Recht und Kapitalmarkt

Künftige Sanierungen leiden unter EU-Entscheidung

Brüsseler Kommission kippt Klausel für deutsche Unternehmen - Auch ergangene Steuerbescheide müssen geändert werden

Künftige Sanierungen leiden unter EU-Entscheidung

Von Sebastian Benz und Tobias Kuck *)Das deutsche Steuerrecht ist vom Einfluss des europäischen Rechts nicht ausgenommen. Dies zeigt erneut der Beschluss der Europäischen Kommission vom 26. Januar, wonach die sogenannte Sanierungsklausel eine unzulässige Beihilfe darstellt. Mit weitreichenden Konsequenzen für Unternehmen, die von diesem Passus profitiert haben: Von ihnen sollen die Beihilfen zurückgefordert werden. Auch künftige Sanierungsvorhaben könnten unter der Entscheidung leiden.Es gilt der Grundsatz, dass steuerlich anzuerkennende Verluste als Verlustvorträge in die Zukunft vorgetragen und mit künftigen Gewinnen verrechnet werden können. Hierdurch mindert sich – bis zum Verbrauch der Verlustvorträge und eingeschränkt durch die Mindestbesteuerung – die künftige Steuerlast. Diese Verrechnung stellt keine Steuervergünstigung dar, sondern ist verfassungsrechtlich geboten und dient der Belastungsgerechtigkeit. Missbrauch vorgebeugtDies gilt grundsätzlich für alle Steuerpflichtigen, also unabhängig davon, ob es sich um einen Einzelunternehmer oder eine börsennotierte Aktiengesellschaft handelt. Um missbräuchlichen Handel mit Verlustvorträgen durch Verkauf von Kapitalgesellschaften zu vermeiden (Mantelkauf), gibt es Beschränkungen des Verlustabzugs von Körperschaften. Im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2008 wurden die seinerzeit geltenden Regelungen neu gefasst und erheblich verschärft: Gemäß § 8c Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) gehen Verlustvorträge anteilig unter, wenn ein Erwerber oder eine Gruppe unmittelbar oder mittelbar mehr als 25 und bis zu 50 % der Anteile an der Verlustgesellschaft erwirbt. Kommt es zu einem Anteilserwerb von mehr als 50 %, so gehen die Verlustvorträge vollständig unter. Vergleichbare Fälle, auch disquotale Kapitalerhöhungen, sind ebenfalls erfasst. SanierungshemmnisIn der Praxis erwies sich § 8c KStG als Sanierungshindernis: Im Laufe der Krise gab es zahlreiche Fälle, in denen hoch verschuldete Gesellschaften aufgrund des Cash-flow-Rückgangs ihre Zinszahlungsverpflichtungen nicht erfüllen konnten und neues Kapital zur Fortführung des Geschäfts benötigten. Für eine dauerhafte Sanierung mussten sowohl die (drohende) Zahlungsunfähigkeit als auch eine etwaige Überschuldung beseitigt werden. Kennzeichnend für viele Sanierungen ist, dass ein Teil der Verbindlichkeiten der betreffenden Gesellschaften in Eigenkapital umgewandelt und gleichzeitig frisches Kapital zugeführt wurde. Oft führte dies zu einem Anteilserwerb von mehr als 25 bzw. 50 % und so grundsätzlich zum Untergang von Verlustvorträgen.Aus Investorensicht ist dies problematisch: Die Entscheidung, Geld in eine sanierungsbedürftige Gesellschaft zu geben, hängt für einen Investor maßgeblich davon ab, ob diese – auf Basis belastbarer Planungen – in Zukunft voraussichtlich ihren Verpflichtungen nachkommen kann. Der Untergang von Verlustvorträgen und die entsprechend höhere Steuerlast belasten die Liquidität und erschweren die Sanierung.Unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise hat deshalb der Gesetzgeber die sogenannte Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG eingeführt. Danach führt ein Beteiligungserwerb nicht zum Untergang von Verlustvorträgen, wenn er bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zum Zwecke der Sanierung erfolgt. Weiter ist erforderlich, dass der Betrieb nicht eingestellt war, binnen fünf Jahren nicht die Branche gewechselt wird und die wesentlichen Betriebsstrukturen erhalten werden, was u. a. durch Erhalt von Arbeitsplätzen oder durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit Arbeitsplatzregelung erreicht werden kann.Die Sanierungsklausel war zunächst befristet für 2008 und 2009 anwendbar. Die Befristung wurde durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz aufgehoben. Zugleich wurde § 8c Abs. 1 KStG um eine Konzernklausel und eine Stille-Reserven-Klausel ergänzt. Letztere führt zum Erhalt von Verlustvorträgen, soweit die Gesellschaft das Vorhandensein bestimmter stiller Reserven nachweisen kann.Nach Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens stellte die Kommission durch Beschluss vom 26. Januar 2011 die Unvereinbarkeit der Sanierungsklausel mit den EU-Beihilferegeln fest. Die Entscheidung beruht auf Art. 