ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Institutionelle Anleger nehmen die Herausforderung des Niedrigzinsumfelds an

Börsen-Zeitung, 16.10.2012 Der Befund ist bekannt: Bei institutionellen Investoren herrscht Anlagenotstand. Das aktuelle Niedrigzinsumfeld und eine deutlich veränderte Risikolandschaft zwingen zum Umdenken. Insbesondere Versicherungen und...

Institutionelle Anleger nehmen die Herausforderung des Niedrigzinsumfelds an

Der Befund ist bekannt: Bei institutionellen Investoren herrscht Anlagenotstand. Das aktuelle Niedrigzinsumfeld und eine deutlich veränderte Risikolandschaft zwingen zum Umdenken. Insbesondere Versicherungen und Pensionsfonds sind auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, die jenseits von Staatsanleihen laufende Erträge bei vertretbarem Risiko bieten – und eine Finanzierung der jeweiligen Zahlungsverpflichtungen ermöglichen.Wie sehr große institutionelle Investoren diesen Druck spüren, belegt eine Studie, die im Auftrag von Fidelity Worldwide Investment von der Beratungsgesellschaft Greenwich Associates unter 52 Versicherungen und Pensionsfonds in Europa und Asien durchgeführt wurde. Demnach hatten drei Viertel der Gesellschaften in Europa in den letzten fünf Jahren mit einem Rückgang ihrer laufenden Anlageerträge zu kämpfen. Zudem verfehlte in diesem Zeitraum mehr als die Hälfte der Investoren mit einer festen Renditevorgabe ihre Zielmarke. Neue Strategien gesuchtInstitutionelle Investoren müssen mit neuen Anlagestrategien auf diese Herausforderungen reagieren – und tun es bereits. Sie ziehen mehr als bisher neben Staatsanleihen andere Anlageformen mit regelmäßigen Erträgen in Betracht. Das ist nicht verwunderlich. Denn das klassische “risikofreie” Investment in Euroland-Staatsanleihen ist bis auf weiteres nicht mehr verfügbar: So reichen entweder die Erträge wie bei deutschen Bundesanleihen – trotz des signifikanten Renditeanstiegs im September 2012 – nicht einmal zum Inflationsausgleich. Oder die Anlage ist wie bei spanischen oder italienischen Staatsanleihen mit Kreditrisiken verbunden. Das schafft eine “neue Normalität” bei der Geldanlage. Ohne das Eingehen von echten Anlagerisiken lassen sich keine positiven realen Renditen erzielen.Vorbei ist die Zeit von Mitte der achtziger Jahre bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts mit einigermaßen stabil wachsenden Bruttoinlandsprodukten. Heute sind die Wirtschaftszyklen kürzer und volatiler, denn hohe Schulden und der unvermeidliche Schuldenabbau fordern ihren Tribut beim Wachstum. Die demografische Entwicklung hängt damit zusammen: In Deutschland werden die sogenannten “Babyboomer”, die geburtenstarken Jahrgänge 1946 bis 1966, bis etwa 2030 in den Ruhestand gehen. Dem steht nur eine weit kleinere Zahl von Schul- und Universitätsabgängern gegenüber. An der GrenzeEs liegt auf der Hand, dass auch die auf Solidarität zwischen den Generationen beruhenden staatlichen Renten- und Sozialsysteme hier an ihre Grenzen stoßen. Die Generation der jetzt 30- bis 50-Jährigen muss daher in weit stärkerem Maße als bisher Vorsorgekapital aufbauen und sieht sich zugleich mit dem Anlagenotstand konfrontiert. Welche Alternativen zur traditionell sicheren Anlage in Staatsanleihen nutzen institutionelle Anleger wie Versicherer zur Finanzierung der von ihnen zugesagten Leistungen?Der Blick auf die von Fidelity Worldwide Investment befragten institutionellen Anleger zeigt: Es gibt Alternativen zu Staatsanleihen. Besonders Investment-Grade-Unternehmensanleihen aus Europa und den USA werden den Erwartungen der Befragten zufolge in den nächsten Jahren einen Zufluss an Anlagegeldern erleben – fast jedes zweite befragte Unternehmen erwartet eine Zunahme dieser Anlageklasse in seinem Anlagemix. Wichtigere RolleDoch auch Investment-Grade-Anleihen aus Schwellenländern spielen eine immer wichtigere Rolle, sie werden in der Befragung am zweithäufigsten genannt, gefolgt von Aktien, Infrastrukturinvestments, hochverzinslichen Anleihen aus Europa und den USA sowie Immobilien.Ohne “sichere” Anleihen kommen viele institutionelle Anleger schon aus aufsichtsrechtlichen Gründen nicht aus. Allerdings haben sie begonnen, das Universum an “sicheren Häfen” zu erweitern. Neben Anleihen von Ländern mit soliden Staatsfinanzen wie Kanada und Australien werden Anleihen international erfolgreicher Unternehmen mit bester Bonität beigemischt. Die Kreditrisiken solcher Unternehmen sind oft geringer als die vieler staatlicher Emittenten.In diesem Zusammenhang sind Anleger bereit, eine etwas geringere Liquidität und in gewissem Umfang auch Währungsrisiken einzugehen. Mit einer breiten Fächerung verschiedener Anleiheklassen lässt sich zudem das in vielen Anleiheindizes anzutreffende Länderkonzentrationsrisiko umgehen und insgesamt ein ausgewogeneres Verhältnis von Risiko und Ertrag erzielen. Diese Entwicklung, insbesondere die stärkere Gewichtung von Unternehmensanleihen, ist bereits im Gang und die Renditen sind am unteren Ende der langjährigen Bandbreite. Die Dividendenrenditen von Aktien in Europa und in den USA liegen demgegenüber etwa in der Mitte der langjährigen Durchschnittswerte, jedoch deutlich über ihrem 15-Jahres-Durchschnitt. Erstmals seit langem liegt die Dividendenrendite auch wieder über dem Niveau von Staatsanleihen. Interessante TrendsBei Gewerbeimmobilien lassen sich ebenfalls interessante Trends erkennen. Bei Immobilien in Spitzenlagen von Großbritannien und Kontinentaleuropa liegen die Mietrenditen etwa in der Mitte des langjährigen Durchschnitts – abseits der Spitzenlagen jedoch an dessen Spitze. Handelt es sich bei den Mietern um erstklassige Unternehmen, so lassen sich hier derzeit Renditen erzielen, die deutlich über den Renditen am Markt von Unternehmensanleihen liegen und auch einen erheblichen Wertverfall der Immobilie überkompensieren würden. Kein kurzfristiges PhänomenVieles spricht dafür, dass die Zeit negativer oder minimaler Realrenditen “risikofreier” Staatsanleihen nicht nur ein kurzfristiges Phänomen ist. Die Notwendigkeit, Staatsschulden in Zeiten rückläufigen Wachstums zu reduzieren, kann zu unterschiedlichen Ausprägungen staatlicher “finanzieller Repression” führen. Institutionelle Anleger sind dabei, sich auf diese Situation einzustellen. Dabei tritt die Bedeutung laufender Erträge aus allen Anlageklassen wieder stärker in den Vordergrund. Dies gilt nicht nur für festverzinsliche Papiere, wo Alternativen zu Euro-Staatsanleihen gesucht werden müssen, insbesondere in Form von Anleihen erstklassiger, weltweit diversifizierter Unternehmen. Es gilt auch für Aktien, bei denen in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren primär der Kapitalzuwachs von Interesse schien. Dabei wurde verkannt, dass die mit Aktien erzielbaren Realrenditen auf lange Sicht überwiegend aus Dividenden stammen.Es geht also in der aktuellen Situation um einen stärkeren Fokus auf die Erzielung laufender Erträge sowie darum, die Quellen dieser Erträge weit stärker als bisher nach Anlageklasse und Herkunft der Erträge zu diversifizieren. Damit dieser Ansatz im Interesse der Anleger umgesetzt werden kann, müssen Regelungen wie Solvency II neu konzipiert werden, die von der Erwerbbarkeit einer risikofreien Anlage ausgehen. Alternativ können institutionelle Anleger soweit möglich Formen wählen, die dieser Art von Regulierung nicht unterliegen.