Recht und Kapitalmarkt

Kalte Übernahmen durch Hedgefonds?

Einflussnahme ohne Kontrollerwerb - Aktive institutionelle Aktionäre nutzen die Möglichkeiten des Aktienrechts und Derivate

Kalte Übernahmen durch Hedgefonds?

Von Christoph von Bülow und Thomas Bücker *)Der Einfluss institutioneller Aktionäre auf börsennotierte Gesellschaften ist zum zentralen Thema im deutschen Kapitalmarkt geworden. Längst geht es dabei nicht mehr nur um spektakuläre öffentliche Übernahmen oder deren Abwehr. Mittlerweile liegt offen zutage, dass Aktionäre auch unterhalb der vom WpÜG vorgesehenen Kontrollschwelle von 30 % erhebliches Druckpotenzial entfalten können. Flankiert von der Entflechtung der “Deutschland AG” und sinkenden Hauptversammlungspräsenzen, machen sich Hedgefonds und andere institutionelle Akteure dabei die bisher wenig genutzten Möglichkeiten des Aktienrechts zu Eigen und sorgen für erhebliche Verunsicherung bei Unternehmen. Intransparenter AufbauEin Teil der Verunsicherung beruht auf der mangelnden Transparenz im Beteiligungsaufbau. Die gesetzlichen Pflichten zur Veröffentlichung von Stimmrechtserwerben greifen erst bei Erreichen der 5%-Schwelle. Wollen sich Investoren zunächst unbemerkt mit Aktien eindecken, sind sie selbst zwar auf Beteiligungserwerbe unterhalb dieser Meldeschwelle beschränkt. Umgehungsstrukturen werden weitgehend von den Zurechnungsregeln des § 22 WpHG erfasst (z. B. der Erwerb “für Rechnung”). Möglich bleibt aber z. B. der abgestimmte Erwerb von Aktien. Decken sich mehrere Fonds parallel und abgestimmt ein, löst dies keine Veröffentlichungspflichten über den Stimmrechtsanteil aus, solange der Stimmrechtsanteil des einzelnen Fonds unter 5 % bleibt. Nur dann, wenn die Hedgefonds in abgestimmter Weise versuchen, in ihrer Funktion als Aktionäre und nicht nur einzelfallbezogen Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu nehmen, gibt es eine Stimmrechtszurechnung. Aufgrund z. T. widersprüchlicher gerichtlicher Entscheidungen ist bisher unklar, wann solche Abstimmungen noch als einzelfallbezogen anzusehen sind (z. B. bei Abstimmung hinsichtlich der Wahl des Aufsichtsrats). Einsatz von DerivatenIn der Praxis wird zunehmend auch der Einsatz von Derivaten zum verdeckten Beteiligungsaufbau in Erwägung gezogen. So führt der Einsatz von Call-Optionen nicht zur Zurechnung der Stimmrechte aus den vom Stillhalter gehaltenen Aktien. Durch Abschluss von Total Return Swaps ist es möglich, das Ergebnis eines direkten Investments in eine Aktie wirtschaftlich abzubilden. Nur in Ausnahmefällen allerdings sehen entsprechende Geschäfte die Lieferung der zugrundeliegenden Aktien vor. In der Regel steht am Ende ein “cash settlement”, d. h. ein Ausgleich der Kursdifferenz in bar. Deckt sich die Gegenpartei zur Absicherung des eigenen Risikos mit der betreffenden Aktie ein, stellt sich die Frage, ob dem Berechtigten die Stimmrechte aus den betreffenden Aktien nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG zuzurechnen sind. Ist zwischen den Vertragsparteien ausschließlich ein Barausgleich vereinbart, kommt eine Zurechnung schon deshalb nicht in Betracht, weil der Sicherungsnehmer weder rechtlich noch faktisch Einfluss auf die Ausübung der damit zusammenhängenden Stimmrechte nehmen kann.Aber auch dann, wenn am Ende des Geschäfts physisch geliefert wird, fehlt es in Ermangelung anderweitiger Absprachen regelmäßig an der für die Stimmrechtszurechnung notwendigen Stimmrechtsherrschaft des Derivat-Nehmers. Eine Zurechnung scheidet also aus, obgleich während der Vertragslaufzeit alle Chancen und Risiken aus der Aktie bei ihm liegen. Insiderrechtliche Beschränkungen dürften für Hedgefonds, die ihre Ziele aufgrund einer Analyse ausschließlich öffentlich zugänglicher Informationen auswählen, in aller Regel kein Hindernis sein. Die Tatsache, dass sich Hedgefonds in größerem Umfang an einem Unternehmen beteiligen wollen, kann zwar grundsätzlich eine kursrelevante Insiderinformation darstellen. Nach der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis der BaFin stellt aber die bloße Kenntnis der eigenen “selbst geschaffenen” Erwerbsabsicht keine Insiderinformation im Sinne des § 13 WpHG dar. In