Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Jörg Kirchner

Konzernabspaltungen bergen zahlreiche Unwägbarkeiten

Risikobeteiligung des Verkäufers angeraten - Unsicherheit über Finanzdaten

Konzernabspaltungen bergen zahlreiche Unwägbarkeiten

– Herr Dr. Kirchner, einige Versuche, wie die Siemens-Hörgeräte, sind gescheitert, manches, wie Evonik, ist in der Diskussion: Man sollte annehmen, dass in der Finanzkrise Konzernabspaltungen an Bedeutung gewinnen, doch dem ist nicht so. Woran liegt das?Der M & A-Markt schwächelt ja bekanntlich gegenwärtig. Das liegt wesentlich auch daran, dass die Preisfindung angesichts des unsicheren Marktumfeldes immer noch schwieriger ist, als man sich vielleicht im letzten Jahr für dieses Jahr erhofft hatte. Unternehmen, die nicht gezwungen sind, Unternehmensteile für die Zwecke der Refinanzierung zu veräußern, warten eher ein besseres Marktumfeld ab. Diese Tendenz trifft natürlich auch den Verkauf von Unternehmensteilen aus dem Konzern heraus. In diesen Carve-out-Szenarien kommt erschwerend hinzu, dass häufig die Aufbereitung der relevanten Finanzdaten für das neu zu schaffende Zielunternehmen mit Unsicherheiten behaftet ist, was den Prozess in diesen Zeiten sicherlich nicht fördert.- Es ist ein Unternehmen zu verkaufen, das es streng genommen als solches noch gar nicht gibt?Unternehmensbereiche, die oft in verschiedenen Gesellschaften des Konzerns sowohl im Inland als auch im Ausland angesiedelt sind, müssen auf ein neues rechtliches Gebilde übertragen werden. Dabei sind oft die steuerrechtlichen, handelsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften verschiedener Jurisdiktionen zu beachten. Bei größeren Transaktionen bindet ein derartiger Carve-out erhebliche personelle Ressourcen, kostet Geld, hat steuerliche Konsequenzen für den Verkäufer angesichts der Aufdeckung von stillen Reserven, schafft Unsicherheiten bei Arbeitnehmern und Kunden. Daher sind die Situationen selten, in denen ein möglicher Käufer bereits zu Beginn des Kaufprozesses einen vollständig umgesetzten Carve-out vorfindet.- Was ist bei einem Carve-out zu beachten?Ein wesentlicher Punkt besteht in der Notwendigkeit der Erstellung von Pro-forma-Abschlüssen für den verkauften Geschäftsbereich, um die Nettoverschuldung, das Working Capital, das Ergebnis und andere Finanzzahlen der neuen Einheit zum Übergangsstichpunkt festzustellen. Zudem sind zahlreiche rechtliche Themen zu berücksichtigen.- Worum geht es dabei?So müssen zunächst erst einmal die rechtlichen Verbindungen mit der Muttergesellschaft gelöst werden, wie zum Beispiel Organschaften, Intercompany-Finanzierungen, Liefer- und Leistungsbeziehungen. Die Finanzierung von Pensionszusagen muss bei dem Bestehen von Pensionskassen genauso gelöst werden wie die Abfindung von Stock Options, welche zum Bezug von Aktien der verkaufenden Muttergesellschaft berechtigen. Nachdem man die rechtlichen Verbindungen gelöst hat, muss man sich natürlich darüber im Klaren sein, inwiefern die neue Einheit allein ohne Hilfe der Muttergesellschaft weitergeführt werden kann und welche Kosten diese “Stand alone”-Position mit sich bringt.- Also spürbare Aufwendungen?Je nachdem, welche Dienstleistung es innerhalb des Konzerns in der Vergangenheit gab und welche Verrechnungspreise galten, kann dies zu Mehrkosten für die neue Gesellschaft führen. Oft gibt es auch Leistungsbeziehungen mit der Verkäufergruppe, die zumindest für einen Zeitraum aufrechterhalten werden müssen. Gerade im Bereich Lizenzverträge kann es hier zu sehr komplexen Themen bei der Abgrenzung des Gebrauches von Markenrechten oder Patenten kommen.- Wo liegen die Fallstricke?Alle der oben genannten Themen können solche Fallstricke enthalten. Typische Kandidaten sind vor allem die Aufstellung der Carve-out Financials, unterschiedliche Vorstellungen über die Bedingungen der weiteren Zusammenarbeit der Verkäufergruppe mit dem neuen Unternehmen, Themen der Nachhaftung, aber auch unrealistische Zeitvorstellungen oder Verzögerungen bei der Durchführung des Carve-out.- Eine Rückbeteiligung und ein Earn-out der verkaufenden Konzernmutter gewinnen dabei an Bedeutung?Je unsicherer die Preisfindung ist, desto bedeutender werden diese Formen der Risikobeteiligung des Verkäufers. Daher sind dies auch klassische Elemente eines Carve-out.—-Dr. Jörg Kirchner ist Partner im Münchner Büro von Latham & Watkins und Co-Chair des Corporate Departments. Die Fragen stellte Walther Becker.