RECHT UND KAPITALMARKT

Grünbuch holt Schattenbanken ans Licht

Diskussion über Risiken sollte für Bestandsaufnahme der "Regulierungsflut" genutzt werden - Konsultation der EU-Kommission

Grünbuch holt Schattenbanken ans Licht

Von Marc Benzler *)Seit Jahren weisen Beobachter auf mögliche Risiken des Schattenbankenwesens für die Finanzmärkte hin. Am 19. März 2012 hat die EU-Kommission ein Grünbuch zu Schattenbanken veröffentlicht. Mit Bezug auf die G 20-Gipfeltreffen in Seoul 2010 und Cannes 2011 sowie auf die Vorarbeiten des Financial Stability Board (FSB) vom Oktober 2011 erläutert die EU-Kommission mögliche Regulierungsansätze und wendet sich mit einer Konsultation, deren Frist zum 1. Juni 2012 abläuft, an interessierte Marktteilnehmer.”Schattenbanken” sind nicht regulierte Kapitalsammelstellen, deren Geschäft im weitesten Sinne mit der üblicherweise von Banken betriebenen Kreditintermediation, also der Aufnahme von Geldern und der anschließenden Ausreichung von Darlehen und ähnlichen Finanzierungen, vergleichbar ist. Typische Vertreter sind Zweckgesellschaften, (Geldmarkt-)Fonds und Finanzierungsunternehmen. Aber auch einzelne Tätigkeiten wie Wertpapierdarlehens- und -pensionsgeschäfte werden dem Schattenbankensektor zugeordnet, und zwar ohne Ansehen der handelnden Akteure. Mit zunehmender Regulierung als Reaktion auf die Finanzkrise ist auch der Bedarf an einer wettbewerbsfähigen Refinanzierung gestiegen. Alternativen zur Kreditintermediation über Banken durch andere Marktteilnehmer wie Schattenbanken können durchaus sinnvoll sein. Der Begriff Schattenbanken war daher von Anfang an mit einem unnötigen Makel behaftet. Kein neues PhänomenSchattenbanken sind kein neues Phänomen: Fonds, Zweckgesellschaften und andere Kapitalsammelstellen sind seit langem aktive Marktteilnehmer und arbeiten auch keineswegs im Verborgenen. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass allenfalls einzelne Vertreter des Schattenbankensektors zum Entstehen der Finanzkrise beigetragen haben. Problematischer war, dass Unternehmen des Finanzsektors häufig die Risiken aus Transaktionen mit Fonds und Zweckgesellschaften nicht ordnungsgemäß erfasst und ausgewiesen haben. Daher müssen Regulierungsvorschläge an den Schnittstellen von (reguliertem) Finanzsektor und Schattenbanken ansetzen. Sehr flexibelSchattenbanken sind überwiegend in nicht bzw. gering regulierten Märkten aktiv, sei es aufgrund einer besonderen Rechtsform oder Tätigkeit, sei es durch Wahl eines weniger regulierten Standortes. Sie sind häufig nur in geringem Maße von einer bestimmten Infrastruktur abhängig und daher sehr flexibel. So erfolgt die Mittelaufnahme überwiegend über die Kapitalmärkte; investierte Gelder sind weder durch eine Einlagensicherung noch durch (staatliche) Garantien geschützt. Mangels gesetzlicher Vorgaben für ein internes Risikomanagement oder besonderer Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen kann der organisatorische Aufwand oft auf ein Minimum begrenzt werden. Zahlreiche Dienstleistungen werden darüber hinaus von Dritten bezogen. Das Ergebnis ist eine geringere Kostenbasis und daher attraktive Konditionen für Kapitalsuchende. Gefährlich können Schattenbanken dann werden, wenn sie aufgrund ihrer Größe und Bedeutung für die Refinanzierung von Unternehmen als systemisch relevant anzusehen sind.Politik und Aufsichtsbehörden haben auf die Finanzkrise mit erheblich restriktiveren Vorschriften reagiert. Das betrifft vornehmlich die Eigenmittel- und Liquiditätsausstattung von Banken, aber auch Vorgaben zur Nutzung einer bestimmten Infrastruktur (etwa Clearing-Zwang für standardisierte Derivate) sowie die Aufsicht über zuvor aufsichtsfreie Unternehmen (insbesondere Manager alternativer Investmentfonds). Eine strengere Regulierung kann einer Aufsicht unterliegende Unternehmen bzw. deren Kunden veranlassen, Geschäfte auf nicht regulierte oder geringer regulierte Unternehmen bzw. ins Ausland zu verlagern. Gleichzeitig steigt die Wettbewerbsfähigkeit von solchen Anbietern, die noch immer durch die Maschen der Aufsicht fallen. Wenn ein solches Verhalten in eine Regulierungsarbitrage mündet, muss