigen Befugnisse, in Gläubigerrechte eingreifen zu können. Je näher die Zahlungsunfähigkeit rückt, desto mehr intensivieren sich die Pflichten.Grundsätzlich ist das neue Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung. Unternehmen können künftig Widerstände bei Sanierungen überwinden – gerade bei Blockadehaltungen ein legitimes Ziel. Es ist aber zu hoffen, dass die Unternehmen ihre neuen Optionen in dafür geeigneten Fällen einsetzen und nicht dort, wo tiefere auch leistungswirtschaftliche Schnitte notwendig wären. Es besteht jedenfalls die Gefahr, dass insbesondere Kreditgläubiger durch das Verfahren gezwungen werden, die Sanierungen von Unternehmen zu begleiten, an deren Zukunftsfähigkeit sie nicht mehr glauben.Von Geschäftsleitern wird jedenfalls künftig einiges an Sanierungskompetenz gefordert. Und eines ist sicher: Beim Spagat zwischen den Gläubiger- und den Gesellschafterinteressen und der Abwägung der besten Sanierungsoptionen wird erheblicher Beratungs-, Prüfungs- und Dokumentationsaufwand entstehen. *) Volker Böhm ist Partner im Geschäftsbereich Insolvenzverwaltung von Schultze & Braun.