RECHT UND KAPITALMARKT

Harte Linie gegen Cum-Ex-Transaktionen

Finanzgericht darf nicht als Ersatzgesetzgeber die Aktionäre für Mängel im System der Steueranrechnung haften lassen

Harte Linie gegen Cum-Ex-Transaktionen

Von Florian Lechner *)Die Hessische Finanzverwaltung, die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Finanzgericht (FG) Hessen (Beschluss vom 8.10.2012, AZ. 4 V 1661 /11) gehen seit kurzem rigide gegen Transaktionen vor, bei denen die Aktien über den Dividendenstichtag mit Dividendenanspruch (schuldrechtlich) erworben, aber ohne Dividendenanspruch einige Tage später geliefert werden (sog. Cum-Ex-Geschäfte).Es wird bei außerbörslichen Erwerben von einem ausländischen Leerverkäufer nicht nur die Quellensteueranrechnung versagt, sondern den Beteiligten mit dem Vorwurf arglistigen Handelns auch ein strafrechtlicher Vorwurf unterstellt. Dies erscheint angesichts der vom Gesetzgeber selbst als unvollkommenen anerkannten Gesetzeslage und der Komplexität der einschlägigen Fragestellungen überraschend und zweifelhaft. Insoweit stellen sich unweigerlich Reminiszenzen an das Vorgehen beim sog. Dividendenstripping ein, das der Bundesfinanzhof (BFH) in 1999 dann als rechtmäßig angesehen hat. Zweiteilung bis 2012Bis 2012 fielen die Verantwortlichkeiten zum Steuerabzug und der Ausstellung der Steuerbescheinigung – diese ist Kapitalertragsteuer-Anrechnungsvoraussetzung – auseinander. Die Steuer wurde von der ausschüttenden Aktiengesellschaft abgeführt, während die Ausstellung der Steuerbescheinigung der Depotbank des jeweiligen Aktionärs oblag.Die Zweiteilung wurde zum Problem, als der BFH 1999 entschied, dass beim Handel mit börsennotierten Aktien diese, und damit auch die Dividenden darauf, steuerlich dem Erwerber regelmäßig bereits mit Abschluss des Kaufs, und damit vor dem handelstechnisch erst einige Tage später stattfindenden Eigentumsübergang zugerechnet werden. Gleiches hat das Finanzgericht Hamburg für außerbörsliche Aktienerwerbe (OTC-Geschäfte) angenommen.Dabei sollten nach zwei Urteilen des BFH aus 1999 und 2002 auch Individualabsprachen zwischen Verkäufer und Käufer sowie die Einschaltung derselben Bank auf Käufer- und Verkäuferseite keine Rolle spielen. Damit wurden Konstellationen denkbar, in denen Aktien im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung steuerlich sowohl dem Käufer als auch dem Nocheigentümer zuzurechnen sind. Leerverkäufe um StichtagZur mehrfachen Zurechnung von Aktien und Dividenden konnte es insbesondere bei den Cum-Ex-Transaktionen kommen. Bei diesen wird zur Entschädigung für die entgangene Nettodividende vom Verkäufer an den Käufer eine Dividendenausgleichszahlung in entsprechender Höhe gezahlt. In den Clearingsystemen wird die Dividende und die Ausgleichszahlung aus technischen Gründen gleich behandelt. Erfolgt ein solcher Cum-Ex-Aktienverkauf leer (das heißt der Verkäufer hat die Aktien im Zeitpunkt des Verkaufs nicht in seinem Bestand, sondern erhält sie erst von einem Dritten zur Lieferung nach dem Dividendenstichtag) wurden die Aktien auch nach Meinung des Gesetzgebers (vgl. Bundestagsdrucksache 622/06 und BT-Drucksache 16/2712) am Dividendenstichtag sowohl dem Dritten als auch dem Erwerber zugerechnet.Aufgrund der Gesetzeslage, der allgemeinen Praxis und weil sich nicht feststellen ließ, wer die “echte Dividende” und wer die “Ausgleichszahlung” erhalten hat, wurde beiden eine Steuerbescheinigung ihrer Depotbank erteilt, mit der sie die Anrechnung der Kapitalertragsteuer geltend machen konnten, obwohl diese nur einmal von der Gesellschaft abgeführt worden war.Vereinzelt haben Verwaltungsangehörige seit dem Jahr 2000 in Fachpublikationen auf die steuerpolitische Regelungsbedürftigkeit hingewiesen. Eine Reaktion des Gesetzgebers ließ aber bis 2007 auf sich warten. Seitdem unterliegen bei Cum-Ex-Transaktionen neben der Dividende auch die Ausgleichszahlungen der Quellensteuer. Dies ist eine gesetzgeberische Fehlleistung, denn eine Steuerabzugsverpflichtung auf die Ausgleichszahlung konnte wirksam – die Staatsgewalt endet an der Staatsgrenze – nur bei inländischen Kreditinstituten angeordnet werden. Wurden Leerverkäufe hingegen wie häufig über ausländische Banken abgewickelt, blieb es bei der Mehrfachanrechnung. “Börsenusancen”Dem Gesetzgeber war dies ausweislich der angegebenen Gesetzesbegründung auch bewusst. Aufgrund der “Börsenusancen” sei die Praxis, dass “der Summe der Aktionäre ein höheres Dividendenvolumen bescheinigt und steuerlich berücksichtigt wird, als . . . tatsächlich ausgeschüttet wurde” nicht zu vermeiden. Durch die Neuregelung würden die Steuerausfälle insoweit “verringert”.Das Bundesfinanzministerium (BMF) reagierte in den Jahren von 2009 bis 2011 mit verschiedenen Nachbesserungsversuchen in BMF-Schreiben. Damit wurden für die Steueranrechnung bei bestimmten Aktiengeschäften über den Dividendenstichtag zusätzliche, über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Nachweispflichten aufgestellt, die deshalb wohl rechtswidrig sind. Systemwechsel 2012Erst im vergangenen Jahr gab es zum Systemwechsel: Für im Inland verwahrte Aktien erfolgt der Steuerabzug künftig durch die Depotbank des Zahlungsempfängers, die auch die Steuerbescheinigung ausstellt. Damit wird sichergestellt, dass sich die Höhe der abgezogenen und der bescheinigten Steuer betragsmäßig decken.Die Entscheidung des FG Hessen erging zu Cum-Ex-Transaktionen einer inländischen Gesellschaft in den Jahren 2006 bis 2008. Die zunächst gewährte Steueranrechnung wurde von der Betriebsprüfung unter anderem mit dem Argument versagt, dass die Geschäfte bewusst mit ausländischen Leerverkäufern abgeschlossen worden seien. Das FG Hessen hat die Versagung der Steueranrechnung bestätigt und den handelnden Personen arglistige Täuschung vorgeworfen. Im Übrigen – so das FG Hessen – könne der Steuerpflichtige eine Steueranrechnung nur geltend machen, wenn er beweise, dass die seiner Anrechnung zugrunde liegende Quellensteuer auch tatsächlich abgezogen wurde. Weil die Verkäufer im Ausland ansässig waren, sei zu vermuten, dass auf die Ausgleichszahlung keine Steuer erhoben wurde. Konstellationen, in denen einmal abgeführte Kapitalertragsteuer gegebenenfalls doppelt angerechnet werden könnte, seien “abwegig”.Das FG Hessen lässt dabei jedoch die angeführte Ansicht des Gesetzgebers, der mehrheitlichen Meinung in der Literatur und Rechtsprechung unberücksichtigt. Es übersieht ferner, dass es kraft ausdrücklicher gesetzlicher Fiktion allein auf die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer durch den Emittenten der Aktien (und nicht den Leerverkäufer) ankommt. Deshalb ist – zumindest bei Aktienerwerben an Dax-Unternehmen – von einer “Einbehaltung” und “Abführung” der Steuern auszugehen. Auch wird bei Leerverkäufen die Depotbank des Zahlungsempfängers zur Erteilung einer Steuerbescheinigung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung verpflichtet. Dies ergibt keinen Sinn, wenn er diese nicht als Nachweis des Einbehaltes und des Abführens der Kapitalertragsteuer gebrauchen dürfte. Der vom FG Hessen geforderte weitergehende Nachweis, dass auch auf eine mögliche Ausgleichszahlung Steuer einbehalten wurde, ist somit durch die Steuerbescheinigung (unwiderlegbar) erbracht. Kein VerlassDie Ansicht des Finanzgerichts Hessen würde auch bedeuten, dass sich nach altem Recht bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag (und hier sind die Handelsvolumina traditionell sehr hoch) kein inländischer Aktienkäufer auf die Steuerbescheinigung verlassen konnte. Denn bei den regelmäßig über mehrere Veräußerer – Broker, Interdealerbroker, Handelsplattformen – laufenden Aktienerwerben wusste der Käufer nicht, ob die Aktien gegebenenfalls aus Leerverkäufen aus dem Ausland stammten. Der Aktionär hat zum Nachweis nur seine Steuerbescheinigung.Wie dargestellt, war dem Gesetzgeber sehr wohl bewusst, dass das System der Steueranrechnung bis zum vergangenen Jahr mangelhaft war und zu Mehrfacherstattungen führen konnte. Er hat dies in Kauf genommen. Das Finanzgericht kann nicht als Ersatzgesetzgeber den Aktionär für diese Mängel haften lassen oder gar inkriminieren.—-*) Florian Lechner ist Rechtsanwalt bei Linklaters in Frankfurt.