RECHT UND KAPITALMARKT

Legal Tech verändert das Berufsbild von Rechtsanwälten

Innovative Beratung in veralteten Strukturen? - Neuer Rechtsrahmen nötig

Legal Tech verändert das Berufsbild von Rechtsanwälten

Von Steffen Schniepp *)Mandanten erwarten heute deutlich mehr von einer Rechtsanwaltskanzlei als klassische Rechtsberatung. Kanzleien sollen auch komplexe Vorgänge – etwa internationale Konzernstrukturierungen – möglichst kostengünstig, effizient und mit derselben hohen Beratungsqualität durchführen. Technische Lösungen für das Rechtswesen, wie Legal Tech, können Kanzleien dabei unterstützen. Zu Legal Tech zählen Anwendungen, die Anwälte in ihrer täglichen Arbeit entlasten, z. B. Software zur Dokumentenverwaltung. Software, mit deren Hilfe sich die Arbeit von Rechtsanwälten teilweise automatisieren lässt, z. B. sogenannte Vertragsgeneratoren. Software, die Dokumente untersucht, liest und versteht. Zu denken ist hier beispielsweise an große Transaktionen, bei denen während einer Due Diligence zigtausende Dokumente anonymisiert und geprüft werden müssen. Chatbots, die Mandanten und deren Mitarbeitern bei wiederkehrenden Fragen rund um die Uhr Antworten zur Verfügung stellen.Legal-Tech-Anwendungen entlasten Rechtsanwälte derzeit besonders dort sehr wirkungsvoll, wo vereinheitlichte Prozesse angewendet werden. Dadurch sind Anwälte immer stärker für individuelle Rechtsfragen zuständig und weniger für standardisierte, sich wiederholende Tätigkeiten.Voraussetzung für den effektiven Einsatz von Legal Tech sind allerdings veränderte rechtliche Rahmenbedingungen. Insbesondere das Berufsrecht der Rechtsanwälte, das durch die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) geregelt wird, muss angepasst werden. Ein Eckpunktepapier für die Neuordnung der BRAO hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz am 27. August 2019 vorgelegt. Das Papier zeigt, dass dem Gesetzgeber der Wandel des Rechtsanwaltsberufs bewusst ist, und enthält einen Vorschlag für die gesetzliche Neuregelung der Berufsausübungsgesellschaften: Künftig sollen alle nationalen wie europäischen Rechtsformen zur Verfügung stehen. Das Papier sieht auch vor, die interprofessionelle Zusammenarbeit zu liberalisieren und Kapitalbeteiligungen für “Legal Tech Kanzleien” zu erlauben.Wie diese Punkte letztlich umgesetzt werden, wird man sehen. Klar ist aber schon jetzt: Die geplante BRAO-Neuordnung kann einen geeigneten Rahmen dafür bieten, dass Rechtsanwaltskanzleien sich dem Markt und den Bedürfnissen ihrer Mandanten anpassen. Freiberuflich oder gewerblichLegal Tech stellt Rechtsanwaltskanzleien vor weitere Fragen: Bisher ist nicht geklärt, ob Anwälte immer noch ausschließlich freiberuflich tätig sind oder ob sie bereits gewerblich tätig werden, wenn sie beispielsweise Verträge mit Hilfe eines Vertragsgenerators erstellen oder ihren Mandaten ein Chatbot zur Verfügung stellen. Ginge dies über das freiberufliche Leistungsspektrum hinaus, wären Rechtsanwälte gewerbesteuerpflichtig.Insbesondere bei dem Einsatz von Chatbots ist aber zu bedenken, dass es sich hierbei nicht um eine Software handelt, sondern vielmehr um ein digitales Teammitglied. Chatbots geben individuell vorbereitete Antworten im Rahmen bereits bestehender Mandatsverhältnisse – also eine einzelfallbezogene Rechtsberatung in einem neuen Gewand.§ 18 Einkommensteuergesetz und § 1 Partnergesellschaftsgesetz definieren zwar, was ein freier Beruf ist. Eine Definition gewerblicher Rechtsanwaltstätigkeit gibt es bisher nicht. Zu bedenken ist: Gilt auch nur ein Teilbereich der ausgeführten Tätigkeit als gewerblich, stuft der Gesetzgeber auch die übrige anwaltliche Tätigkeit als gewerblich ein. Bislang ist die Rechtslage also noch ungeklärt. Anwaltskanzleien, die den Status der Gewerblichkeit vermeiden wollen, müssen eine klare Grenze zwischen der freiberuflichen und der gewerblichen Tätigkeit ziehen. In der Praxis bedeutet dies einen hohen organisatorischen und finanziellen Aufwand – und setzt eine entsprechende gesellschaftsrechtliche Struktur voraus.Eine solche klare Trennung können Kanzleien aber kaum umsetzen. Mandanten erwarten häufig, dass sie aus einer Hand beraten werden; sie wollen nicht verschiedenen Ansprechpartnern gegenüberstehen. Zudem erfordern etwa komplexe internationale Transaktionen und Konzernstrukturierungen einen anderen Beratungsansatz, als dies klassische Rechtsanwaltskanzleien typischerweise leisten. Zwingend ist dabei zum Beispiel ein effizientes Projektmanagement, das meist nur noch wenig mit der klassischen Rechtsberatung zu tun hat.Diese gewerbliche Tätigkeit müssten Kanzleien eigentlich ausgliedern, um Leistungen getrennt anzubieten. Praktikabel ist das kaum. Denn bei der Beratung desselben Mandanten wird es regelmäßig zur Vermischung kommen. Jede Rechtsanwaltskanzlei muss sich daher genau überlegen, ob sich ein kompliziertes gesellschaftsrechtliches Konstrukt und die damit einhergehenden Verwaltungskosten lohnen – oder ob sie die Zahlung der Gewerbesteuer in Kauf nimmt.Im Ergebnis werden sich Kanzleien gut überlegen, ob und wofür sie Legal Tech einsetzen. Der Gesetzgeber sollte hier rasch für rechtliche Klarheit sorgen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das unbestritten große Potenzial digitaler Anwendungen, auf absehbare Zeit ungenutzt bleibt. *) Dr. Steffen Schniepp ist Managing Partner der PricewaterhouseCoopers Legal AG Rechtsanwaltsgesellschaft (PwC Legal).