RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: SACHA LÜRKEN

Insolvenzrecht könnte mit Coronakrise angepasst werden

Unternehmen sollten leichter Zugang zu alternativen Finanzierern bekommen

Insolvenzrecht könnte mit Coronakrise angepasst werden

Herr Lürken, mit Ausbreitung der Coronakrise befürchten viele Unternehmen Liquiditätsengpässe. Könnte man temporär das Insolvenzrecht anpassen?Eine erste einfache und schnelle Maßnahme wäre es, die Insolvenzantragspflicht und Haftungsregeln, die an die materielle Insolvenz anknüpfen, auszusetzen, soweit die Insolvenzgründe Folgen der Epidemie sind und die Unternehmen ernsthafte Sanierungsverhandlungen führen. Dies wäre kein Novum, sondern geschah bereits bei den Flutkatastrophen 2002, 2013 und 2016. Im Rahmen der Finanzkrise wurde 2008 der Überschuldungstatbestand angepasst, zunächst temporär, dann dauerhaft. Für seine vollständige Abschaffung wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Gibt es weitere Optionen?Des Weiteren sollten Haftungsrisiken für die Bereitstellung von Liquidität beseitigt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH kann einem Unternehmen in der Krise nur dann Kredit gewährt werden, wenn ein umfänglicher, von einem unabhängigen und fachkundigen Dritten erstellter Sanierungsplan mit überwiegenden Erfolgsaussichten vorliegt. Ein solcher Sanierungsplan ist aber in einer Situation wie der Coronakrise, deren Auswirkungen nicht absehbar sind, nicht realistisch zu erstellen. Stattdessen wäre etwa daran zu denken, Neufinanzierungen in der Krise generell haftungsfrei zu stellen, sofern die Finanzierung zum Ziel hat, aus der Corona-Epidemie folgende Liquiditätsprobleme abzuwenden. Um Gesellschafter zur Finanzierung ihrer Unternehmen in der Krise zu ermutigen, sollte außerdem der gesetzliche Nachrang von Gesellschafterdarlehen aufgehoben werden, sofern diese wegen der durch die Coronakrise ausgelösten Liquiditätsprobleme gegeben wurden. Unter aufsichtsrechtlichen Aspekten wäre es nicht zuletzt hilfreich, wenn das Erfordernis einer Bankerlaubnis für die Kreditgewährung entfiele, um Unternehmen den Zugang zu alternativen Finanzierern zu erleichtern. Wären die Rechte der Gläubiger damit ausreichend geschützt?Die geltenden Regeln wirken unserer Erfahrung nach ohnehin kaum effektiv gläubigerschützend, sondern führen nur zu einer Paralyse der Stakeholder in der Krise. Der effektivste Gläubigerschutz ist es, die Aussichten auf eine Befriedigung der Gläubigerinteressen durch eine Sanierung des Schuldners zu maximieren, statt diesen zu zerschlagen. Welche Optionen gibt es, Sanierungen voranzutreiben?Wichtig wäre es, weitere rechtliche Instrumente zu schaffen, die eine von der Mehrheit der Gläubiger getragene Sanierung außerhalb von Insolvenzverfahren erleichtern. Daher sollte die EU-Restrukturierungsrichtlinie, die dazu den Rahmen schafft, jetzt sobald wie möglich umgesetzt werden. Es wird erwogen, die Kreditbedingungen für notleidende Unternehmen aufzuweichen? Schafft das nicht Risiken bei Banken?Das langfristig höhere Risiko wäre der Totalausfall aufgrund einer Insolvenz. Allerdings sollten die Kapitalanforderungsregeln für Banken – wie auf EU-Ebene angedacht – angepasst werden, um der Krise der Realwirtschaft nicht eine weitere Finanzkrise folgen zu lassen. Die öffentliche Hand will offenbar auch als Geldgeber einspringen?Die Bundesregierung hat bereits einen richtigen Schritt angekündigt, Unternehmen Liquidität zu belassen, indem Steuervorauszahlungen, deren Höhe auf Gewinnen oder Umsätzen der Vergangenheit basiert, angepasst werden sollen. Ohnehin ist derzeit von einem Einbruch in nahezu allen Wirtschaftszweigen auszugehen. Bereits jetzt gibt es zudem zahlreiche Fördermöglichkeiten für Unternehmen in Schwierigkeiten auf Bundes- und Landesebene. Diese reichen von Krediten über Bürgschaften bis zu Eigenkapitalbeteiligungen. Hier hat die Regierung bereits angekündigt, den KfW-Kreditrahmen deutlich auszuweiten und sogar Eigenkapitalbeteiligungen nicht ausgeschlossen. Dann müssen aber auch die Bewilligungsvoraussetzungen deutlich entschlankt werden. Insbesondere das Erfordernis, eine Durchfinanzierung oder die Unmöglichkeit der Erlangung von Beiträgen Dritter nachweisen zu müssen, sollte abgeschafft werden. Hindernis ist hierbei oft, dass solche Hilfen mit dem Verbot staatlicher Beihilfen kollidieren. Sacha Lürken ist Partner von Kirkland & Ellis in München. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.