Recht und Kapitalmarkt

Internationale Anwendung des WpÜG erweitert

Neues Übernahmerecht vereinheitlicht Zuständigkeiten der Aufsichtsbehörden - Wertungswidersprüche zur Prospektrichtlinie bleiben

Internationale Anwendung des WpÜG erweitert

Von Heiner Braun *) Mit Wirkung zum 14. Juli 2006 ist in Deutschland die EU-Übernahmerichtlinie umgesetzt und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) in wesentlichen Teilen neu gefasst worden. Neben anderen Änderungen wurden der internationale Anwendungsbereich des WpÜG erweitert und die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden innerhalb des EWR harmonisiert. Soweit als Gegenleistung vom Bieter eigene Aktien angeboten werden, sind jedoch Wertungswidersprüche zur Prospektrichtlinie bzw. dem deutschen Wertpapierprospektgesetz festzustellen.Anders als bislang findet das WpÜG nicht mehr nur auf Übernahmeangebote für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz in Deutschland Anwendung, sondern gilt auch für Angebote, die auf nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften gerichtet sind, soweit diese ihren Sitz in einem EWR-Staat haben. Hintergrund dieser Erweiterung ist die mit der Übernahmerichtlinie erstrebte Schaffung eines lückenlosen Übernahmeregimes, das – wenn es auch hinsichtlich Kontrollschwellen, Art und Berechnung der Gegenleistung und anderer inhaltlicher Punkte nicht vereinheitlicht ist – alle EWR-Gesellschaften erfasst, deren Aktien zum Börsenhandel an einem organisierten Markt innerhalb des EWR zugelassen sind. Dabei fällt auf, dass die Übernahmerichtlinie von “nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten” Gesellschaften spricht, wohingegen der Wortlaut des neugefassten § 2 Abs. 3 Nr. 3 WpÜG darauf abstellt, dass die Zielgesellschaft ihren Sitz innerhalb des EWR hat, grundsätzlich aber auch Nicht-EWR-Gesellschaften zu erfassen scheint – also z. B. eine US-Corporation mit Sitz in Deutschland.Die größte praktische Lücke im europäischen Rechtsverkehr bleibt die Ausnahmestellung der Schweiz aufgrund deren Nichtmitgliedschaft im EWR. Auch das durch die Übernahmerichtlinie harmonisierte Übernahmerecht gilt weiterhin nicht für Schweizer Gesellschaften, selbst wenn deren Aktien an einem organisierten Markt innerhalb des EWR gelistet sind, und es gilt ebenfalls nicht für EWR-Gesellschaften, deren Aktien nur zum Börsenhandel an einem organisierten Markt in der Schweiz zugelassen sind. Sonderfall SMI-AktienEine weitere Folge dieser Abseitsstellung ist, dass Schweizer Gesellschaften, die ein Übernahmeangebot für EWR-Gesellschaften vorlegen, hierbei eigene Aktien als Gegenleistung nur dann verwenden dürfen, wenn diese zum Börsenhandel an einem organisierten Markt innerhalb des EWR zugelassen sind. Dies ist in der Regel nur bei den Blue-Chip-Gesellschaften der Fall, die Mitglied im SMI-Index sind, denn die SMI-Aktien werden sämtlich auch auf der elektronischen Handelsplattform Virt-x mit Sitz in London gehandelt.Bei der Frage, welches Übernahmerecht auf eine grenzüberschreitende Übernahme innerhalb des EWR anwendbar und welche Aufsichtsbehörde zuständig ist, hat sich die Übernahmerichtlinie für ein modifiziertes Marktortprinzip entschieden. Unterhält die Gesellschaft nur eine Börsenzulassung an einem organisierten Markt innerhalb des EWR, so ist das Recht dieses Staates anwendbar, selbst wenn die Gesellschaft ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Auf Übernahmeangebote für Zielgesellschaften aus anderen EWR-Staaten findet das WpÜG mithin nur dann Anwendung, wenn deren Aktien innerhalb des EWR nur in Deutschland zum Börsenhandel an einem organisierten Markt zugelassen sind oder – sofern neben der Börsenzulassung in Deutschland weitere ausländische Börsenzulassungen bestehen – jedenfalls keine Zulassung im Sitzstaat der Gesellschaft unterhalten wird (in diesem Fall geht das Heimatrecht stets vor) und die Börsenzulassung in Deutschland entweder die erste Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt der Gesellschaft darstellte oder gleichzeitig mit anderen Zulassungen erfolgte (etwa im Rahmen eines IPO in mehreren Ländern) und die Zielgesellschaft sich für die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde entschieden hat.Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, findet das WpÜG nur Anwendung auf Fragen der Gegenleistung, des Inhalts der Angebotsunterlage sowie des Angebotsverfahrens. Gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzungen ein Bieter die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, unterliegen hingegen stets dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat. Konsequenter wäre es gewesen, diese Fragen dem Gründungsrecht der Gesellschaft zuzuweisen, da das anwendbare Gesellschaftsrecht am ehesten dazu berufen ist festzulegen, ab welcher Beteiligungshöhe ein Bieter herrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft ausüben kann. Hat die zuständige Aufsichtsbehörde die Angebotsunterlage gestattet, so kann diese auch in anderen EWR-Staaten verwendet werden – und zwar auch dann, wenn dort eine weitere Börsenzulassung an einem organisierten Markt besteht -, ohne dass es einer separaten Gestattung oder Billigung bedürfte.Im Ergebnis wird das Marktortprinzip praktisch in den meisten Fällen darauf hinauslaufen, dass die Aufsichtsbehörde am Sitz der Zielgesellschaft für das Angebotsverfahren zuständig sein wird, da die meisten börsennotierten Gesellschaften auch über eine Börsenzulassung in ihrem Heimatstaat verfügen.Damit folgt die Übernahmerichtlinie einem grundlegend anderen Prinzip als die Prospektrichtlinie, nach der eine Gesellschaft, die Wertpapiere öffentlich anbieten möchte, den Prospekt für das öffentliche Angebot bei der zuständigen Aufsichtsbehörde in ihrem Heimatstaat billigen lassen muss. Dieser Prospekt kann dann im Rahmen des Notifizierungsverfahrens auch für öffentliche Angebote in anderen EU-Staaten verwendet werden. Von praktischer Bedeutung ist das Auseinanderfallen der Anknüpfungspunkte in den beiden Richtlinien bei Umtauschangeboten. Da es sich hierbei um ein öffentliches Angebot von Wertpapieren des Bieters handelt, hat die Angebotsunterlage in diesem Fall nach § 2 Nr. 2 WpÜG-Angebotsverordnung auch die nach deutschem Wertpapierprospektgesetz erforderlichen Angaben über die angebotenen Wertpapiere zu enthalten. Alternativ hat der Bieter die Möglichkeit, einen Prospekt zu verwenden, der in den letzten sechs Monaten vor dem Angebot veröffentlicht wurde. Voraussetzung ist jedoch, dass dieser Prospekt in Deutschland in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Damit sind ausländische Bieter insoweit schlechter gestellt, als ausländische Emittenten bei anderen Formen öffentlicher Angebote von Wertpapieren im Inland nach § 19 Abs. 1 Wertpapierprospektgesetz auch in englischer Sprache erstellte Prospekte verwenden dürfen. Dies ist auch deshalb von praktischer Bedeutung, weil die für die Prospektbilligung zuständige Heimatbehörde von Emittenten aus anderen EU-Mitgliedstaaten in den meisten Fällen Prospekte in deutscher Sprache nicht billigen wird. Doppelte BilligungDas Gebot, Angebotsunterlagen in deutscher Sprache zu veröffentlichen, ist zwar einerseits verständlich, da der Aktionär einer deutschen Zielgesellschaft sich in der Regel darauf verlassen durfte, dass ihm alle für seine Aktien relevanten Informationen in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt wurden. Andererseits bedeutet dies, dass Bieter aus anderen EU-Mitgliedstaaten die Vorteile der Prospektrichtlinie im Rahmen öffentlicher Übernahmeangebote nicht vollständig nutzen können. So hatte beispielsweise Unicredit im Rahmen ihres Übernahmeangebots für die Bayerische Hypo- und Vereinsbank einen Wertpapierprospekt durch die italienische Wertpapieraufsicht Consob billigen lassen und im Inland veröffentlicht. Dennoch musste die Übersetzung des Prospekts noch einmal als Bestandteil der Angebotsunterlage von der BaFin gestattet werden. In diesen Fällen erschiene es wünschenswert, eine Erleichterung zumindest dergestalt zu erreichen, dass deutsche Übersetzungen von im Ausland gebilligten Prospekten ohne weitere inhaltliche Überprüfung durch die BaFin im Rahmen von Übernahmeangeboten im Inland verwendet werden dürfen. *) Dr. Heiner Braun ist Rechtsanwalt im Frankfurter Büro der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer.