Höchststimmrechte erneut in der Diskussion
Von Christoph F. Vaupel und Lars-Gerrit Lüßmann *)Nach zehn Jahren Praxiserfahrung mit dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) wird derzeit diskutiert, inwieweit es weiteren Reformbedarf gibt. Kritik entzündete sich unter anderem an den angeblich zu laxen Regelungen zum Schutz deutscher Unternehmen vor feindlichen Übernahmen. Einer der Auslöser war die als feindlich empfundene Übernahme von Hochtief durch den spanischen Baukonzern ACS. Nachdem das heimliche “Anschleichen” an eine Zielgesellschaft durch versteckten Beteiligungsaufbau mit dem Inkrafttreten neuer Transparenzvorschriften deutlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wurde, legte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Herbst nach: Er forderte im Rahmen eines Fachgesprächs vor dem Finanzausschuss, den Unternehmen mehr Satzungsfreiheit zu geben und ihnen das Recht einzuräumen, Höchststimmrechte und Beteiligungsgrenzen selbst festzulegen. Doch wäre dies auch ein geeignetes Schutzinstrument?Höchststimmrechte begrenzen das Stimmrecht eines Aktionärs auf eine bestimmte Anzahl von Stimmen, unabhängig von seiner eventuell höheren Kapitalbeteiligung. In den siebziger Jahren galten Höchststimmrechte als probates Schutzinstrument zur Abwehr unerwünschter Mehrheitsbildung angesichts des Einstiegs ausländischer Staaten als Investoren bei deutschen Traditionsunternehmen, wie Kuwaits bei Daimler-Benz oder Persiens bei Krupp (“Petrodollar”). Viele Unternehmen hatten von dieser Möglichkeit in der Vergangenheit Gebrauch gemacht. So hatten beispielsweise Bayer, BASF, Deutsche Bank, Mannesmann, Schering und Linde Höchststimmrechte eingeführt. Die Beschränkungen betrugen in der Regel 5 bis 10 %.Gegenwärtig können nur nichtbörsennotierte Aktiengesellschaften Höchststimmrechte in der Satzung festlegen. Für börsennotierte Gesellschaften wurde diese Möglichkeit mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) abgeschafft. Alle Höchststimmrechte, die am 30. April 1998 bei börsennotierten Unternehmen bestanden, waren damit am 1. Juni 2000 kraft Gesetzes erloschen.Bei Volkswagen gab es aufgrund des VW-Gesetzes ein Höchststimmrecht von 20 % der Stimmrechte, um den Einfluss des Landes Niedersachsen zu sichern. Mit Urteil vom 23. Oktober 2007 hatte der Europäische Gerichtshof jedoch festgestellt, dass die Bestimmungen über Höchststimmrechte gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen. Zweifelhafte WirkungHöchststimmrechte gelten als ein Instrument zur Abwehr von unliebsamen Unternehmensübernahmen. Die Wirkung ist jedoch zweifelhaft, soweit bestimmte Beschlüsse, wie beispielsweise Kapitalerhöhungen, zusätzlich zur Stimmenmehrheit ein bestimmtes Kapitalquorum erfordern.Die Begründung des Regierungsentwurfs zum KonTraG weist darauf hin, dass gerade durch die Verhinderung von Übernahmen und das damit verbundene Fehlen von entsprechender Kursfantasie der Kapitalmarkt beeinträchtigt werde. Höchststimmrechte dienten damit tendenziell den Interessen der Verwaltung, die auf diese Weise den Einfluss von Großaktionären abwehren könne. Damit würde ein effizienter Markt für Unternehmenskontrolle (“Market for Corporate Control”) verhindert und die Kontrolle der Verwaltung durch die Eigentümer (“Principal-Agent-Konflikt”) beeinträchtigt. Denn mit Hilfe von Höchststimmrechten könne sich das Management der Beurteilung durch den Markt – jedenfalls weitgehend – entziehen. Eine solche Kontrolle gilt jedoch als entscheidend für einen funktionierenden Kapitalmarkt. Zudem werde das Unternehmen für Investoren weniger attraktiv, wenn das Erlangen einer Kontrollposition durch Höchststimmrechte erschwert ist. Dies kann den Aktienkurs negativ beeinflussen – das Nachsehen hätten die Aktionäre.Die Befürworter von Höchststimmrechten führen an, die Entscheidung über Höchststimmrechte betreffe die interne Willensbildung und solle daher der Gesellschaft überlassen bleiben. Zudem seien die kapitalmarkttheoretischen Überlegungen nicht belegt und die Kontrolle des Managements durch den Kapitalmarkt bzw. durch die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung dem deutschen Aktienrecht wesensfremd.Darüber hinaus wird argumentiert, Familienunternehmen, denen traditionell daran gelegen ist, die Gesellschaft im Familienbesitz zu erhalten, käme eine Wiedereinführung von Höchststimmrechten zugute: Sie wären in der Lage, unerwünschte Aufkäufer auf Distanz zu halten, und hätten einen größeren Anreiz, ihr Unternehmen an die Börse zu bringen. Die Angst vor feindlichen Übernahmen mag insbesondere in Zeiten von – gemessen an der operativen Ertragskraft – verhältnismäßig niedrigen Bewertungen an der Börse ein Grund sein, weshalb gerade familiengeprägte Gesellschaften den Schritt an die Börse bisher nicht wagten.Übernahmen können aber durchaus auch erwünscht sein: jedenfalls aus Sicht der Minderheitsaktionäre, die sich so – idealerweise gegen eine Prämie – von ihrer Investition trennen können; aber auch aus Sicht von Unternehmen, für die ein Wachstum durch Fusionen und Übernahmen eine wichtige strategische Option ist. Das Übernahmerecht muss daher einen Rahmen schaffen, der Übernahmen generell zu klaren und ausgewogenen Bedingungen ermöglicht (“Level Playing Field”). Kein SelbstzweckAber wer soll letztlich darüber befinden, ob eine Übernahme im Interesse der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre ist oder nicht? Höchststimmrechte würden den Aktionären diese Entscheidungsfreiheit jedenfalls nehmen. Auch die Regelungen des WpÜG zur Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen (sogenanntes “Verhinderungsverbot”) belegen, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, diese Entscheidung richtigerweise den betroffenen Aktionären zu überlassen.Auch ist die Frage zu stellen, bis zu welcher Beteiligungshöhe ein beherrschender Einfluss eines Altaktionärs (bei Familienunternehmen der Gründerfamilie) noch gerechtfertigt ist. Hat der Anteil der Familie bestimmte Schwellen unterschritten, wird man kaum noch von einem Familienunternehmen sprechen können. Dann ist es aus Kapitalmarktsicht auch nicht mehr gerechtfertigt, die Familie durch Höchststimmrechte vor anderen Investoren zu schützen. Unternehmen, die eine solche Ungleichbehandlung in ihrer Satzung vorsehen, werden sich schwertun, neue Investoren zu finden. Das Aktienrecht geht daher mit Recht davon aus, dass Stimmrechtsmacht und Kapitalbeteiligung einander grundsätzlich entsprechen sollen.Andererseits besteht auch nach heutiger Rechtslage Gestaltungsspielraum zum vorbeugenden Schutz von Familien- oder Ankeraktionären vor dem Einfluss fremder Investoren: beispielsweise durch Verankerung von Entsendungsrechten oder qualifizierten Mehrheitserfordernissen für bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse in der Satzung, die Beschränkung der Börsennotierung auf stimmrechtslose Vorzugsaktien oder alternative gesell schaftsrechtliche Strukturen (KGaA).Während Höchststimmrechte definitionsgemäß perpetuiert sind, da sie eine satzungsändernde Mehrheit gerade verhindern, kann in den anderen Fällen das entsprechende Privileg durch satzungs- oder rechtsformändernde Mehrheit aufgehoben werden. Dies erscheint auch gerechtfertigt, sobald der Berechtigte, beispielsweise die Familie, nicht mehr den stimmenmäßigen Einfluss hat, einen solchen Beschluss der Hauptversammlung zu verhindern.Der Gesetzgeber hat deshalb 1998 eine kapitalmarktorientierte Entscheidung getroffen und Höchststimmrechte für börsennotierte Gesellschaften aus dem Aktiengesetz gestrichen. Ein funktionierender Kapitalmarkt war und ist im Interesse aller Marktteilnehmer. Das setzt Waffengleichheit und einen funktionierenden Markt für Unternehmenskontrolle voraus. Dies liegt auch dem WpÜG zugrunde. Daher bleibt der wirksamste – und aus Sicht von Unternehmen und Aktionären beste – Übernahmeschutz die Steigerung des Unternehmenswerts.—-*) Christoph F. Vaupel und Dr. Lars-Gerrit Lüßmann sind Partner im Frankfurter Büro von Taylor Wessing.