Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Thorsten Schumacher

"Klagezulassungsverfahren dürfte de facto Klageerzwingungsverfahren sein"

Unternehmen sollten frühzeitig Verteidigungsstrategie gegen rechtliche Schritte von Minderheitsaktionären aufbauen - Erster Fall Kirch gegen Deutsche Bank

"Klagezulassungsverfahren dürfte de facto Klageerzwingungsverfahren sein"

– Herr Schumacher, bei der Deutschen Bank gibt es den ersten Versuch eines Klagezulassungsverfahrens durch Minderheitsaktionäre. Wird hier deutsche Aktienrechtsgeschichte geschrieben? Dies ist, soweit ersichtlich, der erste öffentlich gewordene Versuch einer Aktionärsminderheit, ein Klagezulassungsverfahren gegen ein Organmitglied einer deutschen Aktiengesellschaft zu betreiben. Hintergrund ist die Äußerung des ehemaligen Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Dr. Rolf-Ernst Breuer, in einem weltweit in “Bloomberg TV” ausgestrahlten Fernsehinterview, in der er die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe anzweifelte. Der Bundesgerichtshof hat im Januar 2006 letztinstanzlich festgestellt, dass neben Dr. Breuer auch die Deutsche Bank verpflichtet ist, einer Tochter der Kirch-Holding den Schaden zu ersetzen, den diese durch die Äußerungen von Dr. Breuer erlitten hat. Über die Höhe dieses Anspruchs muss allerdings in einem weiteren Rechtsstreit noch entschieden werden. – Was verbirgt sich hinter dem Begriff Klagezulassungsverfahren? Wollen Aktionäre der Deutschen Bank jetzt ihren eigenen Schaden von Breuer einklagen?Nein. Gegenstand der beabsichtigten Klage gegen Dr. Breuer wären keine eigenen Ansprüche der Aktionäre, sondern ein Anspruch der Deutschen Bank. Die Initiatoren des Klagezulassungsverfahrens, Dr. Dieter Hahn, bekanntermaßen ein Vertrauter von Leo Kirch, sowie die Ehefrau von Leo Kirch, Ruth Kirch, vertreten die Ansicht, dass der Deutschen Bank bereits durch die Verteidigung gegen die Klage der Kirch-Gruppe ein Schaden entstanden ist, den die Deutsche Bank von Dr. Breuer ersetzt verlangen muss. Für die Geltendmachung dieses Anspruchs wäre eigentlich der Aufsichtsrat der Deutschen Bank zuständig. Da dieser jedoch bislang untätig geblieben ist, will nunmehr die Aktionärsminderheit im eigenen Namen die Ansprüche der Deutschen Bank gegen Dr. Breuer verfolgen. – Auf welcher Rechtsbasis?Die Aktionäre machen sich hierfür eine Neuerung des Aktienrechts zunutze. Mit Einführung des Klagezulassungsverfahrens gibt der Gesetzgeber einer Aktionärsminderheit nunmehr erstmals unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihre Organe im eigenen Namen durchzusetzen. – Wie läuft das Verfahren?Den Antrag auf Zulassung einer Klage nach § 148 AktG können nur Aktionäre stellen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung Anteile von zusammen mindestens 1 % des Grundkapitals bzw. Aktien mit einem Nennwert von mindestens 100 000 Euro halten und die ihre Aktien vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem sie von der schädigenden Handlung oder dem Schaden Kenntnis erlangt haben. Damit will der Gesetzgeber ein ,Einkaufen’ in das Klagerecht verhindern. Um der Gesellschaft vor dem Antrag auf Klagezulassung die Möglichkeit zu geben, die Ansprüche selber zu verfolgen, muss die Aktionärsminderheit die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist vergeblich aufgefordert haben, ihrerseits Klage zu erheben. – Um welche Sachverhalte geht es?Eine Klage kommt nur bei einer bestimmten Schwere des vermeintlichen Fehlverhaltens in Betracht, nämlich nur bei Unredlichkeiten, also einem an kriminelles Verhalten