RECHT UND KAPITALMARKT

Libor bringt Banken in den Fokus der Kartellämter

Kronzeugenanträge sorgen für umfangreiche Informationen der EU-Komission: Beweissituation aus Behördensicht günstig

Libor bringt Banken in den Fokus der Kartellämter

Von Christian Horstkotte *)Der Libor-Skandal und die Folgen für den Finanzsektor werden heiß diskutiert. Was dabei häufig übersehen wird oder zumindest in der Berichterstattung zu kurz kommt, ist die Vielschichtigkeit der Untersuchungen dieses Falles: Ermittlungen laufen nicht nur bei den Finanzaufsichts- und den Strafverfolgungsbehörden, sondern insbesondere auch bei den Kartellbehörden. In den USA und Großbritannien sind von der Bankenaufsicht und den Strafverfolgungsbehörden bereits hohe Bußgelder verhängt worden. Die Kartellbehörden werden mit scharfen Sanktionen folgen.Die EU-Kommission hat sich zum Beispiel sehr exponiert dazu geäußert. EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia hat mehrfach deutlich gemacht, dass die kartellrechtliche Verfolgung des Skandals derzeit in Brüssel absolute Priorität genießt. Jüngst berichtete Cecilio Madero Villarejo, der stellvertretende Generaldirektor für Wettbewerb bei der EU-Kommission, von einer “beeindruckenden” Zahl von Banken, die bei der Kommission aufgrund ihrer Beteiligung am Libor-Fall einen Kronzeugenantrag gestellt haben. Er zog daraus den Schluss, dass es sich bei den kartellrechtlichen Ermittlungen daher um einen besonders klaren Fall handele. Dies deutet darauf hin, dass wir möglicherweise vor einem der größten Kartellfälle der letzten Jahre stehen. “Petzer” stehen bereitMadero spricht damit zudem mit ungewohnter Offenheit aus, was viele schon lange befürchten: Im Rahmen des Libor-Skandals gibt es zahlreiche Banken, die mit der Kommission kooperieren und ihr im Rahmen von Kronzeugenanträgen umfangreiche Informationen über mögliche Kartellverstöße zur Verfügung gestellt haben. Ein Kronzeuge erhofft sich mit seinem Antrag, Straffreiheit zu erhalten oder zumindest einen Rabatt bei einem möglichen späteren Bußgeld zu bekommen.Im Gegenzug ist er verpflichtet, der Kommission alles vorzulegen, was ihm zu einem möglichen Kartellverstoß bekannt ist – und damit zum Beispiel auch sämtliche E-Mails, Dokumente und Informationen, über die seine Mitarbeiter verfügen. Daraus ergibt sich ein hohes Risiko für die anderen beteiligten Banken, am Ende der Ermittlungen ein hohes Kartellbußgeld zu bezahlen. Klassische PreisabspracheImmerhin handelt es sich bei dem vorgeworfenen Verhalten um ein klassisches Kartell: Händlern der an der Libor-Ermittlung beteiligten Banken wird vorgeworfen, sich miteinander abgestimmt zu haben, welche Angaben sie der British Bankers’ Association, die täglich den Libor ermittelt, mitteilen, um damit den Referenzzinssatz zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dies ist im Ergebnis nichts anderes als eine Preisabsprache. Wenn etwa mehrere Wettbewerber die jeweils geforderten Preise für Eisenbahnschienen abstimmen, wie unlängst vom Bundeskartellamt mit dreistelligen Millionenbußgeldern geahndet, ist das im Prinzip genau dasselbe: Wettbewerber stimmen ihre Preise ab, um damit einen Vorteil im Wettbewerb zu erhalten. Zwar handelt es sich bei Libor nicht um einen Preis, sondern um einen Referenzzinssatz. Eine Wettbewerbsverfälschung tritt bei ihm durch die Abstimmung aber ebenfalls ein.Im Libor-Fall betont die EU-Kommission in diesem Zusammenhang immer wieder die gesamtwirtschaftliche Bedeutung und das Vertrauen in ein funktionierendes Bankwesen und insbesondere in den Referenzzinssatz. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Kommission hier, sollte sie einen Kartellverstoß tatsächlich nachweisen können, beim Bußgeld relativ hoch greifen wird. Für das Bußgeld sieht das Gesetz nur eine Obergrenze von 10 % der weltweiten Erträge einer Bankengruppe vor. Unterhalb dieser Grenze verfügen die Kartellbehörden über ein weites Ermessen. Es ist daher durchaus möglich, dass hier Bußgelder verhängt werden, die tiefe Furchen in den Bankbilanzen hinterlassen werden.Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Kartellbehörden zunehmend sensibler werden, was die Kommunikation von Banken untereinander betrifft. Jeder Austausch von Informationen, die wettbewerblich relevant und die nicht ohnehin bereits öffentlich bekannt sind, kann ebenfalls einen Wettbewerbsverstoß darstellen. Die Kartellbehörden sprechen dabei von einem Durchbrechen des Geheimwettbewerbs. So ermittelt die EU-Kommission bereits seit Längerem, ob die Weitergabe von einzelnen preisbezogenen Informationen bei Credit Default Swaps durch einzelne Banken an ihre Mitbewerber zu einer Wettbewerbsdämpfung hätte führen können und als Kartellverstoß zu ahnden ist.Auch im Libor-Fall dürfte es einen solchen Informationsaustausch gegeben haben. Nach der Praxis vieler europäischer Kartellbehörden ist dazu nicht einmal ein bilateraler gezielter Austausch von Informationen notwendig. Selbst das einseitige Preisgeben von sensiblen Daten gegenüber einem Wettbewerber kann zu einem Wettbewerbsverstoß führen. Wie relevant dies im Bankenbereich ist, zeigt ein Fall aus Großbritannien: Dort verhängte das Office of Fair Trading im vergangenen Jahr ein Bußgeld von 28,6 Mill. Pfund gegen die Royal Bank of Scotland (RBS), da deren Mitarbeiter ihren Kollegen von Barclays ihre Gedanken, wie die RBS möglicherweise mit den erhöhten Eigenkapitalanforderungen durch die Basel-II-Vorschriften umgehen werde, mitgeteilt haben sollen.Ähnliche Fälle gibt es in Deutschland. Vor wenigen Monaten musste Haribo ein Bußgeld von 2,4 Mill. Euro bezahlen, weil man sich mit anderen Süßwarenherstellern darüber unterhalten hatte, wie die jeweiligen Verhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel laufen. Diese Fälle zeigen, dass die Kartellbehörden – auch jenseits der klassischen Absprachen – Verstöße gegen den Geheimwettbewerb immer intensiver ahnden. Beide Fälle wurden übrigens durch einen Kronzeugenantrag des jeweiligen Gesprächspartners aufgedeckt – genauso wie im Libor-Fall. Als GlücksfallDas Kronzeugensystem hat sich in den vergangenen Jahren aus Sicht der Kartellbehörden als Glücksfall für die Kartellverfolgung erwiesen. Die Kartellbehörden haben damit ein Mittel gefunden, mit dem sie die Aufdeckung von Kartellen auf die Täter outsourcen. Bei den hohen Bußgeldern, die in Europa bereits mehrfach Größenordnungen von 500 Mill. Euro erreicht haben, ist es durchaus ein starker Anreiz, durch einen Kronzeugenantrag die Möglichkeit einer Bußgeldfreiheit zu erhalten. Da nur der eigentliche Kronzeuge – also der erste, der zur Kartellbehörde geht – einen kompletten Bußgelderlass erhält, setzt in Fällen, in denen die Marktteilnehmer Sorge haben, ein Kartell könnte aufgedeckt werden, ein Windhundrennen ein: Nur wer als erster in Brüssel ist und den Verstoß zugibt, bekommt einen hundertprozentigen Rabatt. Der zweite, dritte und vierte bekommt allenfalls noch eine Bußgeldreduktion. Im Ergebnis führt dies auch dazu, dass immer häufiger Kronzeugenanträge gestellt werden, obwohl ein Kartellverstoß gar nicht offensichtlich auf der Hand liegt. Zur VorsichtGerade in Fällen, die im kartellrechtlichen Graubereich liegen – wie etwa beim Informationsaustausch – stellen immer häufiger Unternehmen Kronzeugenanträge als reine Vorsichtsmaßnahme. Damit sind sie im Falle eines späteren Bußgeldes für den Kartellverstoß fein raus. Sie genießen dann den Kronzeugenstatus. Dies führt damit dazu, dass heutzutage häufig Kronzeugenanträge für Verhaltensweisen gestellt werden, die eine Kartellbehörde von sich aus gar nicht verfolgen würde. Indem sie aber durch den Kronzeugenantrag den gesamten Sachverhalt und die Beweismittel auf dem Silbertablett vom Kronzeugen überreicht bekommt, ist es für die Behörde ein leichtes, in diesen Fällen ein Bußgeld gegen alle Beteiligten zu verhängen.Ob es sich bei den Libor-Kronzeugenanträgen um solche Vorsichtsmaßnahmen gehandelt hat oder ob die zugegebenen Verstöße so stark sind, dass den Unternehmen nichts anderes mehr übrig bleibt, ist unklar. Fest steht aber, dass die Beweissituation aus Behördensicht offenbar günstig ist. Zu hohen Bußgeldern wird es daher sicher kommen.—-*) Christian Horstkotte ist Partner bei Baker & McKenzie in Düsseldorf.