Recht und Kapitalmarkt

In die Mitbestimmung kommt Bewegung

Europäische Gesellschaft bietet neue Möglichkeiten - Porsche im Gerichtsstreit - Justizministerin Zypries kommt VW zu Hilfe

In die Mitbestimmung kommt Bewegung

Von Hans-Joachim Fritz *) In die Gestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung kommt Bewegung. Mit der Möglichkeit der Gründung einer Europäischen Gesellschaft (SE) eröffnet die EU deutschen Unternehmen bislang ungeahnte Möglichkeiten: Die Allianz reduziert nach einer Umwandlung in eine SE die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder von 20 auf 12 Vertreter. Die BASF ordnet die konzernweite Mitbestimmung unter Einbeziehung des Europäischen Betriebsrates gleich komplett neu. Bei Porsche, bei der zukünftig die Finanzbeteiligung an Volkswagen von der SE gehalten wird, geht es um viel mehr. Dort streiten die Beteiligten, wie viele Arbeitnehmervertreter aus dem VW-Konzern einerseits und dem operativen Teil von Porsche andererseits in den Aufsichtsrat entsandt werden dürfen. Noch ist geplant, dass die Vertreter beider Unternehmen gleiche Stimmenanteile haben, obwohl Volkswagen weltweit – gemessen an der Belegschaft – fast 30-mal größer als Porsche ist. Hauptsacheverfahren Der sonst machtvolle Betriebsrat dieses bislang mit Staatsgarantien ausgestatteten Unternehmens fühlt sich in seinen Rechten beschnitten. Am 13. Februar 2008 soll vor dem Arbeitsgericht Stuttgart in dem Hauptsacheverfahren über die Stimmanteile darüber verhandelt werden, nachdem das Eilverfahren für die Arbeitnehmervertreter von Volkswagen verloren ging (Arbeitsgericht Stuttgart, Beschluss vom 24.10.2007, Az.: 12 BVGa 4/07). Nun kommt Bundesjustizministerin Zypries Volkswagen zu Hilfe. Der Bund will bei der Neufassung des VW-Gesetzes, das der Europäische Gerichtshof hinsichtlich seiner Sonderregelungen zu Sperrminoritäten und Entscheidungsmehrheiten mit dem europäischem Recht für unvereinbar erklärte (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 23.10.2007, Az.: C-112/05), wichtige Entscheidungen wie die Verlagerung von Produktionsstätten auch künftig nur von einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat des Konzerns beschließen lassen. Angesichts des protektionistischen Vorstoßes, mit dem die Ausnahmestellung dieses Unternehmens erneut gesichert werden soll, stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln Unternehmen sonst heute ihre Mitbestimmung “maßschneidern” oder gar ganz vermeiden können. Die paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 gilt für bestimmte Unternehmen in einer Kapitalrechtsform, in der mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dabei werden auch Mitarbeiter aus beherrschten Unternehmen der Konzernobergesellschaft zugerechnet. Für die Drittelmitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG vom 18.5.2004) liegt der Schwellenwert bei 500 Arbeitnehmern. Der Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist begrenzt. Die Mitbestimmung der Europäischen Gesellschaft ist in einer eigenen Arbeitnehmerbeteiligungsrichtlinie (RL 2001/86/EG vom 8.10.2001) festgelegt, die durch das sog. SE-Beteiligungsgesetz (SEBG vom 22.12.2004) umgesetzt worden ist. Können sich in einem sogenannten Besonderen Verhandlungsgremium Arbeitnehmervertreter und Unternehmensleitung über die zukünftige Gestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung, z. B. in einem monistischen Leitungssystem angelsächsischer Prägung nicht einigen, verbleibt es bei den bisherigen mitbestimmungsrechtlichen Regelungen. Mit dieser sogenannten Auffangregelung soll das höchste Mitbestimmungsniveau der an dem Gründungsvorgang beteiligten Gesellschaften auf den Aufsichtsrat einer SE übertragen werden. Letztlich ist mit der Umwandlung in eine SE ein Einfrieren des mitbestimmungsrechtlichen Status möglich, wovon bislang nur wenige Gesellschaften Gebrauch gemacht haben. Dies lohnt sich vor allem für Unternehmen, die selbst noch nicht mitbestimmt sind oder nur dem Drittelbeteiligungsgesetz unterfallen. Wenn später die für die deutschen Mitbestimmungsgesetze üblichen Schwellenwerte überschritten werden, erfolgt keine Zurechnung der Mitarbeiter zur SE, da diese Gesellschaftsform nicht an die einschlägigen Regelungen anknüpft. Dies gilt, solange eine strukturelle Änderung im Sinne von § 18 Abs. 3 SEBG, die geeignet ist, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, unterbleibt; ansonsten