Recht und Kapitalmarkt

IPOs von Mantelgesellschaften auf dem Vormarsch

US-Markt Vorreiter - Beschaffung von Mitteln für Erwerb nicht notierter Firmen - Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten hierzulande

IPOs von Mantelgesellschaften auf dem Vormarsch

Von Marc V. Kramer und Thilo Winkeler *) Börsengänge sogenannter SPACs (“Special Purpose Acquisition Companies”) sind augenscheinlich auch in Europa auf dem Vormarsch (vgl. BZ vom 7. Februar). Bei einem SPAC handelt es sich um eine Mantelgesellschaft (“shell company”), also eine Gesellschaft ohne jedes eigene operative Geschäft, welche sich im Wege eines Börsengangs am Kapitalmarkt Finanzmittel beschafft zur Verwendung ausschließlich für die geplante Übernahme von nicht börsennotierten Unternehmen bzw. für den Erwerb von deren (gesamten) Vermögenswerten. Das Konzept (eine Art “reverse-IPO”) stammt aus den USA, ist dort seit 2003 am Markt (meist mit Notierungen an der American Stock Exchange (Amex)) und erfuhr im vergangenen Jahr einen regelrechten Boom an Wall Street. Ein lukrativer Geschäftszweig, den die begleitenden Investmentbanken nun nicht mehr missen möchten. HoffähigKritik, nicht zuletzt wegen des spekulativen Charakters des Geschäftsmodells, bei dem Investoren nahezu ausschließlich auf die Stärke, Expertise und das Netzwerk des angetretenen Management-Teams setzen, scheint zunehmend zu verstummen. Zwischenzeitlich notieren einige SPACs auch am Alternative Investment Market (AIM) in London sowie an der Nyse Euronext in Amsterdam, doch könnte dies erst der Anfang einer aus den USA nach Europa herüberschwappenden Welle sein. Mehr als den Track Record des Management-Teams sowie gegebenenfalls eine sektorenspezifische und/oder geografische Ausrichtung hinsichtlich der potenziellen Zielunternehmen bietet der Business Plan der Initiatoren in der Regel nicht. Kommt ein SPAC, gängig auch als “blank check company” bezeichnet, daher also einer “black box” gleich? Dass SPACs funktionieren können, bewies erst jüngst die Akquisition der auf Infusionstherapie spezialisierten Critical Homecare Solutions Holdings Inc. durch das seit 2007 Amex-gelistete SPAC MBF Healthcare Acquisition Corp. in den USA. Im Wege des Börsengangs werden zunächst die für den geplanten Unternehmenserwerb erforderlichen Eigenmittel eingeworben, wobei sich nach dem US-amerikanischen Modell das von den zeichnenden Investoren zu erwerbende Aktienpaket (“Units”) aus einem Anteil Stammaktien und einem bzw. zwei Anteilen Optionen zusammensetzt. Aktien und Warrants sind anschließend getrennt handelbar. Auf Zeichnungsgewinne sollten SPAC-Investoren eher nicht spekulieren, im Gegenteil, der Kurs bewegt sich aufgrund regelmäßig geringer Börsenumsätze meist erst mit Zeitablauf des vorgesehenen Akquisitionsfensters und insbesondere bei Ankündigung eines Unternehmenserwerbs. Um sicherzustellen, dass der Emissionserlös für den potenziellen Unternehmenserwerb verwendet wird und zur Limitierung des Investorenrisikos, werden heute teils bis zu 98 % des IPO-Erlöses bis zum Abschluss der potenziellen Unternehmenstransaktion auf einem zinstragenden Treuhandkonto geparkt oder in einem Treuhandfonds verwaltet. Allein die restlichen Mittel sowie teils auch Mittel aus Gesellschafterdarlehen stehen zur Deckung von Emissionskosten und für Aufwendungen im Zusammenhang mit dem angestrebten Unternehmenserwerb zur Verfügung. Die Warrants sind meist so ausgestaltet, dass der Inhaber binnen eines Zeitraumes von vier Jahren nach dem ersten Jahrestag der Emission bzw. nach dem Vollzug des Erwerbs eines Zielunternehmens durch das SPAC, je nachdem welches Ereignis früher eintritt, weitere Aktien erwerben kann.Die Auswahl des Zielunternehmens steuert ein von den Initiatoren bzw. Sponsoren zusammengestelltes Management-Team, welches in der Regel mit bis zu 20 % am Grundkapital des SPAC beteiligt ist. Grundgedanke eines SPAC ist der gesamte Einsatz der durch den Börsengang eingeworbenen Mittel (sowie zusätzlich ggf. von Fremdmitteln und eigenen Aktien) zum Erwerb (Verschmelzung) nur eines Zielunternehmens, gleichwohl ist dies nicht zwingend. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg eines SPAC und das Vertrauen der Investoren ist die Qualität des Management-Teams. Dieses gibt nicht zuletzt Aufschluss über den möglichen Branchenfokus sowie unter Umständen auch die geografische Ausrichtung eines SPAC. Ausdrückliche Vorgaben insoweit sowie z. B. auch im Hinblick auf die Größe oder bestimmte Finanzkennzahlen für die Akquisition eines oder mehrerer Zielunternehmen gibt es nicht. Je geringer die Vorgaben, desto eher mag dies für die Einschätzung von SPACs als “Black-box”-Investment sprechen.Vor Abschluss einer Unternehmenstransaktion und damit der Verwendung der eingeworbenen Investorengelder ist ein SPAC aufgrund der Satzung üblicherweise verpflichtet, neben der Zustimmung des eigenen Boards auch die Zustimmung der Aktionäre einzuholen. Hierfür genügen meist einfache Mehrheiten. Anteilseigner, die der vorgeschlagenen Unternehmenstransaktion die Zustimmung verweigern, können ihren Aktienanteil an dem SPAC in einen Pro-rata-Anteil an dem Treuhandfonds umwandeln oder auch direkt gegen Barmittel tauschen und scheiden damit als Aktionäre des SPAC aus. Die Akquisition durch ein börsennotiertes SPAC ermöglicht quasi den Börsengang des Zielunternehmens bzw. der Aktivitäten desselben im Huckepack-Verfahren.Ein SPAC wird regelmäßig aufgelöst, wenn es nicht binnen eines vorgegebenen Zeitfensters nach dem Börsengang einen Unternehmenserwerb tätigt (die Zeiträume variieren, gängig sind 12, 18 oder 24 Monate). In diesem Fall wird das Treuhandvermögen sowie etwaig weiter vorhandenes Nettovermögen des SPAC an die Aktionäre verteilt. Da im Vergleich zu den Anfangsjahren heute teils bis zu 98 % des Emissionserlöses treuhänderisch und zudem verzinslich verwahrt werden, zudem unter Beteiligung namhafter Finanzmarktakteure, verstummen zunehmend die Kritiker des Geschäftsmodells, die Investoren in der Vergangenheit vielfach ein böses Erwachen bei ausgebliebener Akquisition eines Unternehmens prophezeit hatten.Der aktuelle Boom um SPACs in den USA sowie die Zunahme entsprechender Aktivitäten in Europa, insbesondere in London und Amsterdam, exemplarisch sei hier der Börsengang des SPAC Liberty International Acquisition Company an Nyse Euronext mit einem Volumen von 600 Mill. Euro genannt, sollten auch hierzulande hellhörig machen, um das Terrain gegebenenfalls noch rechtzeitig zu bestellen. Modell für Deutschland?Bei der Implementierung der Funktionsspezifika des “klassischen” US-SPAC-Modells in Form einer deutschen Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien sind die Besonderheiten des deutschen Gesellschaftsrechts zu berücksichtigen. So erweist sich bereits die Zulässigkeit der zwingenden Kompetenzzuweisung auf die Gesellschafterversammlung für den Erwerb eines Zielunternehmens im deutschen Recht als nicht ganz unproblematisch. Zu denken ist an die Thematik der verbotenen Einlagenrückgewähr für den Fall, dass einzelne Aktionäre einem bestimmten Unternehmenserwerb die Zustimmung verweigern und folglich aus dem SPAC gegen “Entschädigung” ausscheiden sollen. Auch die Ausgabe und Ausgestaltung von Optionen unterliegt nach deutschem Recht eher unflexiblen Strukturen (und mag u. a. auch aus diesem Grund die Umsetzung einer SPAC-Struktur in Deutschland insgesamt eher über Wandelanleihen überlegenswert erscheinen lassen). Nicht zuletzt ist die Auflösung einer AG oder KGaA ein eher langwieriger Prozess. Noch existieren weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene spezielle gesetzliche Regularien für SPACs, weder im Hinblick auf die Börsenzulassung noch bezüglich der Prospektanforderungen. Aus verschiedenen Gründen scheint derzeit noch das Listing bzw. die Handelseinbeziehung der Aktien eines in- oder ausländischen SPAC in Frankfurt ausschließlich im Open Market durchführbar. Keine HistorieErwähnt sei insoweit hier lediglich das Fehlen jeglicher operativer und bilanzieller Historie des Unternehmens, Fragen rund um die Offenlegungspflichten im Prospekt im Hinblick auf den in Aussicht genommenen Unternehmenserwerb und grundsätzlich auch der mit der Börseneinführung vor- und nachher verbundenen Kosten. Die Aussicht auf ein späteres Upgrade z. B. in den Entry Standard oder gar in den EU-regulierten Bereich lässt einen Start im Open Market gleichwohl nicht uninteressant erscheinen. Dem bei SPACs üblichen parallelen Angebot von Aktien und Optionen sowie dem daran anschließenden separaten Handel stehen grundsätzlich keine Hürden entgegen. Es bleibt abzuwarten, wie flexibel sich nicht zuletzt die Deutsche Börse beim Umgang mit SPACs zeigen wird. Eine proaktive Herangehensweise an das Thema dürfte bei Initiatoren, Banken und Investoren auf breite Zustimmung stoßen und erscheint aufgrund darbender IPO-Märkte und der Konkurrenzsituation mit Blick auf London und Amsterdam angeraten, um Marktchancen wahrzunehmen. *) Marc V. Kramer LL.M. und Dr. Thilo Winkeler sind Rechtsanwälte und Partner bei Curtis, Mallet-Prevost, Colt & Mosle LLP in Frankfurt.