Recht und Kapitalmarkt

Insolvenzordnung führt zur Vernichtung von Werten

Zehn Jahre nach Inkrafttreten ist die Weiterentwicklung des deutschen Sanierungsrechts im internationalen Kontext unabdingbar

Insolvenzordnung führt zur Vernichtung von Werten

Von Olaf Gebler *) —- Die Insolvenzordnung ist 2009 zehn Jahre alt. Sie hatte die alte Konkursordnung unter anderem mit dem Ziel abgelöst, die Sanierung gleichberechtigt neben die Zerschlagung zu stellen. Dieses Ziel wurde aber nur zum Teil erreicht. So stimmt es zwar, dass mit Hilfe des Planverfahrens die Sanierung des Unternehmensträgers durchgeführt werden kann. Mit der übertragenden Sanierung steht zudem ein geeignetes Mittel zur Verfügung, um den überlebensfähigen Kern eines Unternehmens unter Zurücklassen der Schulden zu erhalten. Insolvenzausfallgeld oder das Wahlrecht des Insolvenzverwalters in Bezug auf nachteilige Verträge sind weitere sanierungsfreundliche Elemente. Erwartungen nicht erfülltBei grenzüberschreitender Betrachtung erfüllt das deutsche Insolvenzrecht die gestellten Erwartungen aber nicht. Bei global aufgestellten Konzernen ist eine enge Abstimmung und Verzahnung von Zeitplan, Ablauf und Durchführung einer Restrukturierung durch die Beteiligten erforderlich; ein einmal gefasster Plan muss ohne Risiken, zügig und gegebenenfalls auch gegen den Widerstand einzelner Gläubiger oder Gesellschafter durchgesetzt werden können. Das gilt in der Regel für die gesamte oder zumindest für die wesentlichen Teile der Gruppe, da wegen der wechselseitigen Liefer- und Leistungsbeziehungen die Insolvenz einer einzelnen Gruppengesellschaft häufig zum Zusammenbruch des Unternehmensverbunds und damit zum Scheitern der Sanierung führt.In internationalen Restrukturierungsfällen investieren die finanzierenden Banken und andere Großgläubiger daher erhebliche Ressourcen in eine synchrone Restrukturierung aller Gesellschaften mit dem Ziel des Erhalts der gesamten Gruppe. Nur dadurch kann der im Zerschlagungsfall eintretende Wertverlust vermieden werden.An der hierfür erforderlichen Berechenbarkeit, Durchsetzbarkeit und Schnelligkeit des zum Einsatz kommenden Instrumentariums fehlt es dem deutschen Recht jedoch. Für ein mit den Gläubigern vorbesprochenes, zügig umsetzbares sowie berechen- und planbares Sanierungskonzept hat die Insolvenzordnung im Rahmen grenzüberschreitender Restrukturierungen in der Praxis keinen Anwendungsbereich.Damit katapultiert sich das deutsche Insolvenzrecht als gezielt einsetzbares Sanierungsinstrument (sogenannter Prepackaged Plan) in grenzüberschreitenden Fällen ins Aus. Wie kommt das? War nicht die Insolvenzordnung als sanierungsfreundliche Reform gedacht?Das vordringliche Problem für eine Sanierung durch Insolvenz ist die mangelnde Planbarkeit und Berechenbarkeit der maßgeblichen Verfahrensentscheidungen. Nach deutschem Insolvenzrecht kann zum Beispiel nicht ausgeschlossen werden, dass ein vorgefasster Plan vom gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter verworfen, modifiziert oder nur mit Verzögerungen umgesetzt wird.Gleichzeitig steht es den Parteien nicht zu, den Insolvenzverwalter zu wählen. Das macht die Ausarbeitung eines vorgefassten Plans und seine Verzahnung mit entsprechenden Verfahren in anderen Ländern unkalkulierbar. Aufgrund des Fehlens einer Konzerninsolvenz kann es zudem passieren, dass mehrere deutsche Gruppengesellschaften jeweils verschiedene Verwalter zugeteilt bekommen. Schließlich können einzelne Beteiligte durch die Einlegung von Rechtsmitteln die Rechtskraft des Insolvenzplans selbst bei Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels fast beliebig verzögern, womit ein zusätzliches erhebliches Störpotenzial entsteht. Es bleibt dann nur die – häufig teure, zeitaufwendige und nicht risikofreie – Flucht in sanierungsfreundlichere Jurisdiktionen, beispielsweise durch eine Sitzverlagerung nach England.In der Regel ist zudem im Rahmen von Prepackaged Plans ein Tausch von Krediten in Anteile (Debt-to-Equity- Swap) vorgesehen. Um von künftigen Wertsteigerungen zu partizipieren, sind Banken anders nicht zum Verzicht auf ihre Forderungen zu bewegen. Eine solche Umwandlung von Darlehen in Eigenkapital ist in Deutschland aber selbst im Rahmen eines Insolvenzplans nur unter Zustimmung aller beteiligten Gläubiger und Gesellschafter möglich. Selbst vollständig entwertete Anteile können damit einem für das Überleben des Unternehmens erforderlichen Debt-to-Equity-Swap nicht gegen den Willen des Gesellschafters zugänglich gemacht werden. Ein “Cram-down”, also ein Überstimmen von sogenannten Akkordstörern, ist in Bezug auf Kapitalmaßnahmen im deutschen Recht nicht möglich. Da das Insolvenzrecht bislang aufgrund einer bewusst getroffenen rechtspolitischen Entscheidung – selbst im Falle des Insolvenzplans – vor dem Gesellschaftsrecht haltmacht, ist die Durchsetzbarkeit solcher Pläne damit nicht gesichert. Dies ist ein Grund, warum das deutsche Insolvenzrecht in grenzüberschreitenden Restrukturierungen als Stolperstein wahrgenommen wird. Die AkkordstörerAuf Bankenseite kann zudem jedes einzelne Mitglied des Konsortiums einem Plan widersprechen, sofern dieser Kapitalmaßnahmen vorsieht. Das wird in der Praxis insbesondere dann zum Problem, wenn der Kredit im Krisenfall weit unter Nennwert erworben worden ist und der Käufer deshalb mit einer obstruktiven Haltung wenig zu verlieren hat. Wollen oder können die anderen Banken den Akkordstörer nicht ablösen, ist das Scheitern der Sanierung programmiert.Hinzu kommt das unvermeidbare Insolvenz-Stigma. In Deutschland bedarf es bei einer außergerichtlichen Sanierung in jedem Fall der Zustimmung sämtlicher Gläubiger. Daher scheitern viele außergerichtliche Sanierungsversuche daran, dass nicht alle Gläubiger zu einem außergerichtlichen Vergleich motiviert werden können. Eine außergerichtliche, dem Insolvenzverfahren vorgelagerte Sanierung mit Akkordstörerschutz sieht das deutsche Recht nicht vor. Diese Maßnahme hätte aber große Vorteile, da sie das Stigma und die Kosten eines Insolvenzverfahrens vermeidet. Sanierungsinstrumente, die nicht primär der Zerschlagung dienen, sollten klar von der auf Liquidation abzielenden Insolvenz getrennt werden. Nach geltendem Recht ist es für Dritte nämlich nicht erkennbar, ob ein Insolvenzverfahren der Unternehmenssanierung oder -zerschlagung dient. Daher treten die negativen Reaktionen von Kunden und Lieferanten auch dann ein, wenn die Insolvenz nicht die Zerschlagung zum Ziel hat, sondern den Neustart ermöglichen soll.Unter dem Strich leisten wir uns ein Insolvenzrecht, das die verfahrensmäßige Absicherung der Rechte der Beteiligten in den Vordergrund stellt – und zwar selbst dann, wenn wie im Falle der Anteilseigner die Rechtsposition bereits wertlos geworden ist. Das unternehmerisch Erforderliche tritt dahinter zurück. Dieser Vorrang der Verfahrensrechte gegenüber dem wirtschaftlich Sinnvollen mag sich in einem rein nationalen Kontext als bewusste gesetzgeberische Entscheidung rechtfertigen lassen. Sobald er in einem grenzüberschreitenden Kontext zur Vernichtung von Werten auf internationaler Ebene führt, erscheint eine Weiterentwicklung des deutschen Insolvenz- und Sanierungsrechts aber unabdingbar.Die durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) bereits in Gang gesetzten Neuerungen sollten im Insolvenzrecht konsequent fortgesetzt werden. Andernfalls führt das deutsche Insolvenzrecht zu Standortnachteilen im internationalen Wettbewerb.—-*) Dr. Olaf Gebler ist Partner bei Baker & McKenzie in Frankfurt.