RECHT UND KAPITALMARKT

Im Derivatemarkt beginnt eine Umbruchphase

Die OTC-Regulierung, eine Krisenbewältigung mit Haken - Praktiken im Wertpapierleihegeschäft werden zunehmend aggressiver

Im Derivatemarkt beginnt eine Umbruchphase

Von Bärbel Wahle *)—- Die im August 2012 in Kraft getretene EU-Verordnung über OTC-Derivate (European Market Infrastructure Regulation, kurz Emir) soll den Derivatemarkt krisenfester gestalten. Dabei werden insbesondere die Aspekte, die 2007 und 2008 die Finanzmarktkrise verschärft haben, adressiert. Eines der großen Probleme bei den bekannten Krisenfällen war, dass weder die Derivatekontrahenten noch der Markt genau wussten, wer welche Risiken gegenüber wem in den Büchern hat. Aus diesem Grund war die Gefahr weiterer Ausfälle, ausgelöst durch einen Dominoeffekt, schwer einschätzbar. Emir sieht deshalb eine Verpflichtung zum Clearing von außerbörslichen Derivaten, Meldepflichten, die Anwendung von Risikominderungstechniken und eine erhöhte Anforderung zur Kapitalunterlegung vor.Die Bausteine dieser strengeren Derivateregulierung scheinen zunächst geeignet, die Risiken aus Derivategeschäften zu verringern und die Stabilität des Derivatemarkts zu erhöhen. Ein Blick auf die Folgen der Vorgaben zeigt allerdings, dass sie einen Strukturwandel des Marktes auslösen und damit neue Risiken verursachen können.Ein Schlüsselbaustein der neuen OTC-Derivateregulierung ist das Clearing, das in seinen Grundzügen schon von der Abwicklung börsengehandelter Derivate, wie Optionen und Futures, bekannt ist. Beim Clearing wird ein zwischen den Vertragspartnern, z. B. zwei Banken, bilateral abgeschlossenes Derivat über einen Intermediär abgewickelt, den Zentralen Kontrahenten (Central Counterparty, CCP). Da hierdurch der CCP für beide Kontrahenten zur Gegenpartei wird, geht das Kontrahentenrisiko beider Parteien auf den CCP über. Die daraus resultierende Risikokonzentration auf Seiten des CCP wird durch die Hinterlegung von Sicherheiten, sogenannte Initial und Variation Margins, minimiert.An die Unternehmen, die diesen Service für OTC-Derivate anbieten – wie LCH.SwapClear, Eurex, CME Europe – werden besondere Sicherheitsanforderungen gestellt. OTC-Derivategeschäfte werden auf diese Weise sicherer als zuvor, die neuen Vorgaben lösen jedoch eine erhebliche Veränderung der Wettbewerbslandschaft aus.Das clearingfähige Produktspektrum der CCPs ist sehr unterschiedlich. Bislang existiert kein Serviceanbieter, der ein assetklassenübergreifendes Clearing für sämtliche Derivate anbietet. CCPs unterscheiden sich darüber hinaus erheblich durch die Vertragsbedingungen für Clearingmitglieder, durch die Verwaltung der hinterlegten Margins, durch das Abwicklungsprozedere im Insolvenzfall eines Clearingmitglieds sowie im Angebot etwaiger Zusatzdienstleistungen. Mehr VolumenInsgesamt stecken die CCPs derzeit viel Energie in die Weiterentwicklung ihrer Produktangebote und werben sehr aktiv um neue Clearingmitglieder. Durch sie steigt das Volumen auf der Clearingplattform, und dies ist – neben einem professionellen Risikomanagement – eines der wesentlichen Erfolgskriterien für einen CCP.Die unter Emir clearingpflichtigen Financial Counterparties, im Wesentlichen Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Kapitalanlagegesellschaften und Firmenkunden mit einem spekulativen Derivatevolumen oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts, haben die Wahl, sich direkt oder indirekt an einen oder mehrere CCPs anzubinden. Bei einem direkten Zugang wird die Financial Counterparty selbst Clearingmitglied bei einem CCP und kann die OTC-Derivate direkt “clearen”. Damit verbunden sind bestimmte Mindestanforderungen, zum Beispiel an das Eigenkapital.Ist die direkte Anbindung operativ und preislich zu aufwendig, kann der Zugang auch indirekt über einen sogenannten Clearing Broker, üblicherweise große Banken, gewählt werden. Clearing Broker sind selbst Clearingmitglied bei mindestens einem, meist aber mehreren CCPs und ermöglichen ihren Kunden so, die Emir-Regularien zu erfüllen. Auch als Clearing BrokerWie die CCPs haben auch die Clearing Broker sehr unterschiedliche Produktangebote. Attraktiv ist der Service für die Anbieter, da dadurch der Marktanteil im Derivategeschäft gesichert oder sogar ausgebaut werden kann: Wegen der (noch) bestehenden Preisstrukturen bietet es sich für Kunden an, ein Derivat mit einem Kontrahenten zu handeln, der auch als ihr Clearing Broker agiert. Derzeit bieten in Deutschland rund 15 Banken solche Clearing Broker Services an. Die hierfür vorzuhaltende Infrastruktur ist jedoch komplex und teuer, sodass im Laufe der Zeit ein Rückgang der Anbieter zu erwarten ist.Da sich die Wettbewerbslandschaft sowohl der CCP als auch der Clearing Broker noch stark verändert, sollte der Markt zumindest in der Übergangsphase beobachtet werden, um frühzeitig neue Risiken zu erkennen. So besteht für einen Endkunden, der einen indirekten Zugang über Clearing Broker wählt, das Risiko, dass der Clearing Broker diesen Service als unrentabel einstellt oder – noch schlimmer – insolvent wird. Insoweit spielen die Kontinuität in der Geschäftsausrichtung des Anbieters und dessen Bonität eine große Rolle. Direkte Clearingmitglieder hingegen müssen kritisch beobachten, ob ihr CCP dauerhaft das beste Angebot hat, ein zufriedenstellendes Risikomanagement bietet und sich in dem Wettbewerbsumfeld etabliert.Clearingmitglieder schließlich, die auch Clearing-Broker-Services anbieten, müssen nicht nur die Anforderungen der CCPs erfüllen, sondern haben auch weitreichende Verpflichtungen im Liquiditäts-, Sicherheitenmanagement und bei den Meldepflichten zu erfüllen. In einem Stressszenario könnte ein Kunde mit schwacher Bonität beispielsweise die zur Sicherheit dienenden Margins nicht rechtzeitig anschaffen. Die Verpflichtungen des Clearing Brokers gegenüber dem CCP bleiben aber bestehen. Dieses Risiko kann der Service-Anbieter durch eine vorsichtige Kundenauswahl und professionelles Liquiditäts- und Sicherheitenmanagement verringern und damit auch seine anderen Kunden schützen.Das durch Emir grundsätzlich erfasste OTC-Derivatevolumen ist mit 639 Bill. Dollar um ein Vielfaches höher als das Marktvolumen der bereits heute über einen CCP abgewickelten börsengehandelten Derivate. Auch wenn zunächst noch nicht alle OTC-Derivate über einen CCP “gecleart” werden müssen, wird sich die Clearingpflicht doch sukzessive ausweiten. Zu Beginn wird sich das Angebot der CCPs auf einen Großteil der OTC-Zinsderivate (Marktvolumen: 494 Bill. Dollar) sowie Kreditderivate erstrecken.Mit einem steigenden Clearingvolumen wird auch die Zahl der Marktteilnehmer und in vielen Fällen das Exposure pro Kontrahent steigen. Ob das Emir-Konzept auch bei hohen Volumina greift und den Markt bei Insolvenzen einzelner Kontrahenten vor Instabilität bewahrt, bleibt abzuwarten. Hochliquide AssetsDie CCPs haben definiert, welche Sicherheiten zur Stellung der Margins akzeptabel sind. Gleiches gilt für die bilaterale Besicherung von Derivaten, die nicht über einen CCP abgewickelt werden. Zum Ausgleich negativer Marktwerte werden vorzugsweise Bar- und hochliquide Sicherheiten gefordert. Im Zuge von Basel III brauchen Banken zur Erfüllung der künftigen Liquiditätsvorschriften ebenfalls hochliquide Assets, sodass die Nachfrage nach Bar- und hochliquiden Wertpapiersicherheiten stark steigen wird. Laut Schätzungen liegt der zusätzliche Bedarf zwischen 500 Mrd. und 2 Bill. Dollar. Fraglich ist, ob und wie diese Nachfrage bedient werden kann. Die Praktiken des Wertpapierleihegeschäfts passen sich bereits jetzt dem Bedarf an und werden zunehmend aggressiver.Für den Derivatemarkt beginnt eine Umbruchphase: Neue Marktteilnehmer suchen ihren Platz, immer mehr Geschäft konzentriert sich auf die CCPs und Clearing Broker, die operativen Prozesse ändern sich für alle Marktteilnehmer, und das Wertpapierleihe- und Repogeschäft erlebt einen Nachfrage-Boom. Wenngleich die neue OTC-Derivateregulierung die alten Kernrisiken an sich konsequent adressiert, birgt die Umsetzung der neuen Regeln neue Risiken – Wachsamkeit ist daher derzeit die oberste Prämisse.—-*) Bärbel Wahle ist Leiterin Client Management Financial Institutions der HSBC.