RECHT UND KAPITALMARKT

Insolvenzrechtsreform stärkt Gläubigerautonomie

Planungssicherheit steigt - Revitalisierung der Planverfahren - Blockade von Altgesellschaftern schon vor dem Antrag begegnen

Insolvenzrechtsreform stärkt Gläubigerautonomie

Von Stefan Sax *) Mit dem am 23. Februar 2011 von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen soll gleich mehreren Defiziten der seit 1999 geltenden Insolvenzordnung begegnet werden. Der Gesetzesentwurf fasst mehrere Reformvorhaben zusammen, die darauf abzielen, eine erfolgreiche Fortführung des Unternehmens, den Erhalt von Arbeitsplätzen und die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zu gewährleisten. Auch verspricht sich das Justizministerium einen Mentalitätswechsel hin zu einer anderen Insolvenzkultur.Mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens sind immer zwei wesentliche Aspekte verbunden, die trotz zivil- und strafrechtlicher Sanktionierung die Vertretungsorgane krisengeschüttelter Unternehmen davon abhalten, rechtzeitig ein Insolvenzverfahren einzuleiten: das Stigma des wirtschaftlichen Scheiterns und der Verlust der Kontrolle über die Geschicke des Unternehmens. Der zweite Aspekt wird auch auf Seiten der Gläubiger gefürchtet. Deshalb waren in den zurückliegenden Krisenjahren selbst die gesicherten Gläubiger zu beachtlichen Zugeständnissen bei außergerichtlichen Sanierungsverhandlungen bereit. Der Gesetzesentwurf will beiden Aspekten durch weitreichende Änderungen begegnen und macht damit einen ersten, längst überfälligen Schritt hin zum Paradigmenwechsel im deutschen Insolvenzrecht.Einer der wesentlichen Kritikpunkte am bestehenden Insolvenzrechtssystem ist die alleinige Zuständigkeit des jeweiligen Insolvenzgerichts für die Beantwortung der Schicksalsfrage aller Insolvenzverfahren: Welche Person wird zum Insolvenzverwalter bestellt? Die Bestellung des jeweiligen Insolvenzverwalters liegt nach geltendem Recht ausschließlich in der Hand des zuständigen Insolvenzgerichts. Weder dem Schuldnerunternehmen noch dessen Gläubigern steht ein Recht zu, auf diese Entscheidung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Jedoch ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter die zentrale Figur und muss gerade in den ersten Wochen nach Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens Entscheidungen treffen, die für den Erfolg oder Misserfolg des gesamten Insolvenzverfahrens ausschlaggebend sind. Natürlich gibt es Insolvenzgerichte, die auch ohne ein förmliches Anhörungsrecht gegenüber den Vorschlägen des Schuldners oder der Gläubiger aufgeschlossen sind. Auch erfreuen sich die für die Nöte der Verfahrensbeteiligten aufgeschlossenen Gerichte einer großen Beliebtheit, und es hat sich sogar eine Art “Insolvenztourismus” hin zu diesen Gerichten entwickelt.Jedoch gibt es auch Insolvenzgerichte, die strikt gegen eine Einbindung der Beteiligten in dieser Sachfrage sind und damit den Verfahrensbeteiligten das Risiko aufbürden, sich im schlechtesten Fall einem unerfahrenen und mit der Sachlage hoffnungslos überforderten Insolvenzverwalter anvertrauen zu müssen. Vorläufiger AusschussDer Gesetzesentwurf sieht zumindest für Unternehmen einer bestimmten Größenordnung die zwingende Bildung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vor. Diesem kommen im weiteren Verfahren entscheidende Mitspracherechte zu. Das Gericht ist grundsätzlich an den einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses hinsichtlich der Person des vorläufigen Insolvenzverwalters gebunden. Will das Gericht hiervon abweichen, muss es seine Entscheidung entsprechend begründen.Diese Regelungen sind uneingeschränkt zu begrüßen und werden dazu beitragen, dass mit der Wahl der Person des Insolvenzverwalters nicht nur eine größere Planungssicherheit, sondern auch eine gesteigerte Kompetenz in die Verfahren einfließen wird. Dem mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens einhergehenden Kontrollverlust begegnet der Gesetzesentwurf mit einer Stärkung des Instituts der Eigenverwaltung. Das geltende Insolvenzrecht sieht zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, dass