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Kanada im Ölsandrausch

Hohe Energiepreise machen Rohölgewinnung aus Bitumen attraktiv - Umweltschutz lässt Kosten steigen

Kanada im Ölsandrausch

Von Markus Gärtner, Vancouver Brock Gibson ist Anwalt bei Blake Cassels & Graydon, Kanadas Kanzlei des Jahres 2007, in der Ölmetropole Calgary. Anfang Februar kam eine Delegation der Provinz Alberta mit Klienten von Gibson zurück von einer Visite bei Chinas großen Energiefirmen. Den bleibenden Eindruck bei der Besuchergruppe haben ein paar kleine Papiere hinterlassen: “In jedem Büro dort hängen Landkarten von Kanadas Ölsandgebieten”, erzählt Gibson. Weil der Ölpreis seine Rally fortsetzt und konventionelle Quellen in geringerem Ausmaß erschlossen werden, sind die Ölsande in Alberta – mit 173 Mrd. Barrel das zweitgrößte Vorkommen nach Saudi-Arabien – weltweit in den Blickpunkt gerückt. Kanadas Premier Stephen Harper propagiert das Ahornland dank des ölreichen Bitumens in Alberta bereits als künftige Öl-Supermacht. Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts soll die Förderung in den Ölsandgebieten von 1,2 Mill. Barrel je Tag auf 2,8 Mill. klettern. Rund 100 Mrd. Dollar haben kanadische und internationale Ölfirmen für die gigantische Expansion bereitgestellt. Obwohl die Kosten bei Suncor Energy, dem zweitgrößten Ölsandproduzenten, im vergangenen Jahr laut dem aktuellen Quartalsbericht um 28 % auf 27,80 Dollar je Barrel stiegen, legte der Nettogewinn im vierten Quartal um satte 168 % zu. Ein weiteres Beispiel ist der Canadian Oil Sands Trust. Er hält 37 % der Anteile am Syncrude-Projekt in der Nähe der Ölstadt Fort McMurray, wo über 300 000 Barrel Öl pro Tag produziert werden. Das Volumen soll bis Ende des kommenden Jahrzehnts auf 500 000 steigen. Der Canadian Oil Sands Trust hat nach den kräftigen Börsenturbulenzen im Januar schon wieder um 25 % zugelegt. Seit Anfang 2003 hat der Kurs 523 % gewonnen und dabei viermal mehr Zuwachs als der TSX Index verzeichnet. Die langfristige Zuversicht in die Ölsande drückt sich in massiven Investitionsvorhaben aus. Suncor hat Ende Januar angekündigt, 20 Mrd. Dollar in die Expansion ihrer Förderung bei Fort McMurray zu investieren, rund die Hälfte davon in einen Upgrader, der das schwere Bitumen in ein für herkömmliche Raffinerien verwertbares Leichtöl umwandeln soll. Zumindest kurzfristig geben unabhängige Experten den Energiefirmen mit ihren rosigen Prognosen recht. Das Conference Board of Canada sagt den Ölschürfern für 2007 einen weiteren Gewinnsprung von 18 % vorher, in der Summe 23 Mrd. Dollar. Im nächsten Jahr sollen die Gewinne dann durch rasant weiter steigende Material- und Lohnkosten, aber auch wegen sinkender Ölpreise um 29 % zurückgehen, bevor sie bis zum Jahr 2012 auf ein neues Hoch von 23,7 Mrd. Dollar ansteigen. “Die stur steigenden Kosten in den Ölsanden sind kein Geheimnis, und die Situation wird noch schwieriger, weil die Energiefirmen für ihre Expansion händeringend Material und Leute suchen”, heißt es im jüngsten Bericht des Conference Board zu dem Thema. “Unsere Kosten steigen dramatisch um 10 bis 30 % pro Jahr”, bestätigt Brian Straub, der Executive Vice President für die Ölsande bei Shell Canada. Shell will ihre Produktion im Athabasca Oil Sands Project bis zum Ende des Jahrzehnts für 10 bis 12 Mrd. Dollar um weitere 100 000 Barrel pro Tag ausbauen. In vier Phasen mit jeweils zwei bis drei Jahren Bauzeit soll die Kapazität dann bis Ende des kommenden Jahrzehnts auf 770 000 Barrel noch einmal verdreifacht werden. Die Energiekonzerne kämpfen im Norden Albertas jedoch nicht nur mit eskalierenden Kosten. “Wir haben seit 2005 mehr neue Regulierungen gesehen als in den vergangenen 20 Jahren”, sagt Janet Annesley, die bei Shell in den Ölsanden die Öffentlichkeitsarbeit leitet. Albertas Regierung setzt den Firmen unter wachsendem öffentlichem Druck die Daumenschrauben an, denn die Ölsande gelten als der größte Erzeuger von Treibhausgasen in Kanada. Umweltgruppen wie Environmental Defence haben sie als “das schädlichste Projekt auf dem Planeten” bezeichnet. Die Provinzregierung gerät angesichts der Klimadiskussion zunehmend unter Druck und will bis 2020 die CO2-Emissionen um 20 % reduzieren. “Alle Verschmutzer müssen ihren Ausstoß an Klimagasen verringern, auch in den Ölsanden”, sagt der Staatssekretär im Umweltministerium, Mark Warawa. Der bei den Provinzwahlen bestätigte Premier von Alberta, Ed Stelmach, hat bereits klargestellt, “die Umwelt hat Vorrang vor der Wirtschaft”. Den Energiefirmen weht auch von anderer Seite Wind ins Gesicht. Ed Stelmach hat im Herbst die Abgaben auf die Produktion in den Ölsanden erhöht, sie werden je nach Ölpreis ab Januar 2009 von jetzt 1 % auf bis zu 9 % steigen. Die Gewinnsteuer, die die Firmen hier erst zahlen, wenn ihre Investitionen verdient wurden, klettert von 25 auf 40 %. Gewinne werden in den Ölsanden künftig erst ab einem Weltmarktpreis von 65 Dollar je Barrel Öl gemacht, bisher waren es 55 Dollar, sagen Brancheninsider. Daher wird mit einer Branchenkonsolidierung gerechnet. Kanadas National Energy Board hat Anfang November seine Prognose für die Produktion im Jahr 2015 von 3 Mill. Barrel pro Tag auf nur noch 2,8 Mill. korrigiert. Den Boom beim Ölsand wird das aber nur verlangsamen.