Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Thomas Kaiser-Stockmann

"In Schweden besteht eine geringere Regelungsdichte als in Deutschland"

MAN-Pläne rücken Übernahmerecht in den Fokus - Gleiche Gegenleistung für A- und B-Aktien erforderlich

"In Schweden besteht eine geringere Regelungsdichte als in Deutschland"

Das schwedische Übernahmerecht ist mit dem Versuch von MAN, Scania zu übernehmen, in den Fokus gerückt. Die Börsen-Zeitung befragte Thomas Kaiser-Stockmann, Partner in Berlin von Mannheimer Swartling, der führenden Kanzlei Schwedens, dazu. – Herr Dr. Kaiser-Stockmann, in welchen konzeptionellen Punkten unterscheidet sich das schwedische vom deutschen Übernahmerecht?Das schwedische Übernahmerecht basiert traditionell auf Selbstregulierung. Im Zuge der EU-Übernahme-Direktive wurden Übernahmerichtlinien und das Übernahmegesetz eingeführt, das kürzlich novelliert wurde. Das Gesetz regelt Pflichtangebote, freiwillige Angebote sowie Abwehrmaßnahmen und enthält die Verpflichtung, die Vorschriften des jeweiligen Marktsegments zu beachten. Das Gesetz schließt fortwährende Selbstregulierung durch den Schwedischen Industrie- und Börsenausschuss nicht aus. Es stellt die Regulierung von Übernahmeangeboten nach den Vorgaben der EU-Direktive sicher. Die schwedische Finanzaufsicht wurde als zentrale Überwachungsbehörde eingerichtet, die – wie die BaFin – auch über eigene Sanktionsmöglichkeiten verfügt. – Was ist bei einem Erwerbsangebot in Schweden besonders zu beachten?Das schwedische Übernahmerecht ist vom Grundsatz der Gleichbehandlung geprägt, auch in Bezug auf den Angebotspreis. Entscheidungen über Abwehrmaßnahmen sind grundsätzlich der Gesellschafterversammlung des Zielunternehmens vorbehalten. Die nötigen Vorbereitungen müssen dem Angebot vorangegangen sein, einschließlich der Sicherstellung der Finanzierung, deren Zustandekommen allerdings zur Bedingung gemacht werden kann. Ein Angebot darf nicht unter einem generellen Vorbehalt stehen. Bedingungen sind allerdings möglich und üblich. Sie müssen objektiv und außerhalb des Einflussbereichs des Bieters sein. Eine Angebotspflicht wird bei Vorliegen von mindestens 30 % der Stimmrechte ausgelöst. – Was sind die Knackpunkte für den Erfolg einer Offerte?Institutionelle Anleger stehen für etwa 85 % der Marktkapitalisierung der Stockholmer Börse. Ihre Einbindung und Unterstützung ist häufig entscheidend für das Gelingen eines Angebotes. Eine gute Planung und Vorbereitung ist wichtig. Bei einem freundlichen Angebot ist der Bieter nicht selten auf Due Diligence angewiesen. Das Fehlen konkurrierender Angebote ist der Schlüssel, ebenso wie die Unterstützung durch den Verwaltungsrat der schwedischen Zielgesellschaft (Aktiebolag). Dass ein Angebot auch gegen das Topmanagement möglich ist, hat kürzlich das Beispiel der Versicherung Skandia gezeigt. Regelmäßig sucht der Bieter vor der Abgabe die Unterstützung strategischer Gesellschafter für sein Angebot. – Welche Akzeptanzschwellen sind zu berücksichtigen?Freiwillige Angebote werden in Schweden grundsätzlich für das gesamte Aktienkapital der Zielgesellschaft gemacht, üblicherweise mit der Bedingung einer 90-prozentigen Annahme (Squeeze-out-Schwelle), auf die jedoch später verzichtet werden kann. – Welche Vorgaben gibt es für die Preissetzung?Bei einem freiwilligen Angebot kann der Angebotspreis grundsätzlich frei gebildet werden. Ein Premium gegenüber dem aktuellen Marktpreis wird erwartet. Nach den Übernahmerichtlinien darf der Angebotspreis den höchsten vom Bieter in den vergangenen sechs Monaten gezahlten Preis für entsprechende Aktien nicht unterschreiten. Der Bieter muss allen Aktionären, auch solchen verschiedener Aktienklassen, dieselbe Gegenleistung anbieten, soweit keine sachlichen Gründe eine Abweichung rechtfertigen. Das hat besondere Bedeutung für Aktien der Klasse A, die nach schwedischem Gesellschaftsrecht Mehrfachstimmrechte gegenüber B-Aktien haben können. – Welche Fristen hat der Erwerber zu beachten?Die Angebotsfrist muss mindestens drei und darf höchstens zehn Wochen betragen. Die Frist kann von dem Bieter verlängert werden, soweit er sich das vorbehalten hat. – Gibt es im Übernahmefall Unterschiede zwischen A- und B-Aktien?Viele Stockholmer Börsengesellschaften haben von dem Institut der Mehrfachstimmrechte Gebrauch gemacht. Inzwischen hat der schwedische Gesetzgeber zwar die Möglichkeit geschaffen, davon abzuweichen (“breakthrough”). Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass viele Gesellschaften diese Möglichkeit nutzen. Denn Mehrfachstimmrechte schaffen klare Stimmverhältnisse, was bei Übernahmen geschätzt wird. Daneben sind Mehrfachstimmaktien der Klasse A im Übernahmefall nicht anders zu behandeln als B-Aktien. – Welche Regeln herrschen für einen Squeeze-out in Schweden?Der Herauskauf schwedischer Minderheitsaktionäre ist einfacher als in Deutschland. Ein Squeeze-out-Verfahren kann bereits bei 90 % der Stimmrechte durchgeführt werden. Das Verfahren wird auf Verlangen der Muttergesellschaft eingeleitet. Ein separater Hauptversammlungsbeschluss, der in Deutschland häufig Anlass für Anfechtungsklagen ist, ist nicht erforderlich. Über die Höhe entscheidet im Streitfall statt einer langjährigen Spruchstelle ein aus Praktikern bestehendes Schiedsgericht. Parallel zum Squeeze-out- Recht der Muttergesellschaft besteht in Schweden auch ein Andienungsrecht der Minorität. – Gibt es kulturelle Unterschiede? Wie auch in Deutschland sind Übernahmeangebote in Bezug auf oder von schwedische(n) Gesellschaften nicht immer freundlich. “Räuberische” Aktionäre, die versuchen, Squeeze-out-Abfindungen über langjährige – von der Gesellschaft zu zahlende – Gerichtsverfahren in die Höhe zu treiben, sind der schwedischen Kultur gelisteter Gesellschaften eher fremd. Die Rahmenbedingungen für Übernahmen sind günstig: Ein zentrales Unternehmensregister (Patent- och Registreringsverket) erteilt online Auskünfte in Englisch und Deutsch. Kündigungsschutz mit Sozialauswahl und paritätische Mitbestimmung existieren nicht. Generell besteht eine geringere Regelungsdichte als in Deutschland. Dr. Thomas Kaiser-Stockmann ist Partner bei Mannheimer Swartling in Berlin. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.