Recht und Kapitalmarkt

In Konzerninsolvenz den Unternehmenswert erhalten

Verfügung des New Yorker Gerichts verhindert Zerschlagung - Der Fall LyondellBasell und die Auswirkung auf die desolate Autoindustrie

In Konzerninsolvenz den Unternehmenswert erhalten

Von Hermann J. Knott *)”Nicht zerschlagen, was zusammengehört.” So könnte man ein Zitat von Willy Brandt abwandeln, um auf das Risiko der Zerschlagung von Unternehmensgruppen in der Insolvenz hinzuweisen. Häufig sind vom Zusammenbruch auch Konzerne mit internationalen Beteiligungsstrukturen betroffen. Bestes Beispiel dafür ist die Autoindustrie mit ihren Zulieferern. Hier sind nicht nur die großen Hersteller wie GM und Chrysler, sondern auch Mittelständler wie kürzlich Tedrive und Edscha betroffen. Im GeflechtInsolvenzverfahren beziehen sich stets nur auf einzelne Gesellschaften: “Eine Gesellschaft, eine Insolvenz.” Es gibt bislang kein Insolvenzrecht für Konzerne. Geht also eine operative Konzerngesellschaft in die Insolvenz und haben Gruppengesellschaften für Darlehen Sicherheiten gestellt, können die Gläubiger solche Sicherheiten durchsetzen und dadurch eine bessere Position gewinnen, als wenn sie sich nur an den Insolvenzschuldner halten können.Dieser Umstand sowie die dann meist auch zusammenbrechende Konzernfinanzierung treiben häufig auch andere Gruppengesellschaften in den Ruin. Als Folge davon gibt es häufig getrennte und voneinander unabhängige Insolvenzverfahren über das Vermögen der einzelnen Gesellschaften. Dabei besteht die Gefahr, dass die einzelnen in den jeweiligen Gesellschaften enthaltenen Werte (z. B. der Kundenstamm für den Vertrieb in verschiedenen Ländern) durch die Verfahrensfragmentierung vernichtet werden. In derartigen Konstellationen scheitert dann die Veräußerung des Gesamtunternehmens etwa im Wege einer übertragenden Sanierung auf einen Investor zu einem angemessenen Preis.Dieses Phänomen ist besonders akut, wenn parallele Verfahren im Ausland laufen. Dann ist nämlich die Divergenz der Interessen meist zu groß, um auf Ebene der Verfahrensabwicklung noch eine informelle Verständigung erreichen zu können.Dem Bestreben nach größerer internationaler und gruppenweiter Wirkung der Sanierung hat kürzlich das Insolvenzgericht des südlichen Bezirks von New York Vorschub geleistet. In einer vielbeachteten einstweiligen Verfügung im Rahmen der gerichtlich überwachten Reorganisation des amerikanischen Teils des multinationalen Petrochemie-Konzerns LyondellBasell nach Chapter 11 hat Judge Robert Gerber diese Position unterstützt. In der Verfügung wird den Gläubigern von Lyondell Chemical untersagt, Sicherheiten durchzusetzen, die vor dem Reorganisationsverfahren von in das US-Verfahren nicht einbezogenen ausländischen Gruppengesellschaften (sogenannten Non-Debtor Affiliates) gewährt worden waren. Außerdem verbietet Judge Gerber den Inhabern von Schuldverschreibungen (Noteholders) der Gesellschafterin von Lyondell, die in Luxemburg ansässig ist, ihre Ansprüche gegen Non-Debtor Affiliates zu verfolgen. New York und LuxemburgEs ist schon bemerkenswert: Da geht ein amerikanischer Insolvenzrichter hin und will dem Rest der Welt vorschreiben, wo es gefälligst langzugehen hat. Aber das hat einen guten Grund und könnte letztlich im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen: Lyondell hatte ein Sanierungsdarlehen erhalten, die Debtor in Possession (DIP) Facility, von dem auch operative Non-Debtor Affiliates profitierten. Wäre es nun zu den untersagten Maßnahmen gekommen, hätte dies wohl die Insolvenz der Luxemburger Mutter von Lyondell zur Folge gehabt. Damit wäre die Fortführung der Reorganisation in den USA wegen der Beteiligung des ausländischen Insolvenzverwalters der Luxemburger Mutter gefährdet gewesen. Außerdem hätte die Insolvenz der Mutter die Vereinbarungen mit den Gläubigern gefährdet. Letztlich könnten die Gläubiger von Lyondell und die Inhaber der Schuldverschreibungen nach Ansicht des Gerichts ihre Ansprüche sowieso nur wirksam durchsetzen, wenn Lyondell saniert würde, erlitten