diesem Fall nämlich fehlt es an dem aus Sicht des (potenziellen) Beteiligungserwerbers erforderlichen Drittbezug der Information. Daran dürfte es auch dann noch fehlen, wenn mehrere Investoren Aktien “konzertiert” erwerben. Schwachstelle AufsichtsratGrößere Übernahmen kommen für Hedgefonds kaum in Betracht. Im Fokus stehen für sie und andere Institutionelle vielmehr Szenarien, die eine Einflussnahme ermöglichen ohne ein übernahmerechtliches Pflichtangebot auszulösen. Als wichtigstes Einfallstor hat sich die Besetzung des Aufsichtsrats herauskristallisiert. Er ist das entscheidende Gremium für die Kontrolle über die Gesellschaft. Institutionellen gelingt es zunehmend, Personen ihrer Wahl in Aufsichtsräten notierter Gesellschaften zu platzieren oder gar den Aufsichtsrat zu majorisieren. Dies kann im Extremfall – Beispiele hierfür gibt es – zur “kalten Übernahme” führen, d. h. zu einem Kontrollwechsel allein auf der Ebene des Aufsichtsrats, vorbei an den anlegerschützenden Vorschriften des WpÜG. Besonders anfällig hierfür sind Gesellschaften mit niedriger HV-Präsenz. Hier können parallel agierende institutionelle Aktionäre eine komplette Neubesetzung erreichen. Dies hat gravierende Folgen für Management und Unternehmen. Wie im Fall der Deutschen Börse verzichten Hedgefonds regelmäßig auf eine eigene Vertretung im Aufsichtsrat. Dies bringt Unwägbarkeiten für das Zusammenwirken zwischen Fonds und Verwaltung Spielfeld HauptversammlungObgleich die HV bei vielen Gesellschaften für die Information der Aktionäre erheblich an Bedeutung eingebüßt hat, spielt auch sie für die Ausübung des Einflusses institutioneller Investoren nach wie vor eine zentrale Rolle. Neben der Wahl des Aufsichtsrats sind die Zustimmung zu Strukturmaßnahmen und die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat Gebiete, in denen Institutionelle zunehmend mitreden und häufiger auch entscheidend mitbestimmen. Das im Aktienrecht vorgesehene Minderheitsverlangen zur Einberufung einer HV oder zur Erweiterung der Tagesordnung sowie die Möglichkeit zur Ankündigung von Gegenanträgen eröffnen schon vor der Versammlung Optionen, die bei den Unternehmen erhebliche Bewegung in den Vorbereitungsprozess für das Aktionärstreffen bringen können. Aufgrund der durch das am 1. November 2005 in Kraft tretende UMAG herabgesetzten Schwellenwerte wird zudem die Durchsetzung von Sonderprüfungen und Haftungsklagen deutlich erleichtert – auch dies dürfte aktiven Aktionären den Rücken stärken. Insgesamt zeichnet sich eine verschärfte Kommunikation zwischen Aktionären und Vorstand ab. Jüngstes Beispiel ist die Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien bei Fresenius Medical Care, wo der Hedgefonds Citadel Equity Fund Ltd. schon vor der HV die Reduzierung der von den Vorzugsaktionären zu leistenden Zuzahlung durchsetzte. Andere prominente Beispiele beziehen sich auf die Besetzung des Aufsichtsrats (Deutsche Börse, IWKA, Zapf Creation) oder auf den Abschluss von Unternehmensverträgen (Procter & Gamble/Wella). Angesichts der veränderten Lage erwachsen den Unternehmen zusätzliche Aufgaben. Sinnvoll scheint zunächst die Erschwerung der Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern. Aber auch die proaktive Kommunikation gewinnt erheblich an Bedeutung: Neben den allgemeinen Analystenkonferenzen und Roadshows sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Hauptversammlungspräsenz (Stichwort: Proxy Solicitation) werden das Aufspüren und die “Pflege” der Institutionellen zur wichtigen Aufgabe von Vorstand und Investor Relations.Bei der Kontaktpflege bewegen sich die Handelnden in einem engen Korsett, bei dem insbesondere Aktienrecht (Weitergabe sensitiver Informationen, Ungleichbehandlung von Aktionären, Reichweite des Unternehmensinteresses) und Insiderrecht zu beachten sind. Im Idealfall ergibt sich ein konstruktiver Dialog mit den maßgeblichen Aktionären. Im schlechten Fall entsteht allerdings Verunsicherung, Lähmung oder kurzfristiger Aktionismus. Hieran können auch die institutionellen Investoren kein Interesse haben.*) Dr. Christoph von Bülow und Dr. Thomas Bücker sind Partner im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.