RECHT UND KAPITALMARKT

Insolvenz muss für Eigner nicht das Ende sein

Centrotherm als Blaupause zur Rettung börsennotierter Unternehmen - ESUG bringt Optionen zur Restrukturierung im Planverfahren

Insolvenz muss für Eigner nicht das Ende sein

Von Laurenz Wieneke *)Nach Pfleiderer geht mit Centrotherm das zweite große Schutzschirmverfahren unter dem ESUG auf die Zielgerade. Das im vorigen Jahr in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) sollte die Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen erleichtern. Das wurde im Fall Centrotherm in beispielhafter Weise erreicht. Das Besondere dabei ist, dass es daneben gelungen ist, den Kapitalmarktzugang der bislang börsennotierten Gesellschaft zu sichern. Bei dem im Rahmen der Insolvenz vollzogenen Kapitalschnitt wurden die Altaktionäre nicht komplett enteignet, sondern 20 % ihres Aktienbestandes bleiben erhalten. Gläubiger als AktionäreIn der Zielstruktur nach Beendigung des Insolvenzverfahrens verfügt die Gesellschaft über dieselbe Zahl von Aktien wie vor der Insolvenz. Allerdings sind die Gläubiger über eine Verwaltungsgesellschaft mit 80 % am Kapital beteiligt, 20 % verbleiben bei den Altaktionären.Zu diesem Zweck wurde in einem ersten Schritt zunächst das Kapital durch Zusammenlegung der Aktien im Verhältnis 5 zu 1 auf 20 % reduziert. Nach diesem Kapitalschnitt findet in einem zweiten Schritt ein Debt Equity Swap statt. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage: Die Gläubiger bringen einen Teil ihrer Forderungen in die Gesellschaft ein. Dies führt zu einem Erlöschen der Forderungen und damit zu einer substanziellen Entschuldung der Gesellschaft. Für den verbleibenden Teil der Forderungen sieht der Insolvenzplan eine Stundung vor, was die Liquidität schont.Damit setzt sich die Befriedigung der Gläubiger aus zwei Komponenten zusammen, zum einen der Mindestquote, die sie durch Begleichung der gestundeten Forderungen erhalten, und zum anderen Erlösen aus dem Weiterverkauf der Aktien. Die Verwaltungsgesellschaft hat den Auftrag, die übernommenen Aktien in etwa drei Jahren zu verkaufen und Erlöse an die Gläubiger zu reichen. Vorteil BörsennotierungAuch im Fall Pfleiderer ging es technisch um einen Debt Equity Swap. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, dass bei Pfleiderer das Kapital im ersten Schritt auf null herabgesetzt wurde. Im zweiten Schritt hat dann ein Investor gegen Einlage von Forderungen das gesamte neue Kapital übernommen. Für die Altaktionäre bedeutet dies einen Verlust der Beteiligung an der Gesellschaft. Die Börsennotierung ist erloschen. Der Begriff des “insolvenzrechtlichen Squeeze-out” macht seitdem die Runde.Demgegenüber halten die Altaktionäre bei Centrotherm weiterhin 20 % an der Gesellschaft. Dadurch konnte zum ersten Mal in Deutschland erreicht werden, dass ein Unternehmen nach einem Debt Equity Swap in der Insolvenz an der Börse gelistet bleibt. Auf den ersten Blick bleiben aus Sicht der Gläubiger damit aber auch die Alteigentümer mit 20 % am Wert des Unternehmens beteiligt. Dieser steht in der Regelinsolvenz eigentlich den Gläubigern zu. Bei genauer Betrachtung kann die Börsennotierung aber für die Gläubiger einen erheblichen Wert haben.Die Optionen, die der Treuhandgesellschaft im Rahmen des Exit für die Verwertung ihrer Aktien zur Verfügung stehen, werden nämlich durch die Fortsetzung des Börsenhandels erheblich erweitert. Insbesondere besteht die zusätzliche Option, die Aktien verhältnismäßig einfach und kostengünstig durch Platzierung am Kapitalmarkt zu verwerten. Als Erwerber kommen dabei neben strategischen Investoren auch kapitalmarktorientierte institutionelle oder private Finanzanleger in Betracht. Damit wird das Spektrum möglicher Investoren erheblich verbreitert. Dies allein kann die möglichen Verwertungserlöse erhöhen. Ein weiterer Vorteil des fortgesetzten Börsenhandels ist, dass die Gläubiger auf Basis des Kursverlaufs ein belastbares Bild von der Markteinschätzung der Gesellschaft und der Wertentwicklung ihrer Beteiligung erhalten. Damit profitieren sie mittelbar von den größeren Publizitätsanforderungen, denen börsennotierte Unternehmen unterliegen. Gerade in Zeiten, in denen Börsengänge aufgrund der hohen Volatilität der Märkte sehr schwierig sind, stellt eine bestehende Notierung einen nicht unerheblichen Wert dar. Nicht zuletzt kann das Listing auch die Glaubwürdigkeit der Gesellschaft im Geschäftsverkehr steigern.Für die Aufrechterhaltung des Börsenhandels ist ein gewisser Streubesitz unabdingbar. Aus diesem Grund scheidet, wenn nicht eine Vielzahl von Gläubigern im Wege des Debt Equity Swap unmittelbar in Aktien wechseln will, ein Kapitalschnitt auf null aus. In welchem Umfang die Altaktionäre dabei zur Aufrechterhaltung eines Free Float beteiligt bleiben müssen, hängt von der Aktionärsstruktur und der Marktkapitalisierung im Einzelfall ab. Befreit vom PflichtangebotSind die Aktien der Schuldnerin an einem regulierten Markt notiert, sind die Vorgaben des Übernahmerechts zu beachten. Nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist ein Investor, der eine Kontrollmehrheit von mindestens 30 % der Stimmrechte erwirbt, verpflichtet, den anderen Aktionären ein Pflichtangebot abzugeben. Diese Pflicht hätte ohne eine entsprechende Befreiung durch die BaFin auch die Verwaltungsgesellschaft im Fall Centrotherm mit ihrer Beteiligung von 80 % getroffen.Aufgrund eines solchen Pflichtangebots hätten die Altaktionäre das Recht gehabt, der Verwaltungsgesellschaft ihre Aktien anzudienen. Wirtschaftlich hätte der Erhalt der Börsenfähigkeit bei einem Pflichtangebot keinen Sinn mehr gemacht – der Free Float würde weiter reduziert und es wäre im Ergebnis zu einer Zahlung der Gläubiger an die Alteigentümer gekommen. Das würde eine Pervertierung grundlegender insolvenzrechtlicher Wertungen bedeuten. Vom Ergebnis war daher die Erteilung einer Sanierungsbefreiung durch die BaFin naheliegend.Für eine solche Befreiung sind nicht nur Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft erforderlich, sondern auch ein substanzieller Sanierungsbeitrag. Dieser wird von den Gläubigern durch die teilweise Einbringung und teilweise Stundung ihrer Forderungen erbracht. Dieser Beitrag muss aber auch der Verwertungsgesellschaft zugerechnet werden, die jedenfalls im Fall Centrotherm das Recht zur weisungsfreien Stimmrechtsausübung und damit die formale Kontrollposition erwerben soll. Auch diese Konstellation war neu. Hierbei konnte die BaFin berücksichtigen, dass der zeitlich befristete und zweckgebundene Erwerb der Kontrolle gerade nicht die typischerweise mit dem Kontrollerwerb verbundene Rechtsmacht verschafft. Vor diesem Hintergrund konnte die Befreiung für die Verwaltungsgesellschaft erteilt werden.Dass die Befreiung richtig ist und im Interesse des Kapitalmarktes liegt, zeigt folgende Kontrollüberlegung: Im Insolvenzplan haben die Gläubiger die Möglichkeit, die Altaktionäre völlig zu verdrängen, ohne irgendetwas dafür zusätzlich aufwenden zu müssen. Die Pflicht zur Abgabe eines teuren Übernahmeangebots käme einer Bestrafung der Gläubiger dafür gleich, dass sie den Altaktionären überhaupt einen Teil der Altaktien belassen. Die wirtschaftliche Folge wäre immer der Kapitalschnitt auf null, womit sich die zum Schutz der außenstehenden Aktionäre gedachte Übernahmeangebotspflicht in ihr Gegenteil verkehren würde. Es ist daher zweifelhaft, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, die Befreiung noch an den strengen Sanierungstatbestand zu knüpfen. Vielmehr sollte der Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren ohne weiteres immer befreit sein.Der Fall Centrotherm ist ein Beweis dafür, dass für die Anteilseigner die Insolvenz nicht das Ende bedeuten muss. Daher sollten gerade Vorstände von börsennotierten Unternehmen rechtzeitig die mit dem ESUG eingeführten Optionen einer Restrukturierung im Insolvenzplanverfahren in Betracht ziehen. Auf diese Weise kann ein Ausgleich der Interessen der Aktionäre und der Gesellschaft am Fortbestand und am Kapitalmarktzugang des Unternehmens sowie der Gläubiger an der bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen geschaffen werden.—-*) Dr. Laurenz Wieneke ist Partner der Kanzlei Noerr.