Haftungsrisiken für Banken im Zahlungsverkehr
Von Thomas Hoffmann *)—- In einem neuen Urteil zu den Rechtsfolgen von Unternehmensinsolvenzen (Urteil vom 26. April 2012 – IX ZR 74/11) erweiterte der Bundesgerichtshof (BGH) die Haftung der Banken – wieder einmal. Riskanter wird jetzt die Ausführung von Zahlungsaufträgen für Unternehmen, denen die Insolvenz droht. Infolge dieser grundlegenden Entscheidung können Insolvenzverwalter nun unter bestimmten Voraussetzungen wählen, ob sie vorinsolvenzliche Zahlungen von dem Leistungsempfänger oder aber von der ausführenden Bank zurückverlangen. Letzteres wird häufig der einfachere und daher auch bevorzugte Weg sein.Dabei waren Banken von dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht einmal direkt betroffen, denn der BGH überprüfte ein Urteil, welches sich mit umstrittenen Zahlungen eines Treuhänders befasste. Doch wie schon in vergleichbaren Fällen zuvor nahmen die Richter die Vorlage dankbar auf und beschäftigten sich im zweiten Teil der Urteilsbegründung mit der Rolle von Banken in ähnlich gelagerten Konstellationen. Im Ergebnis verschärften die Richter wie fast immer in jüngerer Zeit die Haftung der Kreditinstitute.In dem entschiedenen Fall hatte eine Steuerberatersozietät in ihrer Rolle als Treuhänderin eines später insolventen Unternehmens unter anderem mehr als 33 000 Euro für offene Beitragsrückstände bei verschiedenen Krankenkassen sowie Lohnforderungen überwiesen. Das Geld hatte sie zuvor von der späteren Insolvenzschuldnerin als Treuhandvermögen erhalten, mit der Weisung, es bei Fälligkeit für entsprechende Zahlungen zu verwenden. Entgegen der vorinstanzlichen Entscheidung des OLG Hamburg kamen die Richter in Karlsruhe zu dem Ergebnis, dass der Insolvenzverwalter diese Zahlungen nicht nur von den Zahlungsempfängern, sondern auch von der Treuhänderin zurückverlangen kann, obwohl diese wirtschaftlich davon gar nicht profitiert hat. Die Treuhänderin haftete nach Auffassung des BGH, weil sie von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste und mit dem Schuldner zusammenwirkte, um Zahlungen an einzelne Gläubiger noch vermeintlich anfechtungsfest zu ermöglichen. Diese Begünstigung einzelner Gläubiger stellt im Umkehrschluss die anfechtbare Benachteiligung aller übrigen dar.Wenn ein Unternehmen, das vor der Insolvenz steht, nur bestimmte Gläubiger befriedigt und auf diese Weise vorsätzlich die Insolvenzmasse zum Nachteil anderer verkürzt, droht die Vorsatzanfechtung durch den Insolvenzverwalter. Dieser kann in solchen Fällen berechtigte Zahlungen, die der Schuldner noch vor der Insolvenz durchführte, anfechten und zurückverlangen. Nach bisheriger Rechtsprechung musste er sich hierbei aber an den Zahlungsempfänger halten, während Zahlungsmittler, wie Banken und Treuhänder, deswegen keinen Ansprüchen ausgesetzt waren.Die Vorsatzanfechtung birgt besondere Risiken für die ursprünglichen und die neuen Anfechtungsgegner, weil sie bis zu zehn Jahre vor Insolvenzantragstellung zurückreicht. Kein anderer Anfechtungstatbestand umfasst annähernd einen so weiten Zeitraum. Auf den ersten Blick erscheinen dementsprechend auch die Voraussetzungen für eine solche Vorsatzanfechtung sehr hoch. Sie kommt lediglich in Betracht, wenn ein Schuldner vorsätzlich einige seiner Gläubiger benachteiligt, indem er Zahlungen an andere veranlasst. Auch ein Zahlungsmittler muss diesen Vorsatz haben, damit man ihn belangen kann. Doch so hoch diese Hürde auch erscheinen mag, der Benachteiligungsvorsatz wird in der Praxis schnell bejaht. Es reicht nämlich bereits das billigende Inkaufnehmen, dass nicht alle Gläubiger befriedigt werden können. Vorsatz bedeutet also keineswegs, dass es dem Schuldner gerade darauf angekommen sein muss, Gläubiger zu benachteiligen. Vor allem Sanierungsversuche sind gefährlich: Liegt kein schlüssiger Sanierungsplan vor, der die notwendigen Maßnahmen zum Erreichen des angestrebten Sanierungsziels nachvollziehbar darstellt, sondern rettet sich das Unternehmen mit Einzelmaßnahmen von Tag zu Tag und geht dies am Ende schief, ist regelmäßig von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Geschäftsführung