sind erneut Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretern und der Unternehmensleitung aufzunehmen. Die wirtschaftliche Aktivierung einer SE, deren Unternehmensgegenstand als Vorratsgesellschaft auf die Verwaltung des eigenen Vermögens beschränkt war, wird ebenso wenig wie ein organischer Mitarbeiterzuwachs als mitbestimmungsändernder Vorgang angesehen. Vielmehr muss es sich um gesellschaftsrechtliche Änderungen von erheblichem Gewicht handeln. Bestandsschutz Mit den Instrumenten der neueren europäischen Gesetzgebung kann der deutsche Mitbestimmungsstandard auch abgelöst werden. Die deutsche Gesellschaft wird mit einem Unternehmen im Ausland verschmolzen, das dort keiner Mitbestimmung unterliegt. Das auf der Grundlage einer europäischen Richtlinie (Art. 16 RL 2005/56/EG vom 25.10.2005) ergangene Gesetz zur Umsetzung der Regelung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen (MgVG vom 21.12.2006) sieht zwar einen Bestandsschutz von drei Jahren vor. Da sich dieses Gesetz jedoch im Grundsatz an den Regelungen des SEBG orientiert und ausdrücklich den Unternehmensleitungen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ermöglicht, auch ohne Verhandlungen unmittelbar mit der Eintragung des neuen Unternehmens die gesetzliche Auffanglösung anzuwenden, orientiert sich die Mitbestimmung nach den einschlägigen, in aller Regel auch weniger eingriffsintensiven Vorschriften des jeweiligen nationalen Rechts. Dieser Vorgang wird von den Gewerkschaften besonders intensiv begleitet. RechtsunsicherheitIm Vergleich hierzu erscheinen andere Möglichkeiten, die unternehmerische Mitbestimmung zu vermeiden, eher aufwendig und rechtsunsicher. Bei einer Reduzierung der Obergesellschaft auf den Zweck einer reinen inländischen Vermögensholding, bei der zudem mit den Beteiligungsgesellschaften Entherrschungsverträge geschlossen werden, lässt sich nicht mit Bestimmtheit die Konzernzurechnung ausschließen. Die Ausdehnung von Leiharbeitnehmerverhältnissen, die bislang nicht als Arbeitnehmer im mitbestimmungsrechtlichen Sinne verstanden worden sind, da lediglich ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bestand, ist allenfalls kurzfristig geeignet, das Überschreiten der Schwellenwerte zu verhindern. Dasselbe gilt für die Gründung oder Umwandlung eines Unternehmens in die Rechtsform einer Stiftung & Co. KG oder einer GmbH & Co. KG, weil die KG als Personengesellschaft nicht von dem abschließenden Katalog an Kapitalgesellschaften, den die deutschen Mitbestimmungsgesetze aufstellen, erfasst ist. Jedoch gilt dies nicht für die Komplementärgesellschaft. Zwar ist die Verlegung einer ausländischen Kapitalgesellschaft in das Inland, die grundsätzlich nicht dem deutschen Mitbestimmungsgesetz unterliegt, denkbar. Es ist aber nicht auszuschließen, dass im Zuge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der die Beibehaltung der ursprünglichen Gesellschaftsform stützt (zuletzt Urteil vom 30.9.2003, Az.: C-167/01 – “Inspire Art”), ausländische Gesellschaften aufgrund internationaler privatrechtlicher Bestimmungen unter das Mitbestimmungsrecht fallen. Eine klarstellende Entscheidung fehlt bislang. Schließlich kann die Mitbestimmung seit der inzwischen rechtskräftigen Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.10.2006, Az.: I-26 W 14/06; Zurückweisungsbeschluss des BGH vom 21.5.2007, Az.: II ZB 3/07) nicht allein durch die Gründung einer ausländischen Holding ausgeschlossen werden, wenn eine kapitalmäßige Verflechtung über eine Zwischenholding und die ihr nachgeordneten Konzerngesellschaften besteht. Inwieweit es auch auf das Ausüben von Leitungsfunktionen ankommt, mit denen unternehmerische Einflussnahme überhaupt erst möglich ist, blieb ausgeklammert. Gelegenheit zum HandelnVor diesem Hintergrund ist die Gestaltungsmöglichkeit zur Begrenzung oder Vermeidung der unternehmerischen Mitbestimmung vor allem für Gesellschaften interessant, die entweder bislang keine guten Erfahrungen damit gemacht haben oder die Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene deutlich begrenzt wissen wollen. Insofern bietet das europäische Gesellschaftsrecht die Gelegenheit zum Handeln, um die Mitbestimmung auf den Prüfstand zu stellen. Eine Konstruktion, wie sie für das VW-Gesetz vorgesehen ist, bleibt für Deutschland einmalig. *) Dr. Hans-Joachim Fritz ist Rechtsanwalt und Partner bei Kaye Scholer in Frankfurt.