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Danach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar. VorteilsgewährungEine solche Beihilfe kann auch in der Verminderung einer Belastung bestehen. Die EU-Kommission sieht eine Vorteilsgewährung darin, dass bei Anwendung der Sanierungsklausel eine Verrechnung mit Verlustvorträgen möglich ist. Somit entstehe eine geringere Steuerlast als bei anderen Unternehmen, bei denen ein Beteiligungserwerb eingetreten sei. Da die Verlustverrechnung zugleich mit einer Reduzierung des Steueraufkommens verbunden sei, liege auch eine Finanzierung mit staatlichen Mitteln vor. Diese weite Auslegung soll eine Umgehung der Beihilferegeln verhindern.Werden aber durch die Sanierungsklausel bestimmte Unternehmen gegenüber anderen in einer vergleichbaren Situation begünstigt, sodass die Maßnahme selektiv wirkt? Dies hängt von der Bestimmung des Referenzsystems, also der Frage nach dem Normalfall ab. Die Kommission geht offenbar davon aus, dass der Untergang von Verlustvorträgen aufgrund eines schädlichen Beteiligungserwerbs gemäß § 8c KStG das Referenzsystem darstellt.Der ursprüngliche Wortlaut mag dies nahelegen. Doch stellt § 8c Abs. 1 KStG eine Ausnahme vom Grundprinzip des Verlustabzugs dar. Diese Einschränkung wird ihrerseits durch die Sanierungsklausel begrenzt. Darüber hinaus wird vertreten, dass die Klausel das Referenzsystem selbst modifiziert. Hierfür lässt sich anführen, dass sie auf alle Unternehmen anwendbar ist – anders als die mangels Genehmigung der Kommission nie in Kraft getretene Begünstigung von Wagniskapitalgesellschaften. Jedenfalls mit Einführung der Konzernklausel und der Stille-Reserven-Klausel hat sich das Referenzsystem geändert. Der zu weit geratene Anwendungsbereich des § 8c KStG wurde wieder deutlicher auf die Vermeidung von Missbräuchen zugeschnitten. Ein Beteiligungserwerb von mehr als 25 bzw. 50 % führt nicht generell zum Untergang von Verlustvorträgen, sondern nur dann, wenn ein Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann.Das ist der Fall, wenn weder die Konzernklausel noch Stille-Reserven-Klausel oder Sanierungsklausel eingreifen. Auf Basis dieser Argumentation wäre die Sanierungsklausel ins Referenzsystem einzubeziehen. Folglich ergäbe sich kein selektiv gewährter Vorteil. Kein VertrauensschutzDie EU-Kommission hat Deutschland aufgefordert, sämtliche Beihilfen zurückzufordern. Dies bedeutet, dass die Steuern für die betreffenden Unternehmen ohne Anwendung der Sanierungsklausel festgesetzt und bereits ergangene Steuerbescheide entsprechend geändert werden müssen. Die Liquiditätsplanung dieser Unternehmen würde damit (teilweise) obsolet.Was können die Betroffenen also tun? Gegen den Beschluss der Kommission können Deutschland sowie betroffene Unternehmen Klage beim Europäischen Gericht erster Instanz erheben und geltend machen, dass keine Beihilfe vorliege. Der Klage kommt aber keine aufschiebende Wirkung zu. Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des EuGH aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts regelmäßig kein Vertrauensschutz gewährt wird; selbst dann nicht, wenn die Finanzverwaltung eine verbindliche Auskunft zur Anwendung der Sanierungsklausel gewährt hat.—-Dr. Sebastian Benz ist Fachanwalt für Steuerrecht und Partner, Dr. Tobias Kuck ist Rechtsanwalt/Steuerberater bei Linklaters.