Kampf gegen Steuerbetrug im Online-Handel
Von Ulrike Bär und Martin Zindler *)Die Bundesregierung möchte Umsatzsteuerhinterziehung im Online-Handel einen Riegel vorschieben. Das Bundeskabinett hat am 1. August 2018 den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet beschlossen.Auf Online-Marktplätzen werden Waren oft zu konkurrenzlos günstigen Preisen angeboten. In vielen Fällen sind die günstigen Preise nur möglich, weil die Händler deutsche Steuergesetze missachten. Sie verkaufen ihre Ware ohne Umsatzsteuer und führen entsprechend auch keine Umsatzsteuer ab, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Dem deutschen Staat entgehen dadurch Einnahmen in Milliardenhöhe. Der Schaden besteht aber nicht nur in den Steuerausfällen, sondern auch in den erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die ehrlichen Steuerzahler unter den Händlern. Sie sind die Verlierer. AufzeichnungspflichtKünftig sollen Online-Marktplatzbetreiber stärker in die Pflicht genommen werden, damit sie derartige Praktiken auf ihren Online-Marktplätzen nicht länger dulden. Nach den vorgesehenen Regelungen sollen sie bestimmte Daten ihrer Nutzer, das heißt der Händler, aufzeichnen. Zudem sieht der Gesetzesentwurf eine Haftung für Online-Marktplatzbetreiber vor, wenn Händler die Umsatzsteuer aus ihren Lieferungen nicht abführen.In Großbritannien existiert eine vergleichbare Haftungsregelung bereits seit 2016. Auf europäischer Ebene sind ähnliche Regelungen bis zum 1. Januar 2021 umzusetzen. Allerdings unterscheiden sich Anwendungsbereich und Konzeption der EU-Regelungen von dem Gesetzesentwurf. Die EU-Regelung entfaltet keine Geltung für reine Inlandsfälle und ist nicht als Haftungsnorm ausgestaltet. Sie fingiert stattdessen eine Lieferkette und führt damit zu einer originären Umsatzsteuerschuld der Online-Marktplatzbetreiber.Der Gesetzesentwurf verpflichtet Betreiber von elektronischen Marktplätzen bestimmte Daten ihrer Nutzer aufzuzeichnen. Auf Anfrage müssen diese Daten elektronisch an das entsprechende Finanzamt weitergeleitet werden. Hierdurch soll die Finanzverwaltung in die Lage versetzt werden, mögliche Steueransprüche gegen die Händler festzustellen und einzutreiben.Die Aufzeichnungspflicht umfasst neben dem vollständigen Namen und der vollständigen Anschrift auch die Steuernummer und – soweit vorhanden – die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Händlers. Darüber hinaus müssen relevante Daten der jeweiligen Lieferungen festgehalten werden, zum Beispiel die Höhe des Umsatzes oder Start- und Zielort der Warenlieferung. Die Aufzeichnungspflichten beschränken sich dabei nicht nur auf Händler, die auf dem Online-Marktplatz als Unternehmer registriert sind. Sie erstrecken sich auch auf Privatpersonen. In diesen Fällen muss der Online-Marktplatzbetreiber neben dem vollständigen Namen und der vollständigen Anschrift das Geburtsdatum des Händlers erfassen.Verkaufen Händler Waren über den Online-Marktplatz umsatzsteuerfrei und führen sie entgegen der gesetzlichen Verpflichtung keine Umsatzsteuer ab, sollen Online-Marktplatzbetreiber für die nichtabgeführte Steuer zukünftig grundsätzlich haften. Eine solche “Gefährderhaftung” ist dem deutschen Recht nicht fremd. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der Nutzen aus einem abstrakt gefährlichen, aber erlaubten Verhalten zieht, für die Schäden einstehen soll, die sich daraus ergeben. Aus Sicht des Gesetzgebers stellt die Bereitstellung eines Online-Marktplatzes ein solches Verhalten dar, da dies Umsatzsteuerhinterziehungen zumindest erleichtert.Betroffen von der Haftung sind die “Betreiber” der Online-Marktplätze. Als Betreiber gilt jeder, der eine Website oder ein anderes Instrument unterhält. Hinzukommen muss, dass mit Hilfe der Website oder dem anderen Instrument Informationen über das Internet zur Verfügung gestellt werden, die es einem Dritten ermöglichen, Umsätze auszuführen. Damit wären neben Amazon und Ebay grundsätzlich alle Marktplätze im Internet von einer möglichen