In der Regulierung ist viel zu tun - und bei den Steuern
Die neue EU-Kommission ist seit gut vier Monaten im Amt, und sie hat – allein im Finanzwesen – einen Riesenberg wichtiger Arbeiten vor sich. Und damit die Chance, Europas Finanzmärkte weiter voranzubringen und den mündigen Anleger auf vernünftige Art und Weise zu schützen. So kann sie den privaten Vermögensaufbau unterstützen und dafür sorgen, dass Kapital von Kleinanlegern Investitionen der Realwirtschaft finanziert.Das ist insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit wichtig. Schließlich geht die EU-Kommission davon aus, dass allein um die klimapolitischen Ziele zu erreichen zusätzliches Kapital in Höhe von 180 Mrd. Euro jährlich nötig ist. Diese Summe wird wohl nur mit Hilfe der Mobilisierung privaten Kapitals aufzubringen sein. Daher ist die geplante verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen beim Anleger im Rahmen der Anlageberatung wichtig.Sie wird weiter für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren, so dass ein bereits bestehendes allgemeines Interesse zukünftig stärker nachfragewirksam wird. Voraussetzung dafür ist allerdings eine markt- und anlegerfreundliche Ausgestaltung der neuen Regelungen. Nur so kann es gelingen, viele Anleger für nachhaltige Geldanlagen zu begeistern. Schritt in Richtung StandardDer Deutsche Derivate Verband arbeitet an der Umsetzung. Geknüpft an die Anforderungen aus Mifid II, zukünftig für nachhaltige Finanzprodukte einen ESG-Zielmarkt zu bestimmen – also ökologische, soziale und Governance-Kriterien anzuwenden – haben wir einen ersten Schritt in Richtung Branchenstandard getan. Als nachhaltiges strukturiertes Wertpapier kommen vor allem Produkte in Frage, die mit Blick auf den Basiswert einer klaren Nachhaltigkeitsstrategie im Sinne eines positiven Beitrages folgen. Auch auf den Emittenten wird hier geschaut.Apropos Mifid II: Das Regelwerk trat 2018 an, den Anlegerschutz zu verbessern. Das hat nicht vollständig geklappt und ist hier und dort sogar nach hinten losgegangen. Eine überbordende Bürokratie führt dazu, dass mehr und mehr Anleger sowie auch die Banken selbst dem Kapitalmarkt den Rücken kehren. Die Kunden empfinden die neuen Anforderungen beispielsweise im Bereich der Produktaufklärung, der Kostentransparenz oder bei der telefonischen Aufzeichnung in der Anlageberatung häufig als Bevormundung. Das kann Europa sich nicht leisten. Insoweit sollte ernsthaft über die Einführung von Verzichtmöglichkeiten nachgedacht werden. Damit würde der Anleger selbst entscheiden können, welche Informationen er erhält und welche nicht.Der europäische Gesetzgeber hat den Reformbedarf grundsätzlich erkannt und eine Überarbeitung angekündigt. Mitte Februar 2020 hat die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation im Rahmen des Mifid/Mifir-Reviews veröffentlicht, welche die dringendsten Fragen in den Bereichen Anlegerschutz und Marktinfrastruktur adressiert, um hier gegebenenfalls zielgerichtete Anpassungen vorzunehmen. Dieser Weg ist bei der Mifid richtig, da eine punktuelle Abhilfe von Fehlentwicklungen nicht erneute substanzielle Implementierungskosten bei den Instituten hervorruft.Bei einem anderen wichtigen regulatorischen Projekt, der Priips-Verordnung der EU, wäre hingegen eine umfassende Überarbeitung dringend notwendig. Die Anforderungen, insbesondere für die Performance- und Kostenangaben, haben dazu geführt, dass sich das Basisinformationsblatt (BIB) als nicht praxistauglich erweist. Priips verunsichert AnlegerNach wie vor werden dem Anleger keine realistischen Performance-Werte angezeigt. Dafür weist die anzuwendende Methodologie zu viele strukturelle Schwächen auf. Auch bei den Kostenangaben gibt es Probleme. Dem Kunden werden im BIB und im Kostenausweis nach der Mifid II für ein und dasselbe Finanzprodukt unterschiedliche Zahlen vorgelegt, weil die Berechnungsvorgaben nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Folge: Anleger sind verunsichert und ignorieren die Informationsblätter ganz überwiegend. Der europäische Gesetzgeber, allen voran die EU-Kommission, muss der Priips-Überarbeitung nunmehr eine hohe Priorität einräumen. Es zeichnet sich ab, dass die Missstände nur mit einer ganzheitlichen und gründlichen Überholung aller Vorschriften zu beseitigen sind. Absicherung wird verteuertDas wäre auch an einer anderen Stelle angezeigt, und zwar im deutschen Einkommensteuerrecht – zugegeben keine Baustelle der EU-Kommission, aber nichtsdestotrotz sehr wichtig. Schließlich ist ein Ende der Niedrigzinsphase noch lange nicht in Sicht. Wer fürs Alter anspart, muss dosiert Risiken eingehen, um einem Geldwertverlust entgegenzuwirken. Und wer Risiken eingeht, sollte diese absichern können. Für Privatanleger sind an dieser Stelle strukturierte Wertpapiere das Mittel zum Zweck. Sie sind jederzeit handelbar, die Gebühren sind gering, und die Auswahl ist groß.Dennoch wurde ein Gesetz verabschiedet, das auch erhebliche Auswirkungen auf bestimmte Absicherungsinstrumente hat. Damit wird eine Absicherung deutlich erschwert und verteuert. Von Januar 2021 an dürfen Verluste aus Termingeschäften nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Es wird damit ein besonderer Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte etabliert. Zudem wird die Verlustverrechnung beschränkt auf 10 000 Euro pro Jahr. Dies umfasst die unterjährige Verlustverrechnung. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden, dann aber auch wieder beschränkt auf 10 000 Euro pro Jahr.Die Regelung betrifft nicht nur Verluste aus wertlosem Verfall (Totalverluste), sondern jedwede Verluste – also auch solche aus Veräußerungsgeschäften. Die Verlustrechnung wird im Bereich der Termingeschäfte somit erheblich eingeschränkt und führt zu einer unsachgemäßen Besteuerung des Anlegers. Auch die Geltendmachung bei Verlusten aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung oder Übertragung oder aus sonstigem Ausfall von (wertlosen) Wirtschaftsgütern wie Aktien wird auf 10 000 Euro jährlich begrenzt. Anders als bei Termingeschäften sind hier allerdings nur Totalverluste betroffen. Dies gilt bereits seit Januar 2020. Da Gewinne und Verluste nach den neuen Regelungen nicht mehr vollständig miteinander verrechnet werden, können auf den Anleger hohe Steuerzahlungen zukommen, selbst wenn dieser wirtschaftlich gar keinen Gewinn erwirtschaftet oder sogar einen Verlust erlitten hat. Dies stellt einen massiven Eingriff in den Markt dar. Hier sollte der Gesetzgeber dringend ein Einsehen haben und die Regelungen zeitnah deutlich entschärfen.Wenn dann die Brüsseler Baustellen noch im Sinne des Anlegerschutzes und der Finanzmarktstabilität gelöst werden, haben Deutschland und Europa gute Voraussetzungen geschaffen, die hiesigen Kapitalmärkte voranzubringen und es den Privatanlegern auch im Zinstief zu ermöglichen, Vermögen aufzubauen – idealerweise zunehmend mit nachhaltigen Investments. Henning Bergmann, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Derivate Verbands