also keine dauerhaften Nachteile.Judge Gerbers Verfügung bezieht sich auf im Ausland vorgenommene Handlungen der betroffenen Personen (Non-Debtor Affiliates und Noteholders). Die Verfügung kann aber nur in den USA durchgesetzt werden. Die Gläubiger sind frei, wie sie sich gegenüber den Obergesellschaften im Ausland verhalten. Aber – und darauf kommt es an – die Verfügung ermöglicht die Sanktionierung solcher Maßnahmen durch US-Gerichte. Da man sich bekanntlich im Leben immer zweimal sieht (und wenn auch nur vor amerikanischen Gerichten), ist mit einer erheblichen Auswirkung auf das Verhalten der Betroffenen zu rechnen.Ob ein deutsches Gericht eine derartige Verfügung erlassen hätte, ist zweifelhaft. Es dürfte an einem Anspruch von Lyondell gegen die Gläubiger und Noteholder fehlen, auf den man einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stützen könnte. Das in der Verfügung untersagte Vorgehen ist nämlich (auch) nach deutschem Recht im Prinzip legitim. Die Verfügung ist daher nur als Schutz des Reorganisationsverfahrens nach Chapter 11 erklären. Wichtig für GM/OpelErhebliche Auswirkungen könnte die Verfügung in bestimmten Konstellationen auf den deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr im Insolvenzrecht entfalten, und zwar in all denjenigen Fällen, in welchen sich für das Chapter-11-Verfahren bedeutsame Vorgänge in Deutschland abspielen. Um einer eventuellen Reorganisation von GM nach Chapter 11 zum Erfolg zu verhelfen, könnte ein US-Insolvenzrichter den Gläubigern von GM untersagen, von Opel gestellte Sicherheiten durchzusetzen. Zu einer solchen Verfügung bestünde aber nur dann Anlass, wenn Opel z. B. von einem Sanierungsdarlehen begünstigt wäre oder einen für den Erfolg des Chapter-11-Verfahrens wesentlichen Beitrag leisten könnte. Danach sieht es aber derzeit nicht aus; alle Anzeichen deuten auf ein Ausscheiden von Opel aus der Gruppe hin.Um in Verhandlungen mit Investoren im Hinblick auf staatliche Garantien nicht wegen des erwarteten Antrags von GM nach Chapter 11 in Zeitdruck zu geraten, plant die Bundesregierung, Opel-Aktien vorher von einem Treuhänder übernehmen zu lassen. Gerade die hier besprochene Verfügung ist Beleg für das Risiko einer weit reichenden Hand eines GM-Insolvenzrichters, der versuchen könnte, auch werthaltiges Opel-Vermögen ins US-Verfahren mit einzubeziehen. Daher soll Opel vorher herausgelöst werden, obwohl Opel auch im Rahmen eines solchen Verfahrens zunächst überleben könnte. Chapter 11 für GM erstreckt sich formal nicht auf Opel.Die besprochene Verfügung betont die konzernweite Dimension der Insolvenz. Kritisch ist der Einmischungseffekt in allein von ausländischen Rechten beherrschte Verhältnisse zu sehen. In der Gesamtabwägung überwiegt aber wohl doch der in den bestehenden insolvenzrechtlichen Kodifizierungen nicht hinreichend berücksichtigte Aspekt, eine konzernweit möglichst einheitliche Befriedigung der Gläubiger zu erreichen. Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 sind bei den Gläubigern allerdings nicht beliebt: Ihnen geht der Einfluss verloren. Das zeigt sich bei Chrysler: Bevorrechtigte Gläubiger und die sonst in den USA so umsorgten Händler müssen unter dem Druck der Task Force der US-Regierung deutlich Federn lassen. Da das Verfahren auf Eigenantrag des Unternehmens eingeleitet wird, können Gläubiger die Entscheidung nur begrenzt beeinflussen. Die Verfügung des New Yorker Gerichts wird die Unbeliebtheit von Verfahren nach Chapter 11 in Gläubigerkreisen eher noch erhöhen. Die Rettung der US-Autoindustrie über Chapter 11 ist ein politischer Prozess in juristischem Kleid. Deutsche Gläubiger sollten sich daher auf ihre Rechte gegenüber ausländischen Gruppengesellschaften konzentrieren, solange sie daran nicht faktisch durch eine Verfügung des US-Insolvenzrichters des besprochenen Inhalts gehindert werden.—-*) Dr. Hermann J. Knott, LL.M. (University of Pennsylvania), ist Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York). Er ist Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft.