Kein Comeback des Widerrufsjokers für Verbraucherkreditverträge
Von Daniel Latta, Johanna Siemonsen-Grauer und Tobias B. Lühmann *)Der bei Verbrauchern beliebte “Widerrufsjoker” aufgrund vermeintlich falscher Angaben zum Widerrufsrecht beschäftigt Kreditwirtschaft und Gerichte seit Jahren. Aktuell wird suggeriert, eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 26.3.2020 (C-66/19) zur Vereinbarkeit eines Verweises in einer Widerrufsinformation mit der Verbraucherkreditrichtlinie (RL 2008/48/EG) ermögliche es Verbrauchern, sich durch einen Widerruf von ihren Darlehensverträgen zu lösen. Diese Einschätzung ist zweifelhaft.2002 entschied der Gesetzgeber, dass Verbraucher sich im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung im Grundsatz “ewig” vom Vertrag lösen können. Als Korrektiv für das “ewige” Widerrufsrecht sollte den Banken eine gesetzmäßige Widerrufsbelehrung bei Darlehensverträgen zunächst über ein Muster in der BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV) ermöglicht werden. Dieser Versuch scheiterte in der Praxis grandios, unter anderem weil das Muster nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Um sein Ziel eines rechtssicheren Musters doch noch zu erreichen, schuf der Gesetzgeber im Jahr 2010 bei Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie eine Musterwiderrufsinformation im Rang eines förmlichen Gesetzes. Wird das Muster verwendet, gelten die Anforderungen an die Widerrufsinformation kraft Gesetzes als erfüllt (sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion).Das gesetzliche Muster informiert den Darlehensnehmer anhand beispielhafter Pflichtangaben darüber, dass die Widerrufsfrist unter anderem dann zu laufen beginnt, wenn er alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat. Da § 492 Abs. 2 BGB die Pflichtangaben nicht aufführt, sondern auf die Angaben in Art. 247 §§ 6 ff. EGBGB verweist, haben in der Vergangenheit zahlreiche Verbraucher ihren Widerruf darauf gestützt, dass dieser “Kaskadenverweis” nicht hinreichend deutlich und die erteilte Widerrufsinformation fehlerhaft sei. BGH anderer AnsichtDem ist der Bundesgerichtshof (BGH) nicht gefolgt, weil eine Bank nicht genauer als das Gesetz informieren muss und eine vollständige Aufzählung sämtlicher Pflichtangaben die Widerrufsinformation unübersichtlich und undeutlich macht (XI ZR 44/18). Auch die Verbraucherkreditrichtlinie ändert daran nach Ansicht des BGH nichts, weil der Gesetzgeber sich bewusst für den Kaskadenverweis entschieden hat und die Gerichte dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung übergehen dürfen.Das Landgericht Saarbrücken war anderer Meinung und legte dem EuGH die Frage vor, ob der Kaskadenverweis – wie von Art. 10 Abs. 2 lit. p der Verbraucherkreditrichtlinie gefordert – eine “klare, prägnante” Angabe der Widerrufsfrist sei. Der EuGH hat darauf in dem eingangs erwähnten Urteil entschieden, dass es mit den Vorgaben der Richtlinie nicht im Einklang steht, wenn der Vertrag auf eine nationale Vorschrift verweist, die ihrerseits auf weitere nationale Rechtsvorschriften Bezug nimmt. Bei einer solchen Verweisungskette könne der Verbraucher weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung erkennen noch überprüfen, ob der Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält und die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen hat.Nicht entschieden hat der EuGH, ob eine Bank sich bei Verwendung der Musterwiderrufsinformation nach deutschem Recht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann. Dies ist den deutschen Gerichten vorbehalten, die das nationale Recht auszulegen und dabei die Frage zu klären haben, ob Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung bleibt.Diese Frage hat der BGH indes schon klar verneint. Die schon erwähnten Gründe, mit denen der BGH es abgelehnt hat, den Willen des Gesetzgebers und dessen gesetzgeberisches Gesamtkonzept zu ignorieren, gelten auch nach dem EuGH-Urteil unverändert fort. Der eindeutige Gesetzeswortlaut und der unmissverständliche Wille des Gesetzgebers lassen eine richtlinienkonforme Auslegung nicht zu.Es ist daher bedenklich, wenn für Verbraucher jetzt die Hoffnung geschürt wird, an der BGH-Rechtsprechung zur Ordnungsgemäßheit von Widerrufsinformationen mit dem Kaskadenverweis werde sich etwas ändern und tausende von Darlehensverträgen seien nunmehr widerrufbar. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass der BGH an dem hinter der Maßgeblichkeit des gesetzgeberischen Willens stehenden Grundsatz der Gewaltenteilung auch dann nicht rüttelt oder rütteln wird, wenn der EuGH eine Entscheidung erlässt, die darauf hinausläuft, dass das deutsche Recht gegen europäische Richtlinien verstößt.So hat beispielsweise das Urteil des EuGH in der Rechtssache Romano (C-143/18) den BGH nicht dazu veranlasst, von seiner bereits vor diesem Urteil gefassten Ansicht abzurücken, dass das deutsche Recht nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann (XI ZR 759/17). Ein Comeback des “Widerrufsjokers” dürfte aus dem EuGH-Urteil daher nicht folgen. *) Daniel Latta und Dr. Johanna Siemonsen-Grauer sind Associated Partner, Dr. Tobias B. Lühmann ist Senior Associate bei Noerr.