Haftung erfasst.Das Gesetz sieht jedoch eine “Enthaftungsmöglichkeit” des Online-Marktplatzbetreibers vor. Eine Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Online-Marktplatzbetreiber eine Bescheinigung über die steuerliche Erfassung des Händlers in Deutschland oder eine elektronische Bestätigung darüber vorlegen kann.Die Bescheinigung über die steuerliche Erfassung muss der Händler beantragen. Sie wird ihm auf Antrag von dem für ihn zuständigen Finanzamt für maximal drei Jahre erteilt. Nach dem Regierungsentwurf ist das Finanzamt zur Erteilung der Bescheinigung verpflichtet, wenn der Händler steuerlich geführt wird. Es hat daher nicht mehr die Möglichkeit, die Erteilung der Bescheinigung abzulehnen, wenn der Händler in der Vergangenheit seinen steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen ist und damit zu rechnen ist, dass er sie auch zukünftig nicht erfüllen wird – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen. Um eine Enthaftung zu bewirken, muss die Bescheinigung dem Online-Marktplatzbetreiber zum Zeitpunkt der Lieferung des Händlers vorliegen und (noch) gültig sein.Eine elektronische Bestätigung kann der Online-Marktplatzbetreiber selbst einholen. Dazu muss er eine elektronische Anfrage beim Bundeszentralamt für Steuern stellen. Dort werden Bescheinigungen über die steuerliche Erfassung der Händler bzw. entsprechende Daten gespeichert.Eine Enthaftung ist dem Online-Marktplatzbetreiber jedoch versperrt, wenn er dem Händler Verkäufe über seinen Marktplatz ermöglicht, obwohl er von der fehlenden Umsatzversteuerung weiß, oder hätte erkennen müssen, dass der Händler seinen Umsatzsteuerpflichten nicht nachgekommen ist. Letzteres ist im Einzelfall zu entscheiden und führt dadurch zu einem erheblichen Haftungsrisiko für Online-Marktplatzbetreiber, das es durch geeignete interne Compliance-Maßnahmen zu minimieren gilt. InformationsrechtHat sich der Händler unzutreffend nicht als Unternehmer, sondern als Privatperson auf dem Online-Marktplatz registriert, haftet der Online-Marktplatzbetreiber grundsätzlich nicht. Die Haftung lebt jedoch wieder auf, wenn der Online-Marktplatzbetreiber die Aufzeichnungspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt oder Anhaltspunkte vorliegen, die offensichtlich auf eine Unternehmereigenschaft des Händlers hindeuten, etwa Art, Menge und Höhe der getätigten Umsätze.Schließlich wird das zuständige Finanzamt berechtigt, den Betreiber des Online-Marktplatzes über das steuerliche Fehlverhalten eines Händlers zu informieren. Einer Haftung kann der Online-Marktplatzbetreiber dann nur noch entgehen, wenn er innerhalb der vom Finanzamt in der Mitteilung gesetzten Frist nachweist, dass er den Händler von seinem Marktplatz ausgeschlossen hat. Ansonsten haftet er ab dem Zeitpunkt der Mitteilung für entsprechende Umsatzsteuerausfälle.Das neue Gesetz soll bereits am 1. Januar 2019 in Kraft treten. Die Anwendungsbestimmungen sehen jedoch vor, dass die Haftungsregelung erst ab einem späteren Zeitpunkt eingreift: für Händler aus dem Drittland ab dem 1. März 2019 und für Händler aus Deutschland, der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum ab dem 1. Oktober 2019. Berlin wartet nicht auf BrüsselDer Gesetzentwurf wurde mittlerweile dem Bundesrat zugeleitet, der sich in nächster Zeit damit befassen wird. Anschließend wird der Entwurf im Bundestag diskutiert. In welchem Umfang die Regelungen tatsächlich Gesetz werden, bleibt zwar abzuwarten. Dies gilt auch für die Frage, ob Betreiber von Marktplätzen auf denen Dienstleistungen angeboten werden davon verschont bleiben, wie Uber oder Airbnb. Vor dem Hintergrund der bisherigen Diskussionen ist aber damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber die EU-Regelung nicht abwartet, sondern vorher tätig wird. Online-Marktplatzbetreiber müssen dann die Nutzungsbedingungen ihrer Plattformen verschärfen, um eine Haftung zu vermeiden.*) Dr. Ulrike Bär ist Counsel und Martin Zindler Associate im Kölner Büro von Osborne Clarke.