Kapitalmarktprofis sind für aktivere europäische Industriepolitik
– Herr Bielmeier, die DVFA, (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management), der Sie vorsitzen, hat ihre Mitglieder zur Einschätzung darüber befragt, ob sich die Bundesrepublik vor ausländischen Investoren schützen solle. Was sind die Ergebnisse?Die in der DVFA organisierten Investment Professionals halten Investitionskontrollen dann für gerechtfertigt, wenn sie dem Schutz eines höheren Guts dienen. Wenn die nationale Sicherheit bedroht ist, befürworten mehr als 60 % strengere Gesetze. Nur 8 % der befragten Analysten, Fondsmanager, Banker und Vermögensverwalter befürworten einen solchen Eingriff in Privateigentum und Vertragsfreiheit auch bei weniger kritischen Vorbehalten. – Überrascht Sie das?So weit nicht. Was sich jedoch auch zeigt, ist, dass auch Kapitalmarktprofis durchaus eine aktivere europäische Industriepolitik wünschen – immerhin fast zwei Drittel von ihnen.- Woran könnte dieser Stimmungswandel liegen?Wir sehen gerade zwei Entwicklungen: Deutschland, das bislang stark von der Globalisierung profitiert hat, sieht sich mehr und mehr auch mit Nebenwirkungen konfrontiert – wachsende Ungleichheit, schärferer Wettbewerb, zunehmende Migrationsströme. Und andererseits betreiben Staaten wie China und die USA immer ungehemmter Politik zugunsten ihrer heimischen Wirtschaft, die im Falle Chinas auch noch staatlich gelenkt ist. Da entsteht selbst am Kapitalmarkt ein Unbehagen, ob denn die Kräfte des Marktes ausreichen, um hier ein Gleichgewicht zu schaffen.- In welchen Sektoren sehen die Investment-Professionals denn Handlungsbedarf?Fast zwei Drittel stimmen zu, dass Europa ausländische Investitionen in Informationstechnologie, Wasser- und Energieversorgung, Gesundheit, Ernährung, Telekommunikation, Zahlungsverkehr sowie Güter- und Personenverkehr kontrollieren sollte. Da merkt man, dass der Begriff der “nationalen Sicherheit” doch sehr dehnbar ist. Hier handelt es sich eher um Infrastrukturen, die der öffentlichen Ordnung dienen.- Wie kommt das Beispiel von Trumps Amerika an?Gar nicht so schlecht, wie man vermuten würde! Das Beispiel Amerikas halten immerhin mehr als die Hälfte der Befragten nicht für abschreckend. So stimmen 57 % der Aussage zu, dass die USA trotz ihrer Abschottungsbemühungen eines der attraktivsten Ziele für Investoren auf der Welt geblieben seien. Das könne ihrer Meinung nach auch ein Beispiel für Europa sein. Umgekehrt befürchtet jedoch fast die Hälfte der Befragten, dass strengere Investitionskontrollen eine Spirale des Protektionismus in Gang setzen. Das beeinträchtige das Investitionsklima nachhaltig und werde zum Eigentor. Hier zeigt sich das ganze Dilemma zwischen Ordnungs- und Industriepolitik.- Wie ist die Einschätzung der bisherigen Instrumente der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), des Wettbewerbsrechts und der Beihilfekontrolle?Mehr als die Hälfte der Befragten finden, dass sie zum Schutz vor Know-how-Transfer nicht genügen; nur 28 % halten die bestehenden Regeln für ausreichend. Dabei hat sich sowohl auf nationaler und europäischer Ebene schon etwas getan. Im vorigen Jahr wurde die AWV novelliert und der Erwerb “kritischer Infrastrukturen” der Prüfung durch das BMWI unterworfen. Und die EU will einen gemeinsamen Rahmen schaffen und ein Verfahren der Kooperation und Transparenz zwischen den Mitgliedstaaten etablieren. Der zuständige Handelsausschuss des Europäischen Parlaments hat sich erst kürzlich für eine Verschärfung des Entwurfs ausgesprochen. – Was sind Ihre Schlussfolgerungen, was hat sich in der Bewertung der Kapitalmarktakteure geändert?Wir sind vielleicht stärker als früher mit marktverzerrendem Verhalten durch Staaten oder staatlich unterstützten Unternehmen konfrontiert. Deshalb sehen auch die Kapitalmarktteilnehmer heute durchaus ein Spannungsfeld zwischen berechtigten nationalen Interessen und dem Wettbewerb. Schärfere Kontrollen sollten jedoch die Ultima Ratio bleiben. Mit dem Grundsatz der Reziprozität ist vielleicht eine Balance zu finden, die das Investitionsklima nicht beeinträchtigt.—-Stefan Bielmeier äußert sich als Vorstandsvorsitzender der DVFA. Er ist Chefvolkswirt der DZ Bank.Die Fragen stellte Walther Becker.