die Aufsicht einschreiten. Ansonsten wären die soeben eingeführten strengeren Regelungen weitestgehend wirkungslos. Nationale Maßnahmen im Alleingang stoßen dabei naturgemäß schnell an ihre Grenzen. Daher sind die durch das FSB und jetzt die EU-Kommission veröffentlichten Vorschläge grundsätzlich zu begrüßen.In Deutschland ist das regulatorische Umfeld für Schattenbanken bereits gegenwärtig schwieriger als in vielen anderen Ländern, auch innerhalb der EU. Der öffentliche Vertrieb von Fondsanlagen ist nur eingeschränkt zulässig und wird durch das Vermögensanlagengesetz weiter verschärft. Das deutsche Kreditwesengesetz führt viel schneller zu einer Bankerlaubnispflicht bei der Darlehensvergabe als die Gesetze anderer Staaten (mit den bekannten Ausnahmen, beispielsweise für Vermögensanlagen institutioneller Investoren und für Warenkredite). Auch gelten die deutschen Bankerlaubnisvorschriften für jedermann, dessen Angebot sich zielgerichtet an in Deutschland ansässige Kunden richtet. HandlungsbedarfIm Grünbuch verfolgt die EU-Kommission einen weiten Ansatz zur Regulierung des Schattenbankensektors, indem sie zu dessen Abgrenzung auf die Kreditvergabe durch Nichtbanken abstellt. Trotz möglicher Effizienzsteigerungen und Alternativen zum Bankensektor führen die zahlreichen Risiken (Komplexität, Leverage, regulatorische Arbitrage) zu einem Handlungsbedarf auf europäischer Ebene.Bemerkenswert ist die im Rahmen der Konsultation aufgeworfene Frage, inwieweit solche Entwicklungen sogar gefördert werden sollen. Schattenbanken sind keine homogene Gruppe, sodass auch eine Regulierung differenziert ansetzen muss: Zum einen können Geschäftsbeziehungen zwischen Banken und Schattenbanken strengeren Anforderungen unterliegen (so zum Beispiel der erhöhte Korrelationskoeffizient für Geschäfte von Banken mit Finanzunternehmen nach Basel III), zum anderen können Schattenbanken oder deren Refinanzierungsinstrumente unmittelbar Gegenstand von aufsichtsrechtlichen Normen sein (etwa in Form von Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen).Eine weitere Möglichkeit der indirekten Regulierung wären ein Zwang zur Nutzung einer bestimmten Infrastruktur sowie eine Aufsicht über Unternehmen, deren Dienste Schattenbanken regelmäßig in Anspruch nehmen. Dabei nimmt die EU-Kommission zur Kenntnis, dass zahlreiche Regelungen existieren, die auch Schattenbanken bzw. die durch diese genutzte Infrastruktur betreffen, insbesondere die Regelungen der CRD 2 und 3 zu Verbriefungen sowie die AIFM-Richtlinie.Weiterer Regulierungsbedarf wird in Bezug auf außerbilanzielle Aktivitäten von Banken gesehen. Im Hinblick auf Fonds, insbesondere ETF und Geldmarktfonds, geht die EU-Kommission über systemische Gefahren hinaus und bemüht auch den Schutz von Anlegern. Die Vorschläge zu Wertpapierdarlehens- und -pensionsgeschäften betreffen in erster Linie die Besicherung solcher Geschäfte sowie Einschränkungen in der Verwendung von Sicherheiten für weitere Finanzierungen.Im Einklang mit den Vorschlägen des FSB sieht die EU-Kommission die Erhöhung der Transparenz, um die Risiken des Schattenbankensektors besser zu erfassen, als vorrangiges Ziel an. Sie folgt dabei im Wesentlichen den internationalen Vorgaben, wobei zu Recht die Bedeutung der makroprudenziellen Marktaufsicht betont wird. Als erste Maßnahme ist daher mit erhöhten Anforderungen an beaufsichtigte Institute zur Offenlegung ihrer Aktivitäten zu rechnen. Begleitet werden wird dies von einem steten Informationsfluss zwischen den verschiedenen Aufsichtsbehörden. Sachlicher BeitragBegrüßenswert ist, dass die EU-Kommission mit ihrem Grünbuch einen sehr sachlichen Beitrag zu einem häufig emotional diskutierten Thema geleistet hat. Die Diskussion über die Risiken des Schattenbankensektors sollte für eine Bestandsaufnahme der nach der Finanzkrise über den Finanzsektor ergangenen “Regulierungsflut” genutzt werden. Wenn das Grünbuch darüber hinaus Anlass zum weiteren Nachdenken über wirkungslose oder unsinnige Regelungen bietet, wäre dies ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte.—-*) Dr. Marc Benzler ist Partner im Büro Frankfurt von Clifford Chance.