Haftungsverlagerung in Unternehmenskäufen
Von Florian Harder und Korel Kaplan *)Die W&I-Versicherung ist ein Versicherungsprodukt, das Risiken aus der Verletzung von Garantien und Freistellungen aus einem Unternehmenskaufvertrag absichert. Es wird in M&A-Verfahren eingesetzt, um das Risiko einer Haftung nach dem Vollzug der Transaktion teilweise oder vollständig auszulagern – vom Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer auf das Verhältnis zwischen Käufer und Versicherung.Aufgrund dieser Haftungsverlagerung können Käufer und Verkäufer regelmäßig auch von der Stellung etwaiger verkäuferseitiger Sicherheiten, etwa in Form einer teuren Bankgarantie oder der teilweisen Einzahlung des Kaufpreises in ein Treuhandkonto, absehen. Ein derartiger “Clean Exit” ermöglicht es dem Verkäufer im Idealfall, sofort nach Vollzug des Kaufvertrages mit der Transaktion abzuschließen, ohne geldwerte Mittel für Risiken zurückhalten zu müssen. Vielfältige VorteileUrsprünglich wurde die W&I-Versicherung in den deutschen Markt durch angelsächsische Finanzinvestoren eingeführt, die darin ein Instrument zur sofortigen Ausschüttung oder Reinvestition der Erlöse aus dem Verkauf eines Unternehmens erkannt haben. Mittlerweile hat es dieses Produkt von der Nische in den Mainstream geschafft und erfreut sich zunehmender Beliebtheit bei einer breiten Schicht von Marktteilnehmern. Dazu gehören deutsche Konzerne wie auch immer häufiger chinesische Investoren, die für Investments in Deutschland auf den jungen W&I-Versicherungsmarkt in China zurückgreifen.Die Ursachen für die zunehmende Beliebtheit dieses Versicherungsprodukts sind vielfältig. Die kommerziellen Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren für Versicherungsnehmer erheblich gebessert. Die Prämie einer W&I-Police ist von mehr als 3 % auf nunmehr nur noch etwa 0,8 bis 1,5 % der Deckungssumme gesunken. Die Deckungssumme, die den Versicherungsschutz volumenmäßig bestimmt, entspricht dabei, je nach Präferenzen des Versicherungsnehmers, einem Betrag zwischen 10 und 30 % des Unternehmenswertes. Auch vom Erwerber goutiertEin entscheidender Treiber ist ferner der Umstand, dass neben Finanzinvestoren auch deutsche Konzerne und Familienunternehmen verkäuferseitig immer häufiger auf den Abschluss einer käuferseitigen Police hinwirken, um einen Clean Exit zu erreichen oder aber zumindest ihre Risiken aus der Transaktion erheblich einzuschränken. Sie haben erkannt, dass sie in kompetitiven Bieterverfahren den Einsatz einer W&I-Police diktieren können. Somit setzt sich die W&I-Versicherung auch als ein Risikobegrenzungsinstrument deutscher Konzerne durch.Die W&I-Versicherung findet zudem zunehmend auch käuferseitig Akzeptanz, weil der Verkäufer aufgrund des weitgehenden Ausschlusses seiner Haftung regelmäßig einem umfangreichen Garantiekatalog zustimmt. Zwar flammen die Verhandlungen über den Gewährleistungskatalog dann wiederum im Verhältnis zwischen Käufer und Versicherung auf, da die Versicherung die abgegebenen Garantien kritisch prüft und im Rahmen der Police abschwächt. Allerdings kann dieser Prozess von den Verhandlungen der eigentlichen Transaktion ausgegliedert und somit in einem separaten Workstream parallel verhandelt werden, ohne zu einer Engstelle der Gesamttransaktion zu mutieren.Darüber hinaus hat die Versicherungslösung den Charme, dass die Parteien im Falle einer Garantieverletzung sich nicht miteinander streiten müssen. Ansprüche des Käufers richten sich vielmehr gegen die Versicherung. Dieser Aspekt ist besonders dann relevant, wenn die Parteien über die Transaktion hinaus kommerzielle Beziehungen unterhalten oder gerade aufgrund der Transaktion, beispielsweise im Falle eines Carve-outs aus einem Konzern, derartige Beziehungen eingehen. Die Police kann durch die Verlagerung der Haftungsansprüche auf die Ebene zwischen dem Käufer und der Versicherung den Frieden zwischen den Geschäftspartnern wahren.Die Versicherungen sind grundsätzlich nur dazu bereit, unbekannte Risiken aus dem Kaufvertrag abzudecken, die trotz einer umfangreichen Due Diligence des Zielunternehmens unerkannt