heranreichenden Treuepflichtverstoß, oder groben Gesetzes- oder Satzungsverletzungen. Schließlich dürfen der Geltendmachung des Schadenersatzanspruches keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen. – Welche Gründe können dies sein?Die Ausfüllung dieses Merkmals durch die Rechtsprechung bleibt abzuwarten. In der Praxis der Verteidigung gegen einen Antrag auf Klagezulassung dürfte aber sehr großes Augenmerk auf die Darlegung solcher Gründe gelegt werden. Die Gesetzesbegründung nennt zum Beispiel eine sehr geringe Schadenssumme und stellt gleichzeitig klar, dass allein der Verlust an Reputation kein überwiegender Grund des Gesellschaftswohls ist. – Birgt das Klagezulassungsverfahren nicht ein großes Missbrauchs- und Erpressungspotenzial? Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klagezulassung erscheinen auf den ersten Blick geeignet, einen angemessenen Schutz vor Missbrauch oder gar Erpressung zu gewährleisten. Ob sich dies in der Praxis bewahrheitet, bleibt abzuwarten und hängt zu einem sehr wesentlichen Teil von der strengen Auslegung dieser Voraussetzungen durch die Rechtsprechung und davon ab, dass die anwaltlichen Berater der betroffenen Organmitglieder und der betroffenen Gesellschaft auf eine solche Auslegung hinwirken. Der Fall Kirch/Breuer zeigt eins jedoch sehr deutlich: Tragen Aktionäre, die über ausreichende Mittel verfügen, ihr Begehren in die Öffentlichkeit, kann es schnell zu einer Pranger-Wirkung kommen. – Wie wird man hier reagieren?Es ist nicht auszuschließen, dass sich Organmitglieder und Gesellschaften in Zukunft verstärkt mit dem ,Angebot’ konfrontiert sehen werden, diese Pranger-Wirkung zu vermeiden, indem die bereits aus dem Anfechtungsrecht hinlänglich bekannten Beraterverträge abgeschlossen werden oder die Verpflichtung zur Tragung überhöhter Sachverständigen- und Verfahrenskosten der Aktionärsminderheit übernommen wird. – Stellt die Einführung des Klagezulassungsverfahrens also eine bedeutende Veränderung der Rechtslage dar?Absolut. Bislang konnte eine Aktionärsminderheit zwar auch die Durchsetzung der Schadenersatzansprüche durch die Gesellschaft erzwingen. Die Anspruchsverfolgung erfolgte aber entweder durch die dafür zuständigen Organe der Gesellschaft oder durch einen sogenannten besonderen Vertreter, dessen gerichtliche Einsetzung von einer Minderheit mit einem Quorum von 5 % des Grundkapitals oder von Aktien im Nennwert von mindestens 500 000 Euro verlangt werden konnte. An dieser Stelle zeigen sich deutlich zwei wesentliche Unterschiede zum aktuellen Recht. Die erforderlichen Quoren wurden erheblich herabgesetzt, und im Unterschied zur früheren Rechtslage kann die im Klagezulassungsverfahren erfolgreiche Aktionärsminderheit den Anspruch nunmehr grundsätzlich selber verfolgen und ist nicht von den zuständigen Organen der Gesellschaft oder von einem besonderen Vertreter abhängig. – Sie sagen grundsätzlich . . . ?Die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich einmal eine Aktionärsminderheit nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren einen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen ein Organmitglied einklagt, halte ich für sehr gering. De facto dürfte das Klagezulassungsverfahren ein Klageerzwingungsverfahren sein. Denn auch vor Einführung des Klagezulassungsverfahrens musste das Bestehen von Schadenersatzansprüchen gegen Organmitglieder von den zuständigen Organen der Gesellschaft geprüft werden und im Falle ihres Bestehens grundsätzlich auch verfolgt werden. Unterlässt das zuständige Organ eine Anspruchsverfolgung, besteht die