auszugehen. Aus diesem Grund fordern vor allem Banken immer ein Sanierungsgutachten eines unabhängigen Dritten, bevor sie sich mit eigenen Sanierungsbeiträgen engagieren.Nach der bisherigen Rechtsprechung mussten nur Zahlungsempfänger mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht geleistete Beträge zurückerstatten, während Treuhänder und Banken, die als Zahlungsmittler fungierten, keinem Anfechtungsrisiko ausgesetzt waren. Die Gerichte fassten deren Rolle grundsätzlich als die reiner Zahlstellen auf, die als Dienstleister selber nicht von der ausgeführten Zahlung profitierten und daher auch nicht für deren Rückerstattung hafteten. Dies trifft auch weiterhin zu, wenn die Zahlungen im Rahmen alltäglicher Geschäftsvorgänge durchgeführt werden und wenn die Bank aufgrund des bestehenden Girovertrages vertraglich verpflichtet ist, die Zahlung auszuführen.Immen wenn aber über die rein technische Dienstleistung hinaus wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen, handelt die Bank nicht mehr als reine Zahlstelle. Nach Auffassung des BGH gibt es viele solcher Fälle, in denen Banken und Insolvenzschuldner kollusiv zusammenwirken. Der Insolvenzverwalter kann darauf mit einer Vorsatzanfechtung reagieren, was für den Zahlungsmittler bedeutet, dass er gegebenenfalls Zahlungen zurückerstatten muss, die bis zu zehn Jahre zurückliegen. Wenn die Bank beispielsweise Lastschriften trotz eines ausgeschöpften Kontokorrentkredits einlöst, statt zurückzugeben, weil damit ein wichtiger Lieferant des Schuldners bei Laune gehalten werden soll, um einen Lieferstopp und damit einen Zusammenbruch des (eigenen) Schuldners zu verhindern, muss sie nun damit rechnen, von einem späteren Insolvenzverwalter in Anspruch genommen zu werden.Ein Trost bleibt dem in Anspruch genommenen Zahlungsmittler: Er kann sich bei dem begünstigten Zahlungsempfänger schadlos halten. Denn auch der BGH erkennt an, dass letztlich der begünstigte Zahlungsempfänger die Anfechtungsfolgen tragen muss. Ob das im Ernstfall wirklich hilft, ist aber ungewiss. Jedenfalls trägt die Bank das Risiko, dass auch der Empfänger zwischenzeitlich insolvent ist.In Krisensituationen ist die vom BGH dargestellte Situation nicht selten. Jedenfalls die Hausbank des Schuldners wird die Krise häufig viel früher als die meisten anderen Gläubiger erkennen. Zahlungen zulasten von Guthabenkonten wird sie unverändert ausführen müssen, denn darauf hat der Kunde ungeachtet seiner eigenen wirtschaftlichen Lage einen Anspruch. Aber darf die Bank nach der neuen Rechtsprechung noch Überziehungen zulassen? Verpflichtet dazu ist sie vertraglich nicht. Noch weitergehend ist die Frage, ob sie sich nicht vielleicht sogar von der bestehenden vertraglichen Verpflichtung zur weiteren Gewährung eines Kontokorrentkredits befreien muss, indem sie sich auf ihr Recht zur Kündigung des Vertragsverhältnisses bei Vermögensverschlechterung beruft, also das Recht zur Kündigung zu einer Pflicht umschlägt. In den allermeisten Fällen würde eine solche Kreditkündigung in der Krise unmittelbar zur Insolvenzantragstellung führen. RechtsunsicherheitDiese Fragen sind bislang nicht explizit geklärt, was die Rechtsunsicherheit beim Umgang mit Krisenunternehmen weiter erhöht. Stellt man sie im Lichte der aktuellen insolvenz- und sanierungsrechtlichen Diskussion, wonach eine Insolvenz möglichst früh eingeleitet werden soll, damit die Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren auch genutzt werden können und nicht mangels ausreichender Masse von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, zeichnet sich ab, in welche Richtung der BGH diese Frage zukünftig beantworten wird. Der Gesetzgeber hatte gerade mit einer tiefgreifenden Insolvenzrechtsreform unter der Überschrift “Erleichterung der Sanierung von Unternehmen” die Sanierungsfunktion des Insolvenzverfahrens gestärkt. Außergerichtliche Sanierungen werden hingegen durch die ausufernde Rechtsprechung zu Anfechtungen als Sanktion für eine zu späte Einleitung des Insolvenzverfahrens immer unattraktiver.—-*) Dr. Thomas Hoffmann ist Partner der Kanzlei Noerr LLP.