Vertretungsorgane des Schuldnerunternehmens unter bestimmten Voraussetzungen und unter der Aufsicht eines Sachwalters weiterhin die Geschicke des Unternehmens bestimmen. Jedoch wird von dieser Möglichkeit in der Praxis selten Gebrauch gemacht, da der Vorwurf im Raum steht, dass hier der “Bock zum Gärtner” gemacht werde. Der Gesetzesentwurf erleichtert den Zugang zur Eigenverwaltung insgesamt und gewährt gleichzeitig auch dem vorläufigen Gläubigerausschuss ein entscheidendes Mitspracherecht.Neben der Stärkung des Instituts der Eigenverwaltung eröffnet der Gesetzesentwurf zudem die Möglichkeit, ein vorbereitendes Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung durchzuführen. Dem Unternehmen wird in einem dreimonatigen Sanierungsvorbereitungsverfahren die Möglichkeit gegeben, einen Insolvenzplan auszuarbeiten, der sodann innerhalb eines sich anschließenden Insolvenzplanverfahrens umgesetzt wird. Schuldner-MitspracherechtDie gebotene Planungssicherheit für das Unternehmen wird durch ein Mitspracherecht des Schuldners bei der Bestellung des Sanierungssachwalters sowie durch die Gewährung von Vollstreckungsschutz gegenüber den Gläubigern geschaffen. Auch insoweit verdienen die Regelungsvorschläge Zustimmung. Drei Monate können allerdings zur Vorbereitung eines Insolvenzplans je nach Größe des Unternehmens und der Gläubigerzahl durchaus ambitioniert sein. Zudem erscheint unklar, warum nicht auch zahlungsunfähige Unternehmen von diesem Verfahren profitieren sollen. Die schlichte Existenz eines solchen Vorbereitungsverfahren wird in außergerichtlichen Sanierungsverhandlungen künftig eine Rolle spielen und die Verhandlungsbereitschaft einzelner Gläubigergruppen fördern.Zudem sieht der Gesetzesentwurf wichtige Regelungen zur Revitalisierung des Insolvenzplanverfahrens vor: Seit seiner Einführung in die Insolvenzordnung im Jahre 1999 wurde dieses Sanierungsinstrument leider nur in wenigen – meist prominenten – Großverfahren erfolgreich eingesetzt. Das Planverfahren soll nunmehr durch Beseitigung verfahrensrechtlicher Hindernisse und insbesondere die Zulassung gesellschaftsrechtlicher Restrukturierungsmaßnahmen, wie etwa die Umwandlung von Forderungen von Gläubigern in Geschäftsanteile (debt to equity swap), ergänzt werden. Unter der geltenden Insolvenzordnung kann eine solche Umwandlung nicht gegen den Willen des Gesellschafters der insolventen Gesellschaft durchgesetzt werden, obwohl der Wert dieser Gesellschaftsanteile in der Insolvenz regelmäßig vernachlässigbar ist. Möglichen Blockadestrategien der Altgesellschafter wird durch eine Fiktion vorgebeugt: Die jeweilige Zustimmung der Anteilseigner gilt als erteilt, wenn kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und zudem kein Anteilsinhaber, der ohne den Plan den Anteilsinhabern der Gruppe gleichgestellt wäre, besser gestellt wird als diese. In der Praxis sollten diese Bedingungen meist erfüllt sein, da die anderen Optionen – übertragende Sanierung oder Liquidation der Gesellschaft – den Altgesellschaftern im Regelfall keine Befriedigungsaussichten bieten. Zusammen mit Einführung des Sanierungsvorverfahrens sind auch diese Regelungen ein Schritt in die richtige Richtung und sind geeignet, Blockadestrategien der Altgesellschafter bereits im Vorfeld einer Insolvenz zu begegnen. Mehr davon erforderlichDer Gesetzesentwurf stärkt die Gläubigerautonomie und erhöht die Planungssicherheit in Unternehmensinsolvenzverfahren. Als erster Teil eines dreistufigen Reformvorhabens der Regierungskoalition ist er uneingeschränkt zu begrüßen, wobei zu hoffen bleibt, dass die vielversprechenden Ansätze im nun folgenden Gesetzgebungsverfahren nicht so drastisch abgeschwächt werden, dass am Ende das verfolgte Ziel nicht mehr erreicht werden kann.Zudem erscheint fraglich, ob diese Gesetzesänderungen ausreichen werden, um eine Wende zu einer veränderten Insolvenzkultur einzuleiten und den Sanierungsstandort Deutschland zu stärken. Hier wird es entscheidend darauf ankommen, wie sich die Gesetzesänderungen in den kommenden Jahren in der Praxis bewähren werden.—-*) Dr. Stefan Sax ist Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance.