RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: LAURENZ WIENEKE

Kapitalmarktkommunikation in Zeiten der Pandemie

Was Emittenten bei der Ad-hoc-Publizität beachten müssen

Kapitalmarktkommunikation in Zeiten der Pandemie

Herr Wieneke, wie wirkt sich die Ausbreitung des Coronavirus auf die Kapitalmarktkommunikation aus? In welchen Fällen sind Ad-hoc-Mitteilungen notwendig?Unternehmen sind in unterschiedlicher Weise von der Krise betroffen. Daher muss in jedem Einzelfall analysiert werden, welche Beeinträchtigungen gegenwärtig bestehen oder zu befürchten sind. Dabei müssen die Unternehmen prüfen, ob die spezifischen Beeinträchtigungen eine Insiderinformation darstellen. Die wesentliche Frage dabei ist, ob die jeweilige Information nicht öffentlich bekannt und kursrelevant ist. Die BaFin hat am 20. März Q&As veröffentlicht, an denen Emittenten sich orientieren sollten. An welche konkreten Szenarien denken Sie?Ein naheliegender Fall sind unmittelbare Beeinträchtigungen der Produktion. Auch hier können die Gründe vielfältig sein. Zu denken ist an Personalengpässe, etwa durch Quarantänezeiten oder Erkrankungen, bis hin zu gesundheitspolizeilich angeordneten oder vorsorglichen Schließungen von Produktionsanlagen. Daneben können auch Umstände relevant sein, die außerhalb des unmittelbaren Tätigkeitsbereichs des Emittenten eintreten. Das betrifft insbesondere die Lieferketten, also Fälle, in denen Unternehmen die eigene Produktion runterfahren müssen, weil notwendige Zulieferungen ausbleiben. Wie sind die Konzerne in den letzten Tagen damit umgegangen?Die Unternehmen gehen unterschiedlich mit der Situation um. Ein prominentes Beispiel ist Daimler, die per Ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben hat, dass aufgrund der sich zuspitzenden Corona-Pandemie entschieden wurde, den Großteil der Produktion für zunächst zwei Wochen zu unterbrechen. Am selben Tag teilte Volkswagen durch eine einfache Pressemitteilung mit, dass die Marke Volkswagen Pkw ihre Produktion in den europäischen Werken sukzessive herunterfährt, und verweist dabei auf die beschleunigte Infektionsrate durch Corona und den sich abzeichnenden Abbruch der Lieferketten und den Einbruch der Nachfrage. An diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass jeder konkrete Sachverhalt gesondert zu beurteilen ist und am Ende dieser Beurteilung durchaus unterschiedliche Ergebnisse stehen können. Kann man nicht davon ausgehen, dass die Auswirkungen der Coronakrise ohnehin allgemein bekannt sind? Dann liegt doch gar keine neue Information mehr vor.Es trifft zu, dass die Krise alle Unternehmen betrifft, aber eben in unterschiedlichem Maße. Maßgeblich ist, ob ein Unternehmen spezifisch und im kursrelevanten Umfang betroffen und dieser Umstand noch nicht öffentlich bekannt ist. Dann kann sich das Unternehmen nicht auf die allgemeinen Diskussionen über die Krise berufen. Wie sollten die Emittenten mit möglichen Prognoseabweichungen umgehen?Die BaFin ist bei ihrer Beurteilung von Prognoseabweichungen streng. Es wird anspruchsvoll sein, diese Maßstäbe in der Coronakrise durchzuhalten. Hier gilt, dass mit Blick auf die Verwaltungspraxis der BaFin bereits bei absehbaren Abweichungen von der eigenen Prognose oder der Markterwartung eine Ad-hoc-Pflicht zu prüfen ist. Angesichts der gegebenen Unsicherheiten dürfte es zulässig sein, die alte Prognose nur zurückzuziehen und keine neue Prognose zu veröffentlichen. Insbesondere wenn die Corona-Folgen noch nicht klar absehbar und bezifferbar sind, müssen Emittenten im Gegenteil darauf achten, dass sie sich später nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie hätten die neue Prognose ins Blaue hinein gemacht. Kann auch die Erkrankung eines Vorstandsmitglieds unter die Ad-hoc-Pflicht fallen?Auch Informationen über die Erkrankung beziehungsweise den dauerhaften Ausfall von Führungskräften können kursrelevant sein und Insiderinformationen darstellen. Das Coronavirus begründet bei der Beurteilung keinen Sonderfall. Aber auch hier muss man auf den konkreten Einzelfall schauen. Entscheidend ist die Schwere und Dauer der Erkrankung und die Bedeutung der jeweiligen Person. Ein positives Testergebnis dürfte bei einem milden Krankheitsverlauf nicht ausreichen. Zudem wäre im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein Aufschub der Veröffentlichung zu erwägen. Die Interessen des Betroffenen haben aber keinen absoluten Vorrang gegenüber der Ad-hoc-Publizität. Dr. Laurenz Wieneke ist Partner im Frankfurter Büro von Noerr. Die Fragen stellte Helmut Kipp.