Gefahr, dass sich dessen Mitglieder ihrerseits schadenersatzpflichtig machen. – Was ist die Folge?Spätestens im Falle der erfolgreichen Klagezulassung dürfte aber nunmehr wohl in der Regel feststehen, dass eine solche Verpflichtung zur Anspruchsverfolgung gegeben ist und sich die Mitglieder des zuständigen Organs der Gesellschaft im Falle einer fortwährenden Unterlassung ihrerseits schadenersatzpflichtig machen. Dies hat auch der Gesetzgeber gesehen und gewährt dem zuständigen Organ jederzeit die Möglichkeit, entweder das Verfahren der Aktionärsminderheit zu übernehmen oder eine eigene Klage gegen das betroffene Organmitglied, in diesem Fall natürlich ohne Klagezulassung, zu erheben. – Was passiert in diesem Fall? Letzteres führt zur Unzulässigkeit des Klagezulassungsverfahrens bzw. der Klage der Aktionärsminderheit. Eine Teilnahme der Aktionärsminderheit am Verfahren und damit eine Kontrolle über die Anspruchsverfolgung wird jedoch dadurch gesichert, dass die Aktionärsminderheit beizuladen ist. – Besteht das Problem der antragswilligen Aktionäre, die allein die erforderlichen Quoren nicht erreichen, nicht darin, mit genügend Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen?Dieses Problem hat auch der Gesetzgeber gesehen und bietet Aktionären nunmehr die Möglichkeit, im Aktionärsforum auf der Homepage des elektronischen Bundesanzeigers mit den übrigen Aktionären einer Gesellschaft in Kontakt zu treten, um sie beispielsweise für ein Klagezulassungsverfahren zu gewinnen. Eine andere Möglichkeit besteht natürlich, wie der Fall Kirch/Breuer zeigt, in einer breit angelegten und sicherlich kostspieligen Medienkampagne. – Ist die Gefahr für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder größer geworden, für vermeintliches Fehlverhalten haftbar gemacht zu werden?Sofern diese Personen unredlich handeln oder eine grobe Rechts- bzw. Satzungsverletzung begehen, zweifellos. Andererseits hat der Gesetzgeber durch die gleichzeitige Einführung der “business judgement rule” auch verdeutlicht, dass für unternehmerische Fehleinschätzungen grundsätzlich nicht gehaftet werden soll. Dadurch will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht über Gebühr durch unwägbare Haftungsrisiken eingeschränkt wird. – Was müssen betroffene Unternehmen beachten? Wichtig ist, möglichst früh, also am besten schon dann, wenn sich die Minderheit organisiert, in Abstimmung mit allen Beratern und der D & O-Versicherung die Verteidigungslinie zu erörtern, damit es erst gar nicht zu einer Klagezulassung kommt und die negative Öffentlichkeitswirkung möglichst gering gehalten wird. Da erst die rechtskräftige Klagezulassung von der betroffenen Gesellschaft bekannt zu machen ist, kann dies gelingen. Der Fall Kirch/Breuer zeigt allerdings, dass dies nicht immer gelingen wird. – Wie reagieren D & O-Versicherungen auf das neue Verfahren?D & O-Versicherungen reagieren meist durch die Umstellung ihrer Policen dahin gehend, dass die Einreichung eines gerichtlichen Antrags auf Klagezulassung einen Versicherungsfall im Sinne der D & O-Versicherung darstellt. Die vorhandenen Policen sollten daher auf jeden Fall daraufhin kontrolliert werden, ob eine Verteidigung im Klagezulassungsverfahren von der Deckungszusage erfasst ist. Ist dies nicht der Fall, sollte auf eine entsprechende Ergänzung gedrungen werden, damit im Falle eines Falles wenigstens von dieser Seite keine negativen Überraschungen drohen.*) Thorsten Schumacher ist Anwalt für Gesellschaftsrecht im Düsseldorfer Büro der Sozietät Lovells. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.