RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: KARSTEN WÖCKENER UND CARSTEN LÖSING

Initial Coin Offering als Alternative zu Venture-Capital-Finanzierungen

Unterschiedliche Token-Formen lösen entsprechende Folgepflichten aus

Initial Coin Offering als Alternative zu Venture-Capital-Finanzierungen

– Herr Wöckener, Herr Lösing, Initial Coin Offering liegt im Trend. Wird es von Dauer sein?Lösing: ICO steht für eine Kapitalaufnahme durch Einlage virtueller oder herkömmlicher Währungen gegen Ausgabe sogenannter Token. Seit Anfang 2018 wurden knapp 18 Mrd. Dollar durch ICOs eingesammelt. Ob dies ein nachhaltig anhaltender Trend ist, hängt von den Entwicklungen auf regulatorischer Ebene ab. Fakt ist, dass sich auch der Kapitalmarkt zunehmend digitalisiert.- Welche Vorteile werden ICOs zugeschrieben?Wöckener: Zwar suggeriert das Wort “ICO” eine Nähe zum IPO. Jedoch werden beim ICO anstelle von klassischen Unternehmensanteilen digitale Münzen in Token angeboten. ICOs verbinden Crowdfunding mit Blockchain-Technologie. Zurzeit finden ICOs in zwei Grundformen statt: basierend auf Smart Contracts (Programmiercodes) beziehungsweise verteilten Anwendungen (Distributed Apps) und in der Schaffung komplett neuer Blockchains und Währungen. Sie stellen damit eine kostengünstige, verhältnismäßig einfache und flexible Alternative zu Venture-Capital-Finanzierungen dar. Da vor Projektentwicklung kaum Eigenkapital aufgewendet werden muss, sinkt zudem das eigene finanzielle Risiko enorm. Das macht ICOs zu einer attraktive Alternative zu traditionellen Finanzierungen, insbesondere für Start-ups, aber auch für etablierte Unternehmen.- Welche Token-Formen sehen Sie in der Praxis?Lösing: Die unterschiedlichen Formen von Token unterliegen keiner feststehenden Kategorisierung. Es lassen sich grob folgende Token-Arten unterscheiden: Currency Token können als Zahlungsmittel für Waren oder Dienstleistungen eingesetzt werden (zum Beispiel Bitcoin). Diese werden von der BaFin als Rechnungseinheit und damit als Finanzinstrument eingestuft. Bei Investment- oder Security-Token stehen Gewinnerwartungen im Vordergrund, sei es beim Verkauf der Token oder in Form von Zinsen oder Dividenden. Hier liegt eine Einstufung als Wertpapier und Finanzinstrument oder als Vermögensanlage nahe. Und Utility-Token, die dem Investor einen Anspruch auf eine Ware oder Dienstleistung verschaffen. In Abhängigkeit von der Ausgestaltung greift die Finanzmarktregulierung nicht, wohl aber zivilrechtliche Gewährleistungs- und Haftungsansprüche.- Welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich?Wöckener: Aus der Einordnung der Token ergibt sich der anwendbare Rechtsrahmen mit den entsprechenden Folgepflichten: Benötige ich Lizenzen, um das Instrument begeben und/oder platzieren zu können, und ferner kapitalmarktrechtliche Fragestellungen: Unter welchen Voraussetzungen kann eine Platzierung erfolgen? Ist ein Wertpapierprospekt erforderlich? Da regelmäßig eine globale Ansprache von Investoren erfolgen soll, sind diese Fragestellungen nicht nur in Bezug auf die Heimatjurisdiktion des Emittenten zu klären, sondern auch in Bezug auf die Länder, in denen platziert werden soll.- Wie wird ein ICO dokumentiert?Lösing: Üblicherweise wird ein ICO durch ein sogenanntes White Paper dokumentiert, vergleichbar einem vereinfachten Wertpapierprospekt. Es enthält regelmäßig Angaben zum Emittenten, dem Geschäftsmodell, den Token, dem geplanten ICO und dem Verwendungszweck der erzielten Einnahmen. Allgemeine Geschäftsbedingungen enthalten regelmäßig die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die rechtlichen Hintergründe des Projekts. Das Subscription Agreement stellt auch beim ICO das eigentliche Erwerbsdokument dar.- Wie reagiert die Aufsicht?Wöckener: Zahlreiche Aufsichtsbehörden haben Stellungnahmen herausgegeben. So hat die BaFin virtuelle Währungen als Finanzinstrumente eingeordnet. Zudem bestätigen die Aufsichtsbehörden, dass es ICOs gibt, die keiner Regulierung unterliegen, was für Betrüger ein attraktives Umfeld ist. An sich ist der Gesetzgeber gefordert, für eine klare, aber nicht überbordende Regulierung zu sorgen. Mit Umsetzung der fünften Geldwäscherichtlinie Anfang 2020 werden Plattformen für virtuelle Währungen unter anderem zur Identifizierung der Vertragspartner verpflichtet.—-Karsten Wöckener ist Partner in Frankfurt und Dr. Carsten Lösing ist Local Partner im Hamburger Büro von White & Case.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.