RECHT UND KAPITALMARKT

Im Libor-Skandal drohen hohe Strafen

Breite Grundlage für strafrechtliche Sanktionen - Auch Verdacht von Kartellverstößen - Ansturm auf Kronzeugenregelung

Im Libor-Skandal drohen hohe Strafen

Von Sebastian Jungermann *)Im Juni hatte die Barclays Bank als erste Großbank in den weltweiten Untersuchungen zur Manipulation von Referenzzinssätzen im Interbankengeschäft ein Fehlverhalten eingeräumt und wurde mit Strafzahlungen von rund 453 Mill. Dollar belegt. Der ehemalige CEO und weitere Manager der Bank mussten zurückgetreten. Weltweit laufen Untersuchungen und Klagen wegen der Manipulation der Referenzzinssätze auf Hochtouren, viele Banken und betroffene Personen kooperieren mit den Behörden in Europa, Amerika und Japan. In der Regel sind die Banken um einen raschen Vergleich bemüht. Teilweise wird auch ein Vergleich als Gruppe angestrebt, was in den USA nicht unüblich ist, um nicht ebenfalls isoliert bestraft und an den Pranger gestellt zu werden. Offen sind aber noch viele Fragen, neben etwaigen Bußgeldern und Schadenersatz vor allem auch die persönliche Verantwortung, auch Gefängnisstrafen sind nicht ausgeschlossen. Weltweit UntersuchungenWeltweit prüfen Behörden mögliche Manipulationen der Referenzzinssätze Libor, Euribor und Tibor, wobei der Libor als zentraler Zinssatz im Finanzsystem die größte Bedeutung in diesem Komplex haben wird. Den Referenzzinssätzen ist gemein, dass sie anzeigen sollen, zu welchem Zins sich Banken untereinander Geld leihen. Basis des Zinssatzes ist gegenseitiges Vertrauen in die jeweilige Stabilität der gebenden Bank, da es für diese Kredite keine Sicherheiten gibt. Referenzzinssätze sind Basis für Finanzinstrumente im privaten und öffentlichen Bereich mit einem Volumen von über 500 Bill. Dollar.Der Libor (London Interbank Offered Rate) ist der geschäftstäglich in London um 11 Uhr vormittags ermittelte Referenzzinssatz, wobei es um Angebotszinsen in verschiedenen Währungen und Laufzeiten geht. Erfasst werden zurzeit 16 Währungen für Notierungen von einem Tag bis zu einem Jahr. Die 18 wichtigsten international tätigen Banken melden der British Bankers’ Association (BBA) ihre Zahlen, wovon die BBA sodann nach Streichung der Spitzen Mittelwerte bildet. Der Euribor wurde 1999 als Alternative zum Libor eingeführt und ersetzte in Deutschland den Fibor (Frankfurt Interbank Offered Rate). Zur Ermittlung des Euribor melden zurzeit geschäftstäglich 43 Kreditinstitute, darunter 11 deutsche Banken, vormittags Angebotssätze an Thomson Reuters. Ebenfalls auf Grundlage von Durchschnittssätzen veröffentlicht Reuters sodann den jeweiligen Euribor. Der Tibor ist das Pendant aus Japan (Tokyo Interbank Offered Rate), er wird vormittags von der Japanese Bankers Association (JBA) ermittelt.Barclays hat die im Juli verhängten Strafzahlungen an diverse Behörden zu leisten; 200 Mill. Dollar an die US Commodity Futures Trading Commission (CFTC), 160 Mill. Dollar an das US Department of Justice (DOJ) und 59,5 Mill. Pfund an die UK Financial Services Authority (FSA). Bislang laufen Untersuchungen der Europäischen Kommission, der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), der UK FSA, der Schweizerischen Wettbewerbskommission (WEKO), des US DOJ, der US Securities and Exchange Commission (SEC), der US CFTC, des Canadian Competition Bureau und anderer Behörden.In den USA ermittelt das DOJ seit Februar 2012, spätestens seit diesem Zeitpunkt ist es für involvierte Personen konkret gefährlich geworden. Aufgrund des immensen Drucks einigen sich in den USA jedes Jahr viele Ausländer mit den Behörden und gehen dort ins Gefängnis. Im Bereich des Kartellrechts einigen sich viele Ausländer je nach Vergehen auf eine Zahlung von 20 000 bis 200 000 Dollar und eine Gefängnisstrafe zwischen 12 und 36 Monaten. Betroffen sind in den USA oft Ausländer aus Europa und Asien, wobei der Wohnort der Betroffenen keine Rolle spielt, es reicht aus, dass durch die Manipulationen US-Kommerz betroffen war.Grundlage strafrechtlicher Sanktionen im Zinskomplex können neben Bankbetrug nach US-Recht (Bank Fraud), einem speziellen Betrugstatbestand bei Fernkommunikation (Fraud by Wire, Radio or Television) oder dem Sarbanes-Oxley Fraud auch zwei andere US-Gesetze sein: der Sherman Antitrust Act, also Kartellrecht, und der Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act (RICO), ein Gesetz zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Neben Gefängnisstrafen droht vor allem aufgrund der beiden letztgenannten Gesetze auch dreifacher Schadenersatz (Treble Damages), gemäß RICO können zudem auch Anwalts- und Gerichtskosten verlangt werden, ein besonderer Ansporn für US-Class-Action-Anwälte. Normalerweise bleibt man in den USA selbst als Sieger auf seinen Gerichts- und Anwaltskosten sitzen.Der Schweizer UBS ist der Kronzeugenstatus Mitte 2011 vom US DOJ zugesagt worden, Mitarbeitern der Bank wurde Straffreiheit gegen Kooperation zugesichert. Im Juli 2012 wurden zudem durch die Generalstaatsanwaltschaften in New York und Connecticut auch strafbewehrte Vorladungen (Subpoenas) an die Banken Barclays, Citigroup, Deutsche Bank, J.P. Morgan Chase, HSBC, Royal Bank of Scotland und die UBS versandt.In Japan empfahl die japanische Securities and Exchange Surveillance Commission (SESC) im Dezember 2011 der Regierung, einige Banken genauer zu beleuchten, mittlerweile sind dort 16 Banken betroffen. In London hat im Juli das Serious Fraud Office (SFO) strafrechtliche Ermittlungen gegen Mitarbeiter diverser Großbanken aufgenommen. Prekär ist die Lage in London vor allem deshalb, weil der Verdacht besteht, dass neben der Bank of England auch die Aufsichtsbehörde FSA früh Kenntnis von Problemen mit dem Libor gehabt haben soll. In Deutschland hat die BaFin die Kontrolle diverser Banken verschärft, Sonderuntersuchungen laufen.Wegen der Zinsmanipulationen besteht zudem der Verdacht von Kartellverstößen. Absprachen bei der Verfälschung der Referenzzinssätze könnten zu Vorteilen der eigenen Derivatehändler geführt haben. Ferner besteht der Verdacht, dass sich Händler über die Differenz zwischen den Ankauf- und Verkaufskursen, sog. Spreads, von Derivaten abgesprochen haben, wodurch diese Finanzinstrumente zu marktunüblichen Konditionen verkauft wurden.Bereits im Oktober 2011 durchsuchte die Europäische Kommission einige Großbanken. Bekannt wurde insoweit, dass sich die Deutsche Bank bei der Europäischen Kommission und in der Schweiz den Kronzeugenstatus gesichert hat. Die Schweizer WEKO berichtete im Februar 2012 über ihre Untersuchung gegen die UBS und die Credit Suisse sowie gegen mehr als zehn Finanzinstitute aus dem Ausland und andere Beteiligte. Die im Kartellrecht mittlerweile in den meisten Jurisdiktionen zur Verfügung stehenden Kronzeugenregelungen haben gemeinsam, dass meist nur der Erste von einer Bebußung befreit wird, für die Nachfolger kann es bei entsprechender Kooperation noch einen Rabatt von 50 % oder weniger geben, je nach Rangfolge. Es ist davon auszugehen, dass die Referenzzinssätze getrennte Sachverhalte darstellen, sodass es am Ende viele Kronzeugen im Zinsskandal geben wird, je nach Referenzzins, Jurisdiktion und Behörde. SammelklagenIn den USA sind schon seit 2008 diverse Sammelklagen gegen die betroffenen Banken anhängig, seither kamen neue Klagen hinzu, insbesondere auch von Gemeinden, Schulen und anderen öffentlichen Institutionen. Viele potenziell Geschädigte loten eine Beteiligung aus, eine Gesellschaft der Bankhaus-Metzler-Gruppe hat sich an US-Sammelklagen beteiligt, unter anderem auch gegen die Deutsche Bank.Der Zinsskandal sowie die sehr weitgehenden Auskunftsansprüche im Rahmen einer US-Klage (Pre-Trial Discovery) werden den Beteiligten noch viel Geld kosten. Es drohen zweierlei Gefahren: Neben Bußgeldern und Strafzahlungen sind auch Gefängnisstrafen nicht auszuschließen. Ferner ist davon auszugehen, dass Schadenersatzklagen Privater, insbesondere US-Sammelklagen, zu milliardenschweren Belastungen führen werden. Betroffene Personen sollten sich gut beraten lassen; eine Red Notice bei Interpol führt schnell zur Auslieferung, gerade die USA sind bekannt für ein aggressives Vorgehen.—-*) Dr. Sebastian Jungermann ist Partner bei Kaye Scholer in Frankfurt.