Kartellbehörden arbeiten im Modus der Ausnahmesituation
Von Jens Steger *)Auch wenn die gesetzlichen Kontakt- und Versammlungsbeschränkungen mittlerweile abgemildert werden: Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und seiner wirtschaftlichen Folgen wirken sich auch unmittelbar auf die Arbeit der Kartellbehörden aus. Um sachgerechte Entscheidungen weiter zu gewährleisten, hat das Bundeskartellamt vorübergehend mehr Zeit für die Ermittlungen bei Fusionskontrollverfahren.Das deutsche Fusionskontrollregime ist für seine Effizienz bekannt. Um diese Effizienz zu gewährleisten, unterliegen die Prüfverfahren einem strengen, zweiphasigen Fristenregime. Nach Anmeldung eines Zusammenschlussvorhabens gilt zunächst eine Prüffrist von einem Monat. Einfache Verfahren, die keinen Anlass zu wettbewerblichen Bedenken geben, können so schnell freigegeben werden. Entschließt sich das Bundeskartellamt innerhalb dieser Frist aber zu einer tiefergehenden Prüfung, darf diese insgesamt generell bis zu vier Monate dauern.Der Gesetzgeber hat angesichts der grassierenden Corona-Pandemie für aktuelle Verfahren entschieden, die erste Frist auf zwei Monate zu verlängern und für eine Prüfung im Hauptverfahren bis zu sechs Monate zu gewähren. Die Regelung gilt für alle Zusammenschlussvorhaben, die in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai beim Amt angemeldet wurden.Diese zeitlich befristeten Erleichterungen im Fusionskontrollverfahren werden erheblich dazu beitragen, die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie für Unternehmen und Institutionen abzumildern. Durch das enge zeitliche Korsett der Fusionskontrolle sind die Zusammenschlussparteien ohnehin stets gehalten, ohne zeitliche Verzögerungen an den Ermittlungen des Bundeskartellamtes mitzuwirken.Aber auch andere Marktteilnehmer, wie Wettbewerber oder Abnehmer der Zusammenschlussbeteiligten, können involviert sein. Ihre Einschätzungen sind häufig unverzichtbarer Bestandteil der kartellbehördlichen Ermittlungen. Vielen Unternehmen fehlen aber aufgrund der Corona-Pandemie schlicht die Ressourcen, um fristgerecht und konstruktiv mitwirken zu können. Dies führt aber auch dazu, dass zur Sicherheit öfter ein zeitintensives zweiphasiges Hauptprüfverfahren durchgeführt werden müsste. Hiervon sind fusionskontrollpflichtige M&A-Transaktionen unmittelbar betroffen. Zeitliche Verzögerungen können hier schnell sehr teuer werden, da Transaktionen so lange nicht vollzogen werden dürfen, bis die behördliche Freigabe erteilt wurde. Zusätzlich werden häufig klassische M&A-Klauseln verwendet, wonach die erwerbende Partei einen bestimmten zusätzlichen Betrag an den Veräußerer zu zahlen hat, wenn eine M&A-Transaktion von der ersten in die zweite Phase eines Fusionskontrollverfahrens übergeht. Dies ist gerade in Zeiten der Pandemie je nach Sichtweise eine gute (Verkäufer) oder aber schlechte (Käufer) Klauselwahl.Diese vorstehenden Überlegungen gelten auch für europäische Fusionskontrollverfahren im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission. Im europäischen Fusionskontrollrecht gibt es indes den sogenannten “Stop the Clock”-Ansatz, wonach bereits nach der bestehenden Rechtslage inmitten eines Fusionskontrollverfahrens sprichwörtlich die Uhr angehalten werden kann, um den Zusammenschlussparteien mehr Zeit zu geben, relevante Informationen zum Verfahren beizusteuern. Allerdings macht die Kommission in der ersten Phase der Fusionskontrolle bisher nur sehr zurückhaltend von dieser Option Gebrauch, wohingegen dies in der zweiten Phase durchaus häufigerer vorkommt. Da die Kommission im Zweifelsfall in die vertiefte Prüfung der zweiten Phase übergehen kann, wurde ein “Stop the Clock” in der Vergangenheit als allgemeine “Policy-Erwägung” überwiegend abgelehnt. Gleichwohl gibt es angesichts der Corona-Pandemie sehr gute Gründe, ein “Stop the Clock” bereits in der erste Phase auf breiterer Front zu gewähren. Sinnvoller AnsatzDeutschland hat durch die Anpassung des Fristenregimes vorgemacht, dass dies nicht nur praktisch, sondern angesichts der derzeitigen Ausnahmesituation auch angemessen wäre. Jedenfalls für Zusammenschlussvorhaben, die ab Februar 2020 bei der Kommission angemeldet waren, ist ersichtlich, dass diese nur schwerlich im üblichen engen zeitlichen Korsett durchführbar sind. Dies gilt umso mehr für Verfahren, bei denen es informelle Vorabkontakte mit der Behörde gegeben hat, denn hier könnte in den allermeisten Fällen noch an der richtigen Fusionskontrollstrategie gearbeitet werden bzw. die bereits vorhandene Fusionskontrollstrategie adaptiert werden, um dem Zusammenschlussvorhaben zum Erfolg zu verhelfen.Die Regelung des deutschen Gesetzgebers erscheint jedenfalls als sinnvoller Ansatz. Wünschenswert wäre eine ähnlich breite Vorgehensweise seitens der Kommission, zumal die rechtlichen Rahmenbedingungen unstreitig vorhanden sind. Dies würde auch die sonstigen wirtschaftlichen Bemühungen der Kommission, die Folgen der Corona-Pandemie so effektiv wie möglich zu lindern, angemessen flankieren. *) Dr. Jens Steger leitet die Praxisgruppe Kartellrecht der Kanzlei Simmons & Simmons in Frankfurt.