RECHT UND KAPITALMARKT

Kanzleien in gesellschaftlicher Verantwortung

Corporate Social Responsibility gewinnt für Anwälte und Unternehmensjuristen zunehmend an Bedeutung

Kanzleien in gesellschaftlicher Verantwortung

Von Birgit Spießhofer *)Corporate Social Responsibility (CSR) gewinnt zunehmend an Bedeutung, auch für Anwälte und Unternehmensjuristen. Der Begriff ist schillernd. Er entzieht sich einer eindeutigen und abschließenden Definition. CSR ist vielmehr ein Leitbegriff, unter dem die Frage von Reichweite und Qualität unternehmerischer Verantwortung in der Globalisierung auf vielen Ebenen (neu) verhandelt wird. Für den Rechtsmarkt relevant sind vor allem zwei Dimensionen: Die erste ist Unternehmen und Anwaltschaft seit langem vertraut – pro bono Beratung und Engagement für Gemeinschaft, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Für die Legal Profession wichtiger ist jedoch die zweite Dimension – neue Formen normativer Steuerung, meist mit dem amorphen Sammelbegriff des “Soft Law” belegt, die eine Lücke füllen: Nationales Recht kann aufgrund seiner territorialen Begrenztheit transnationale Phänomene wie globales Wirtschaften, Digitalisierung und Klimaschutz nicht adäquat steuern. Klassisches Völkerrecht ist zu schwerfällig und erfordert nationale Ratifikation. Die unter der Überschrift CSR entstehenden Normen wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und der ISO-26000-Leitfaden für die gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen werden nicht nur von europäischem und nationalem Recht absorbiert und umgesetzt. Sie werden auch nicht erst dann juristisch relevant. Vielmehr werden sie, wie beispielsweise in der CSR-Reporting-Richtlinie, auch mit herkömmlichem Recht verbunden oder treten eigenständig daneben und steuern als “Standard erwarteten Verhaltens” unternehmerisches Handeln unmittelbar. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen verfügen zudem mit dem Verfahren vor den nationalen Kontaktstellen über einen Mechanismus, mit dem ihre menschenrechtlichen, ökologischen und Integritäts-Vorgaben gegenüber OECD-ansässigen Unternehmen, und zwar hinsichtlich deren weltweiten Wirtschaftens, durchgesetzt werden können, losgelöst von nationalem Recht. Bei CSR geht es um die Entwicklung eines globalen Ordnungsrahmens für globales Wirtschaften. Nichtstaatliche Akteure wie Unternehmen und NGOs werden verstärkt in die Regelsetzung und -durchsetzung eingebunden, um die begrenzte transnationale Reichweite staatlicher Institutionen zu kompensieren. Ein Beispiel ist die jüngste Diskussion um Facebook: Das soziale Netzwerk befindet einerseits (freiwillig) aufgrund seiner Nutzungsordnung, andererseits durch das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz erzwungen, über die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen und deren Löschung. In drei FunktionenEin weiteres Beispiel ist die Steuerung transnationaler Lieferketten über Codes of Conduct, Compliancemanagement und Reporting. Unternehmen werden, häufig durch NGOs überwacht und mit “Name and Shame”-Kampagnen belegt, für die Setzung und Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verantwortlich gemacht, und zwar nicht nur innerhalb der Unternehmensgruppe, sondern in ihrem weiteren Einflussbereich, unabhängig von den Verantwortlichkeitszuweisungen des nationalen Rechts. Kanzleien werden in drei Funktionen angesprochen: erstens als Unternehmen, zweitens als Dienstleister und drittens als Berater von Unternehmen, NGOs oder Geschädigten. Sie können sich dem kaum entziehen. Allerdings stellen sich grundsätzliche Fragen, die seit geraumer Zeit im Rahmen der International Bar Association (IBA) und des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE) diskutiert werden, aber bislang keiner befriedigenden Lösung zugeführt wurden. Alle internationalen CSR-Normen legen einen weiten Unternehmensbegriff zugrunde, der ohne Größenbegrenzung auch Kanzleien erfasst. Sie sollen daher grundsätzlich wie andere Unternehmen beispielsweise an dem von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte proklamierten “Standard erwarteten Verhaltens” gemessen werden. Dieser beinhaltet erstens, dass “alle Menschenrechte respektiert” werden, was erst noch in konkrete Verhaltensvorgaben übersetzt werden muss. Zweitens soll “die Einhaltung der Menschenrechte” durch Due-Diligence-Maßnahmen nachgewiesen werden. Anders als bei M&A-Due Diligence geht es dabei nicht primär um den Schutz des Unternehmens, sondern um eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zum Schutz Dritter, die von Unternehmenshandeln betroffen sein können. Sie umfasst die Verpflichtung, eine Unternehmenspolicy zu erstellen, sie zu implementieren und ihre Umsetzung zu überprüfen und darüber öffentlich zu berichten. Diese Sorgfaltspflicht soll auch die Geschäftspartner umfassen. Sie kann Haftung, auch für Drittverhalten, begründen. Die IBA hat einen umstrittenen “Practical Guide on Business and Human Rights for Business Lawyers” verabschiedet, der die Bedeutung dieser Vorgaben für Anwaltschaft und Syndici konkretisieren soll. Zentrale Streitfragen waren neben dem Thema, ob die IBA neben Gesetzgeber und Anwaltskammern zum globalen Regulator professioneller Verhaltensanforderungen werden soll, vor allem zwei Aspekte: Erstens, inwiefern Anwälte als Organe der Rechtspflege, die zudem spezifischen Vertraulichkeitsverpflichtungen unterliegen, wie andere Unternehmen behandelt werden können; zweitens, inwiefern Anwälte neben Korruption und Geldwäsche auch noch in menschenrechtlicher Hinsicht zum “Gatekeeper” ihrer Mandanten werden sollen. Die UN-Leitprinzipien verlangen, dass nicht nur Menschenrechts”verletzungen”, sondern jede “negative Auswirkung” auf die Menschenrechte vermieden oder kompensiert wird, d. h. auch eine nach der nationalen Rechtsordnung legale. Außerdem begründen sie eine sehr weitgehende Verantwortung für “negative Auswirkungen” Dritter, insbesondere von Mandanten, die der Anwalt verursacht, zu denen er “beiträgt” (was sehr viel weiter verstanden wird als strafrechtliche Beihilfe) oder mit denen er “direkt verbunden” ist (ohne dass er davon wissen muss). Der Anwalt soll im Rahmen seiner Due Diligence vor Mandatsannahme und während der Beratung mögliche Verstöße feststellen, mit dem Mandanten an ihrer Behebung arbeiten und notfalls das Mandat ablehnen oder kündigen. Diese weitgehende Vorverlagerung anwaltlicher Pflichten in den schwammigen Bereich des Illegitimen, aber Legalen, und die Verantwortungsbegründung für Mandantenverhalten kollidiert mit der Rolle als “Rechts”berater und der Unabhängigkeit des Anwalts, der den Zugang zum Recht auch Missetätern zu eröffnen hat. Diese Fragen wurden in der IBA-Guidance nicht angemessen gelöst. Anwälte werden umgekehrt auch als Dienstleister von ihren Mandanten gebeten, als Teil des Mandatsvertrages deren Supplier Code of Conduct zu unterzeichnen. Damit schreiben Mandanten ihren Rechtsberatern – an Gesetzgeber und Anwaltskammer vorbei – professionelle Verhaltenspflichten vor, und zwar nach eigenem Gutdünken. Da die Einhaltung des Code of Conduct im Regelfall für das gesamte Geschäftsgebaren der Kanzlei verlangt wird, kann dies nicht nur von der eigenen Kanzleipolicy abweichen, sondern auch von den Codes of Conduct anderer Mandanten. Der Ausweg ist entweder ein umfassendes Compliance-Management, Verhandlungen mit den Mandanten über die Äquivalenz und Akzeptanz eines kanzleieigenen Code of Conduct oder das Prinzip Hoffnung, das heißt unterschreiben und hoffen, dass nichts passiert. Als Berater sind Anwälte zunehmend mit CSR konfrontiert. Sie sind beispielsweise gefordert, CSR-Vorgaben in Lieferverträge zu integrieren. CSR-Normen sind anerkannte Leitlinien für CSR-Reporting. Die UN-Leitprinzipien sollen in Unternehmenspolicies und Compliancestrukturen übersetzt werden, und zwar möglichst in einer Weise, die keine Haftung, insbesondere keinen Durchgriff von Gläubigern von Tochtergesellschaften eröffnet. Dabei stellt sich unter anderem die praktische Frage, inwiefern der jeweilige Haftpflichtversicherungsschutz CSR-Beratung mit umfasst.Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich Anwälte und Anwaltsorganisationen dieser komplexen neuen Materie stellen. —-*) Dr. Birgit Spießhofer ist Rechtsanwältin im Berliner Büro von Dentons.