Recht und Kapitalmarkt

IFRS bedroht Eigenkapital von Genossenschaften

IAS 32.11 führt fast nur noch zum Ausweis von Fremdkapital - Regelung sollte schnellstens überarbeitet werden

IFRS bedroht Eigenkapital von Genossenschaften

Von Frank Scholderer und Peter Happe *)Nach der IAS-Verordnung sind “kapitalmarktorientierte” Unternehmen verpflichtet, ab dem Geschäftsjahr 2005 einen Konzernabschluss nach IFRS (International Financial Reporting Standards) aufzustellen. Unmittelbar betroffen sind ca. 1 000 börsennotierte Unternehmen in Deutschland und 7 000 börsennotierte Unternehmen in der EU. Deutschland hat in dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Bilanzrechtsreformgesetz auf die Ausübung des Mitgliedstaaten-Wahlrechts verzichtet, IFRS auch für den Jahresabschluss und Konzernabschluss nicht börsennotierter Unternehmen wie GmbH, Genossenschaften und Personengesellschaften vorzuschreiben. Allerdings müssen nach dem Bilanzrechtsreformgesetz Unternehmen aller Rechtsformen ab 2007 einen IFRS-Konzernabschluss aufstellen, wenn sie Schuldtitel emittiert haben, die an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat der EU gehandelt werden. Unangenehme ÜberraschungDies wird die meisten Unternehmen, die in der Rechtsform einer Personengesellschaft oder Genossenschaft geführt werden, vorläufig vor einer unangenehmen Überraschung bewahren: Nach dem Wortlaut von IAS 32 in der ab 2005 geltenden Fassung, der die Qualifikation von Eigen- und Fremdkapital regelt, wären solche Unternehmen künftig fast zu 100 % fremdfinanziert. Nach IAS 32.11 handelt es sich bei einer Kapitalüberlassung nämlich nur dann um Eigenkapital, wenn ein Vertrag vorliegt, der einen Residualanspruch auf das Vermögen nach Abzug der Schulden begründet. Mit dieser tautologischen Umschreibung des Eigenkapitals kann nur gemeint sein, dass eine gewisse Nachrangigkeit bestehen und eine Rückzahlungsverpflichtung zum Nominalbetrag ausgeschlossen sein muss. Schädlich dürfte auch eine feste Verzinsung sein, weil dann kein Residualanspruch besteht. Insofern besteht eine Übereinstimmung mit der Qualifikation als Eigenkapital nach den deutschen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung. Der Kapitalgeber darf eine Rückzahlung des Kapitals dann nicht verlangen können, wenn die Rückzahlung aus Sicht des Unternehmens potenziell ungünstig ist. Es soll in der Hand des Unternehmens liegen, wann der Kapitalgeber sein Kapital zurückerhält, damit es sich um Eigenkapital handelt. Die Dauer der Kapitalüberlassung ist – anders als nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung – unerheblich. Mithin liegt stets Fremdkapital vor, wenn es der Kapitalgeber jederzeit ordentlich kündigen kann. Entsprechendes gilt, wenn der Kapitalgeber ein faktisches Rückgaberecht des Kapitaltitels an den Konzern des kapitalaufnehmenden Unternehmens hat und dadurch eine Abfindungsverpflichtung des Unternehmens auslöst (“puttable instrument”). Dies gilt selbst dann, wenn das Kapital am Verlust des Unternehmens teilnimmt und es von vornherein langfristig, z. B. länger als 15 Jahre, überlassen wird. Eine außerordentliche Kündigung dürfte auch aus IFRS-Sicht unschädlich sein. Nach IAS 32.18 sind – getreu dem Grundsatz “substance over form” – selbst Vorzugsaktien, die eine feste oder bestimmbare Laufzeit haben oder dem Kapitalgeber ein Rückgabe- bzw. Kündigungsrecht einräumen, als Fremdkapital auszuweisen. Vor allem bei Personengesellschaften, aber auch bei Genossenschaften wäre damit fast das gesamte Kapital als Fremdkapital nach IFRS zu qualifizieren. Für Geschäftsguthaben von Genossen kann nämlich das Statut nach geltendem Recht eine höchstens fünfjährige Kündigungsfrist vorsehen. Und für Gesellschaften bürgerlichen Rechts verlangt das BGB, dass der Gesellschaftsvertrag entweder befristet sein oder der Gesellschafter ein ordentliches Kündigungsrecht haben muss, was über Verweisungen im HGB auch für die Personenhandelsgesellschaften offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft gilt. Auch AGs betroffenWenn Kreditinstitute und ausländische Kapitalgeber oder Geschäftspartner auch von nicht börsennotierten Unternehmen, einschließlich Genossenschaften und Personengesellschaften, einen IFRS-Abschluss verlangen, dürften diese Unternehmen fast ausschließlich Fremdkapital ausweisen. Dies ist ein erheblicher Nachteil gegenüber Unternehmen aus Ländern, in denen ein gesellschaftsrechtliches Kündigungsrecht ausgeschlossen ist, oder gegenüber Unternehmen anderer Rechtsformen, bei denen gesellschaftsrechtlich ähnlich ausgestaltetes Kapital als Eigenkapital nach IFRS qualifiziert wird. Von dieser Regelung sind schon jetzt zahlreiche börsennotierte Aktiengesellschaften betroffen, die z. B. aus steuerlichen Gründen ein Joint Venture in der Rechtsform einer Personengesellschaft gegründet haben. Die Anteile konzernaußenstehender Gesellschafter an einem solchen vollkonsolidierten Joint Venture dürften künftig nur noch im Fremdkapital des IFRS-Konzernabschlusses ausgewiesen werden. Die Genossenschaftsverbände haben sich daher an das IASB gewandt und um eine Ausnahmeregelung bzw. Klärung der Qualifikation von Genossenschaftskapital gebeten. Erfolg dieser Bemühungen ist eine Verlautbarung des IASB, wonach die Einlagen von Genossen insoweit als Eigenkapital einzustufen sind, als die Genossenschaft das unbedingte Recht hat, die Rückzahlung der Einlagen zu verweigern. Darüber hinaus könnte eine Fremdkapitalqualifikation durch Festlegung eines unkündbaren Mindestbetrags für Geschäftsguthaben eines Genossen insoweit verhindert werden. Dem Vernehmen nach wird im Bundesjustizministerium über eine Änderung des Genossenschaftsgesetzes nachgedacht. Dafür bleiben dem Gesetzgeber zwei Jahre Zeit, da ab 2007 Genossenschaften, die Schuldtitel emittiert haben, also in erster Linie Genossenschaftsbanken, auf IFRS umstellen müssen. Eine entsprechende Änderung des Handelsgesetzbuches für Personengesellschaften ist nur denkbar, wenn dort ein solches “Kapitalerhaltungsrecht”, zumindest als Wahlrecht, eingeführt würde. Die meisten Gesellschafter einer Personengesellschaft wollen aber, anders als bei kapitalistischen Gesellschaften, weiterhin jederzeit über ihr Kapital verfügen. Eine Trennung zwischen Kapital und Management ist bei personalistisch geprägten Unternehmen nicht die Regel. Der Weg in eine Kapitalgesellschaft ist häufig allein aus steuerlichen Gründen verschlossen. Wenig hilfreich wäre es dagegen, wenn das vormalige Eigenkapital der Personengesellschaften innerhalb des Fremdkapitals gesondert ausgewiesen und dadurch kenntlich gemacht würde. Jahresabschlussadressaten, vor allem ausländischen Analysten, wird hierdurch ein differenzierter, rechtsform- und länderübergreifender Vergleich der Eigenkapitalquoten kaum gelingen. Denkt man außerdem die skizzierte Auslegung des IAS 32 konsequent zu Ende, kommt man zu dem – absurden – Ergebnis, dass in Deutschland auch eine Kapitalgesellschaft kaum noch Eigenkapital im Sinne von IAS 32 ausweisen dürfte. Dies deshalb, weil auch Kapitalgesellschaften nicht verhindern können, dass ihre Aktionäre oder Gesellschafter die Rückzahlung von Eigenkapital durch eine Kapitalherabsetzung, Liquidation, Auflösung und Ausschüttung von Kapitalrücklagen o. ä. beschließen können. Schwaches ArgumentDer Verweis darauf, dass bei AG und GmbH – anders als bei Kündigungen in Personengesellschaften oder Genossenschaften durch den Gesellschafter selbst – die Rückzahlung aufgrund eines Organbeschlusses der Gesellschaft, nämlich der Haupt- oder Gesellschafterversammlung, herbeigeführt werde, ist bloß ein schwaches Argument. Auf die Rechtsform oder Ausgestaltung des Rückzahlungsrechts kann es nach dem Grundsatz “substance over form” ebenso wenig ankommen wie auf die konkreten Mehrheitsverhältnisse in einer Kapitalgesellschaft und darauf, ob ein Mehrheitsgesellschafter dort auch jederzeit eine Kapitalherabsetzung usw. beschließen könnte. Dies alles spricht eher dafür, dass nicht das deutsche Gesellschaftsrecht an IFRS angepasst werden sollte, sondern IAS 32 schleunigst überarbeitet oder zweckentsprechend ausgelegt werden muss.*) Dr. Frank Scholderer ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance, Dr. Peter Happe Steuerberater und C.P.A. im Frankfurter Büro von Dewey Ballantine.