Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Klaus Saffenreuther

KapMuG im Praxistest - Nachbesserung erwünscht

Testfall Telekom-Musterverfahren - Kapitalmarktbezogene Streitigkeiten nehmen zu

KapMuG im Praxistest - Nachbesserung erwünscht

– Herr Saffenreuther, in dieser Woche hat vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt der größte Anlegerschutzprozess in Deutschland gegen die Deutsche Telekom begonnen. Die Entscheidung wird nach dem noch relativ neuen Gesetz über Musterverfahren (KapMuG – Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) herbeigeführt. Hat sich das KapMuG bislang in der Praxis bewährt?Es ist noch zu früh, um hier eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Wir befinden uns gerade mitten in der fünfjährigen Probezeit des KapMuG. Bis heute ist noch kein Verfahren rechtskräftig beendet worden. Insbesondere das vorgestern begonnene Telekom-Musterverfahren wird der Testfall sein, ob die Ziele des Gesetzes erreicht werden können. – Welche Ziele hatte der Gesetzgeber vor Augen?Für eine Vielzahl von Verfahren entscheidungsrelevante Fragen einheitlich und damit schneller zu entscheiden als in den 16 000 Einzelverfahren. Schließlich wurde das Gesetz unter anderem gerade dazu erlassen, das Telekom-Verfahren effektiver zu bewältigen. Das Musterverfahren zu Klagen gegen die Daimler AG spricht aber dafür, dass das KapMuG unter bestimmten Voraussetzungen seine Ziele erreichen kann. Bei diesem Verfahren geht es um die Frage, ob die Ad-hoc-Meldung zum Rücktritt von Jürgen Schrempp rechtzeitig erfolgte. – Bemängelt wird, dass in der Praxis Prozesse mit der Möglichkeit, Musteranträge zu stellen, erheblich in die Länge gezogen werden können. Gibt es Wege, um dies zu verhindern? Die genaue Prüfung der Voraussetzungen für ein Verfahren nach dem KapMuG ist sicher der beste Weg, ein effektives Verfahren zu gewährleisten. Dazu gehören in jedem Einzelfall unter anderem eine Schlüssigkeitsprüfung und die Frage der Entscheidungsreife. Auch haben es die Gerichte in der Hand, durch eine sinnvolle Verfahrensgestaltung die Gefahr von Verzögerungen zu verringern. Gleichwohl besteht in diesem Punkt noch Verbesserungsbedarf. – Hat der Gesetzgeber diese Entwicklung denn falsch eingeschätzt? Man darf Folgendes nicht übersehen: Ziel des KapMuG ist es, bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle insgesamt, das heißt bezogen auf die Gesamtheit der Verfahren, eine schnellere, kostengünstigere und zugleich einheitliche Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Dass einzelne Verfahren länger dauern können als nach den normalen Verfahrensregeln, hat der Gesetzgeber – zu Recht – in Kauf genommen. – War das KapMuG überhaupt der richtige Weg, um Sammelklagen nach US-Vorbild hierzulande zu verhindern? Sinn und Zweck des KapMuG war es nicht, Sammelklagen nach US-Muster zu verhindern – sondern einen effektiven Weg zu finden, gleichgelagerte Fälle konsistent und kosteneffektiv zu entscheiden. Im Übrigen stand ein schlichter “Import” von US-Sammelklagen nie zur Debatte. Denn diese Verfahrensform ist weitgehend weder mit den Grundsätzen des deutschen Zivilprozessrechts noch mit dem materiellen deutschen Recht vereinbar. – Auf EU-Ebene gibt es nun Überlegungen in einem Weißbuch, Schadenersatzklagen von Unternehmen und Privatpersonen bei kartellrechtlichen Verstößen zu verbessern. Könnten auf diesem Weg Sammelklagen nun auch hierzulande Einzug halten? Ja, aber in diesem Fall wären erhebliche Anpassungen an deutschen Zivilprozessnormen notwendig, zum Beispiel in Hinblick auf die Pflicht der unterliegenden Partei, die Prozesskosten zu tragen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn Gruppenmitglieder sich nicht aktiv einer Sammelklage anschließen, sondern am Verfahren teilnehmen, indem sie sich nicht ausschließen. Diese sogenannte “Opt-out-Variante” ist wesentlich häufiger als ein ausdrücklicher Klagebeitritt. Allerdings steht aus unserer Sicht noch gar nicht fest, ob bzw. in welchem Umfang der EU Kompetenzen zur Regelung des Zivilprozessrechts zustehen. – Auf welche Veränderungen für Zivilprozesse haben sich Unternehmen in Deutschland also einzustellen? Weniger durch das KapMuG als durch die derzeitige Marktsituation bedingt, werden wir sicher mehr kapitalmarktbezogene Streitigkeiten sehen. Zudem wird das KapMuG wohl nach Ende der Erprobungsphase in etlichen Punkten verbessert. Der Gesetzgeber sollte den oft übersehenen Kostenfragen mehr Aufmerksamkeit widmen. – Das heißt?Die im Jahre 2004 eingeführte Begrenzung des Streitwerts auf 30 Mill. Euro, die für die Berechnung der Gerichts- und Anwaltskosten maßgeblich ist, hat zu einer Erhöhung der eingeklagten Summen im obersten Segment geführt. Nachdem es für das Prozesskostenrisiko nun keinen Unterschied mehr macht, ob ich 30 Mill. Euro oder 30 Mrd. Euro einklage, ist die Bereitschaft gestiegen, Klagen in Milliardenhöhe einzureichen. Diese Bereitschaft gab es vor Einführung der Kappungsgrenze in diesem Maße nicht. Hier sollte der Gesetzgeber nachbessern, um den Anreiz für missbräuchliche Klagen einzuschränken. Klaus Saffenreuther ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Linklaters.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.