Recht und Kapitalmarkt

Keine Angst vor Bewertungsrügen

Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie macht Unternehmen wettbewerbsfähiger - Möglichkeiten für das Bezahlen in Aktien

Keine Angst vor Bewertungsrügen

Von Maximilian Schiessl und Jochen Vetter *)Börsennotierte Gesellschaften können Unternehmensakquisitionen statt gegen Barzahlung durch Bezahlung in Aktien durchführen. Zu denken ist etwa an Übernahmeangebote gegen Gewährung von Aktien oder Verschmelzungen. Für die Gesellschaft liegen die Vorteile auf der Hand: Ein Liquiditätsabfluss wird vermieden; Reserven werden nicht angerührt. Angesichts aktueller Finanzierungsengpässe ist die Gewährung von Aktien für Gesellschaften ohne Liquiditätspolster häufig die einzige Möglichkeit, eine Transaktion durchzuführen.Das Problem: Erfordert die Beschaffung der Aktien einen Hauptversammlungsbeschluss, gefährden Anfechtungsklagen von Minderheitsaktionären die Durchführung der Transaktion. Hauptversammlungsbeschlüsse sind bei Verschmelzungen immer, bei Unternehmenskäufen unter Bezahlung in Aktien immer dann erforderlich, wenn kein ausreichendes genehmigtes Kapital zur Verfügung steht, das die Verwaltung ohne Befragung der Hauptversammlung (HV) zu diesem Zweck verwenden darf. Die Möglichkeiten des genehmigten Kapitals sind jedoch kraft Gesetzes auf maximal 50 %, in der Praxis aufgrund der internen Richtlinien institutioneller Investoren häufig auf nur 20 bis 30 % des Grundkapitals begrenzt. BlockademöglichkeitAnfechtungsklagen können von jedem Aktionär mit nur einer Aktie erhoben werden und blockieren die Eintragung der Maßnahme und damit deren Wirksamwerden unabhängig von ihrer Begründetheit. Diese vom Gesetz eingeräumte Blockademöglichkeit nutzen professionelle Anfechtungskläger, um sich durch einen Vergleich gegen großzügig bemessene Kostenerstattungen zu einer Rücknahme der Anfechtungsklage bewegen zu lassen. Von den verschiedenen in Betracht kommenden Klagerügen haben Juristen vor den sogenannten Bewertungsrügen besonderen Respekt. Diese zielen darauf ab, dass das der Maßnahme zugrunde gelegte Umtauschverhältnis für die Gewährung der Aktien nicht zutreffend oder angemessen ist. Anders als die meisten anderen denkbaren Rechtsmängel lassen sich Bewertungsrügen allein durch eine gründliche Vorbereitung und professionelle Betreuung der HV nicht ausreichend sicher in den Griff bekommen. Zwei VerfahrenDer Gesetzgeber hat das Problem und auch die Schwierigkeiten mit der Bewertungsrüge seit langem erkannt und dafür zwei prozessuale Spezialverfahren vorgesehen: Mit dem Spruchverfahren soll die Anfechtungsklage von Bewertungsrügen und darauf bezogenen Informationsmängeln befreit werden. Bewertungsrügen lassen das Wirksamwerden der Maßnahme unberührt; sich benachteiligt fühlende Aktionäre können stattdessen im Spruchverfahren einen Nachschlag geltend machen. Für alle übrigen Rechtsmängel bleibt es im Grundsatz bei der Anfechtungsklage.Um die Entscheidung über das Wirksamwerden zu beschleunigen, hat der Gesetzgeber mit dem Freigabeverfahren (s. §§ 246a, 319 Abs. 6 AktG und § 16 Abs. 3 UmwG) ein Eilverfahren geschaffen, das in vergleichsweise kurzer Zeit eine Teilentscheidung darüber trifft, ob die Anfechtungsklage dem Wirksamwerden der Maßnahme entgegensteht. Eine Freigabe ist insbesondere auf Grundlage einer Interessenabwägung nach freier Überzeugung des Gerichts möglich. Die Anfechtungsklage kann trotz erfolgreichen Freigabeverfahrens weiterverfolgt werden; maßgebliche Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtungsklage ist dann aber nur noch ein Schadenersatzanspruch des Anfechtungsklägers, dagegen nicht mehr das Scheitern der Maßnahme selbst.Dieses differenzierte Rechtsschutzsystem bekam Bewertungsrügen jedoch nicht in den Griff: Zum einen hat der Gesetzgeber ein Spruchverfahren und die damit verbundene Entlastung der Anfechtungsklage von der Bewertungsrüge nicht für alle relevanten Fälle vorgesehen. So ist bei der Verschmelzung nur die Bewertungsrüge von Aktionären der übertragenden Gesellschaft in das Spruchverfahren verwiesen, während Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft die Bewertungsrüge im Wege der Anfechtungsklage geltend machen können. Bei der Kapitalerhöhung ist ein Spruchverfahren überhaupt nicht vorgesehen.Zum anderen wurde das Freigabeverfahren gemeinhin als für die Überwindung von Bewertungsrügen ungeeignet angesehen. Ein Grund hierfür war, dass nach verbreiteter Meinung bei der im Freigabeverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung dem Vollzugsinteresse der Gesellschaft das Aufschubinteresse aller potenziell benachteiligten Aktionäre und nicht nur des Anfechtungsklägers gegenübergestellt wurde. Daneben war unklar, inwieweit die Erfolgsaussichten der Klage, die bei Bewertungsrügen von den Gerichten regelmäßig nur aufgrund eines aufwendigen Sachverständigengutachtens beurteilt werden, bei der Abwägung mit heranzuziehen sind. Folge dieser unbefriedigenden rechtlichen Situation war, dass ordentliche Sachkapitalerhöhungen bei börsennotierten Gesellschaften praktisch nicht vorkamen und Verschmelzungen der beiden Partner meist unter Inkaufnahme teilweise erheblicher Steuernachteile auf eine Newco erfolgten, um so bei beiden Verschmelzungspartnern ein Spruchverfahren zu eröffnen. Die LösungDie Lösung: Mit dem am 1.9.2009 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) hat der Gesetzgeber das Freigabeverfahren durch verschiedene Modifikationen wesentlich effizienter ausgestaltet. Neben einer Konzentration beim Oberlandesgericht und der Einführung eines Mindestquorums auf Klägerseite (1 000 Euro anteiliges Grundkapital) hat er insbesondere die Interessenabwägungsklausel grundlegend neu gestaltet. Die Freigabe ist nunmehr anzuordnen, wenn erstens das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die von der Gesellschaft dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, und zweitens keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vorliegt. Beide Voraussetzungen werden in aller Regel bei Bewertungsrügen unproblematisch zu bejahen sein.Für die Nachteilsabwägung sind allein die wirtschaftlichen Interessen, nicht die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich. Ohne die Erwartung erheblicher Vorteile wie einer besseren strategischen Positionierung, Synergien oder Kosteneinsparungen sind Sachkapitalerhöhungen und Verschmelzungen nicht denkbar. Diesen Interessen sind allein die Nachteile des Anfechtungsklägers gegenüberzustellen. Diese sind bei der Bewertungsrüge jedoch grundsätzlich unbeachtlich, da der Anfechtungskläger bei Erfolg einen Schadenersatzanspruch gegen die Gesellschaft hätte, wodurch sein denkbarer Nachteil in vollem Umfang kompensiert würde.Eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes kann sich zwar sowohl aus der Bedeutung der verletzten Norm als auch aus dem Ausmaß der Rechtsverletzung ergeben. Erforderlich ist nach den Gesetzesmaterialien aber in jedem Fall, dass eine Umsetzung des Hauptversammlungsbeschlusses ohne vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren für die Rechtsordnung “unerträglich” wäre. Eine solche Unerträglichkeit kommt bei Bewertungsrügen praktisch nicht in Betracht. Ansonsten hätte der Gesetzgeber für Bewertungsrügen kein Spruchverfahren vorsehen dürfen, das das Wirksamwerden der Maßnahme immer unberührt lässt.Dass künftig Freigabeverfahren bei Bewertungsrügen und auch bei sonstigen Rechtsmängeln in aller Regel zugunsten der Gesellschaft ausgehen werden, ist auch keine ungewollte Folge eines vom Gesetzgeber nicht durchdachten Konzepts, sondern vom Gesetzgeber klar gesehen und gewollt gewesen. Damit ist eine verlässliche Basis geschaffen worden, um mit hoher Erfolgsaussicht die Bezahlung in eigenen Aktien unter Beteiligung der HV durchzuführen. Dadurch können Transaktionen möglich werden, die früher aus Furcht vor unkalkulierbaren Risiken nicht angegangen wurden. Deutsche Unternehmen werden somit im internationalen Wettbewerb auf Bieterseite deutlich wettbewerbsfähiger, da sie ebenso wie ausländische Konkurrenten in Aktien zahlen können.—-*) Dr. Maximilian Schiessl und Dr. Jochen Vetter sind Partner bei Hengeler Mueller.