geblieben sind. Sie legen daher besonderen Wert auf eine vollumfängliche Due Diligence, die die Wahrscheinlichkeit unerkannt gebliebener Risiken weitgehend reduziert und nehmen jede Einschränkung der Due Diligence zum Anlass, den Umfang des Schutzes unter der Versicherungspolice entsprechend einzuschränken. Die Due Diligence sollte daher gerade bei Anwendung der Versicherungslösung umfangreich durchgeführt werden.Diese Anforderung stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar, weil Verkäufer bei besonders kompetitiven Auktionsverfahren häufig nicht nur die W&I-Versicherung diktieren, sondern auch die Due Diligence stiefmütterlich behandeln, indem sie einen nur mäßig befüllten Datenraum zur Verfügung stellen und sich auf keinen oder einen nur unzureichenden Q&A-Prozess einlassen. In einem solchen Szenario ist eine vom Schutzumfang her adäquate Versicherungslösung weitgehend ausgeschlossen, so dass der Käufer abwägen muss, ob die kommerziellen Chancen der Transaktion die Risiken eines eingeschränkten Schutzes wert sind.Um die Risiken abzumildern, kann in derartigen Konstellationen erwogen werden, die Police erst nach der Unterzeichnung des Kaufvertrages (Signing), aber noch vor dessen Vollzug (Closing), abzuschließen. Vertragliche Schutzmechanismen sollten dann gewährleisten, dass eine Due Diligence zumindest nach Unterzeichnung des Kaufvertrages durch den Verkäufer umfangreich ermöglicht wird, damit etwaige Lücken im Schutzumfang der Police vermieden werden können. Ferner sollte das Vertragswerk noch Raum für die sachgemäße Behandlung identifizierter Risiken lassen, da diese vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein werden. Risiken präzise abgrenzenDie Versicherungslösung erfordert auch von Due-Diligence-Dienstleistern besondere Sorgfalt. In der Praxis kommen in den Due-Diligence-Berichten häufig standardmäßige Risikobeschreibungen und Handlungsempfehlungen vor, die nicht auf belastbaren Erkenntnissen aus der konkreten Due Diligence beruhen. Dies kann dazu führen, dass Schein- oder Pauschalrisiken den Haftungsumfang der Police unnötig beschränken. Daher sollte darauf geachtet werden, dass Risiken äußerst präzise identifiziert und abgegrenzt werden.Keinesfalls garantiert ist, dass die W&I-Versicherung ihren Siegeszug auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Die Entwicklung hin von einem Verkäufermarkt in einen ausgeglichenen Markt könnte die verkäuferseitige Durchsetzungskraft verringern, so dass Käufer sich auf die Versicherungslösung zumindest nicht kompromisslos einlassen.Ausschlaggebend wird auch die Fortentwicklung des Produkts sein. Abschreckend wirken derzeit vor allem die pauschalen Ausschlüsse, welche die Versicherungen für bestimmte Bereiche kompromisslos durchzusetzen versuchen, so dass für diese überhaupt kein Schutz unter der Police gegeben ist. Dazu gehören immer häufiger Haftungsrisiken aus den Bereichen Umwelt, Compliance, Cyber Security oder Datenschutz – alles Bereiche, die bei M&A-Transaktionen für den Käufer entscheidend sind oder zunehmend an Bedeutung gewinnen. Eine ausgeglichenere Vorgehensweise, die den Schutz nicht gänzlich verwehrt, sondern volumenmäßig einschränkt, würde den Mehrwert der Versicherungslösung nachhaltig unterstreichen. Ergänzungen erforderlichDarüber hinaus muss die W&I-Versicherung derzeit regelmäßig mit weiteren Versicherungsprodukten ergänzt werden, damit ein umfangreicher Schutz des Käufers gewährleistet ist. Hierzu zählen Rechtstitelversicherungen, die einen Versicherungsschutz für das Risiko des fehlenden Eigentums des Verkäufers am Kaufgegenstand mit einer Deckungssumme in Höhe des Kaufpreises ermöglichen sowie diverse Spezialprodukte, die positiv identifizierte Risiken, beispielsweise Rechtsstreitigkeiten oder Steuerrisiken, abdecken. Eine Integration dieser Elemente in das Produkt W&I-Versicherung würde eine einheitliche, konsistente und vollständige Lösung für den Umgang mit Haftungsrisiken aus einem Unternehmenskaufvertrag ermöglichen. *) Dr. Florian Harder ist Partner, Korel Kaplan ist Managing Associate im Münchner Büro von Linklaters.