Recht und Kapitalmarkt

Licht im Dunkel des Steuerrechts

Verlustberücksichtigung über Ländergrenzen vor der Klärung - Für Steuerpflichtige vielversprechende Auffassung des Bundesfinanzhofs

Licht im Dunkel des Steuerrechts

Von Falko Tappen *) Erwirtschaftet ein inländischer Steuerpflichtiger aus einer ausländischen Betriebsstätte Verluste, kommt eine Berücksichtigung dieser negativen Einkünfte im Inland oftmals nicht in Betracht: Zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen sprechen allein dem Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht hinsichtlich etwaiger Betriebsstättengewinne zu. Damit einher geht auch das Recht des Betriebsstättenstaates, zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verlust geltend gemacht werden kann.Nach Ansicht des EuGH gilt dieses Prinzip auch innerhalb der EU. Nur dann, wenn Verluste “final” werden, im Ausland also endgültig nicht berücksichtigt werden könnten, muss der Ansässigkeitsstaat die Verluste ausnahmsweise berücksichtigen. Trotzdem schwelte der Streit, wie die Besteuerung im Einzelfall zu regeln sei. Unklar war bislang vor allem die Frage, was unter “finalen Betriebsstättenverlusten” im konkreten Fall zu verstehen ist. Mit dieser Frage hat sich der 1. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) beschäftigt und mit zwei Urteilen vom 9.6.2010 (Az. I R 100/09 und I R 107/09) etwas Licht ins Dunkel gebracht.In beiden Streitfällen wollten zwei deutsche Unternehmen wenigstens die ihrer Ansicht nach “finalen” ausländischen Betriebsstättenverluste bei der Ermittlung des in Deutschland zu versteuernden Gewinns berücksichtigt sehen. Im ersten der Fälle (Az. I R 107/09) hatte eine GmbH Stätten in Frankreich. Diese erwirtschafteten bis 2001 Verluste und wurden dann aufgegeben. Die GmbH hatte die Verluste weder durch einen Verlustrück- noch durch einen Verlustvortrag nutzen können. Das Unternehmen wollte daher die Verluste in Deutschland geltend machen und im jeweiligen Verlustentstehungsjahr von der deutschen Bemessungsgrundlage abziehen. Mit der Aufgabe der Betriebsstätte in Frankreich seien die Verluste schließlich “definitiv” geworden.Im zweiten entschiedenen Fall (Az. I R 100/09) ging es um eine Holding-GmbH, die organschaftlich mit einer GmbH verbunden war. Diese machte Verluste aus einer französischen Betriebsstätte geltend. Die Besonderheit an dem Fall: Die Verluste wurden steuerlich nicht berücksichtigt, da der Verlustvortrag in Frankreich auf fünf Jahre begrenzt ist. Diese Frist zur Verlustnutzung war zum Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte bereits abgelaufen. Die “finalen” VerlusteIn beiden Fällen lehnten die Finanzämter die Berücksichtigung der “finalen” ausländischen Betriebsstättenverluste ab. Dagegen klagten die beiden Unternehmen und stützten sich dabei auf ein Urteil des EuGH vom 15.5.2008 (“Lidl Belgium”) und die dazugehörige Nachfolgeentscheidung des BFH vom 17.7.2008. Dies nahm der BFH nun zum Anlass, die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten näher zu bestimmen: Verluste sind dann final, wenn sie aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können. Das ist etwa der Fall, wenn die Stätte in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt oder übertragen oder aufgegeben wird. Im Gegensatz dazu führe der Umstand, dass Verluste im Betriebsstättenstaat aufgrund dortiger Steuergesetze vollständig oder nach Ablauf eines Verlustvortragszeitraums vom Abzug ausgeschlossen sind, nicht zur Finalität der Verluste. Aus diesem Grund hatte allein das zuerst beschriebene Unternehmen mit seiner Klage (I R 107/09) grundsätzlich Erfolg.Nicht ausdrücklich geklärt wurde, wie Verluste in den Fällen zu beurteilen sind, in denen eine Kapitalgesellschaft in eine Zweigniederlassung umgewandelt wird. Diese Frage ist besonders relevant in Fällen, in denen europäische Kreditinstitute unter Nutzung des Europäischen Passes ihre Töchter in Zweigniederlassungen umwandeln, um sich nur einem Aufsichtsregime unterwerfen zu müssen.Darüber hinaus hat der BFH entschieden, in welchem Veranlagungszeitraum die “finalen” Verluste genutzt werden können. Dies sei – entgegen der Ansicht der Steuerpflichtigen in den Streitfällen – (erst) in jenem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum der Fall, in dem die “Finalität” feststehe. Offizielle Reaktionen der Finanzverwaltung auf die jüngste BFH-Rechtsprechung stehen noch aus. Bisher versagt die Finanzverwaltung die Berücksichtigung aller Verluste, die deshalb nicht genutzt werden können, weil die Verlustberücksichtigung im Betriebsstättenstaat nach dessen Steuerrecht zeitlich begrenzt ist.Die Finanzverwaltung ging bisher jedoch noch weiter. Sie hat die Nachfolgeentscheidung des BFH zur Rechtssache “Lidl Belgium” mit einem Nichtanwendungserlass belegt und will die Urteilsgrundsätze über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwenden. Darüber hinaus hat das Bayerische Landesamt für Steuern Anfang des Jahres ein “Argumentationspapier” zur Anwendung des “Lidl Belgium”-Urteils verfasst. Nach dessen Auffassung führe auch die Aufgabe einer ausländischen Betriebsstätte oder die Veräußerung des Betriebsstättenvermögens für sich genommen nicht dazu, dass noch nicht berücksichtigte Betriebsstättenverluste im Inland geltend gemacht werden können. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Verluste weiterhin im Betriebsstättenstaat berücksichtigt werden könnten: Es sei dem Steuerpflichtigen ja möglich, jederzeit eine neue Betriebsstätte im jeweiligen Land zu eröffnen. Die entstandenen Verluste könnten dann von Gewinnen der neuen Betriebsstätte abgezogen werden. Entsprechendes gelte für den Fall, dass die ausländische Betriebsstätte in eine Körperschaft eingebracht wird.Ob und unter welchen Voraussetzungen finale Verluste nicht nur einer Betriebsstätte, sondern auch einer ausländischen Tochter im Inland genutzt werden können, ist gegenwärtig noch weitgehend offen. Doch auch hier zeichnet sich nach einem Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 17.3.2010 (Revision beim BFH: Az. I R 34/10 ) eine Klärung ab.In diesem Verfahren war das klagende Unternehmen seit Jahren an einer dänischen Tochtergesellschaft beteiligt. Da die Tochter dauerhaft Verluste erwirtschaftete, wurde beschlossen, ihre Geschäftstätigkeit Ende 2004 zu beenden und die Gesellschaft aufzulösen. Die Klägerin beantragte den Abzug der vorgetragenen Verluste der Tochter bei der Ermittlung ihres zu versteuernden Einkommens in den Veranlagungszeiträumen der Verlustentstehung. Das lehnte das Am und im Ergebnis auch das Finanzgericht ab.Nach Ansicht des Finanzgerichts setzt eine Verlustübernahme eine zwischen der EU-ausländischen Tochter und der inländischen Muttergesellschaft vereinbarte Verpflichtung zur Übernahme von Verlusten voraus. Es könne offen bleiben, ob ein formaler Gewinnabführungsvertrag erforderlich sei. Die beteiligten Gesellschaften hätten auf einfacher schuldrechtlicher Grundlage eine Vereinbarung abschließen können und müssen. Hieran mangelte es jedoch im Streitfall. Das bedeutet, dass Unternehmen künftig gut daran tun, frühzeitig rechtliche Vorkehrungen zu treffen. Künftig scheint die Verlustnutzung bei der inländischen Mutter auch in dieser Konstellation dann nicht mehr ausgeschlossen. Schwerer abzulehnenWenn man die Zeichen richtig deutet, bleibt der BFH bei seiner für den Steuerpflichtigen vielversprechenden Auffassung, dass unter bestimmten Voraussetzungen Verluste einer ausländischen Betriebsstätte beim inländischen Stammhaus genutzt werden können. In der Konsequenz wird es der Finanzverwaltung künftig schwerer fallen, eine Verlustnutzung abzulehnen. Sollte sie, unter Beachtung des umstrittenen Nichtanwendungserlasses, im Einzelfall weiter an ihrer Rechtsauffassung festhalten, sollte in geeigneten Fällen Einspruch und finanzgerichtliche Klärung erwogen werden.Sofern Verluste einer ausländischen Tochterkapitalgesellschaft betroffen sind, müssen im Vorfeld rechtliche Vorkehrungen zur Nutzung etwaiger finaler Verluste getroffen werden. In Zukunft scheint die Verlustnutzung bei der inländischen Mutter auch in dieser Konstellation dann nicht mehr ausgeschlossen.—-*) Dr. Falko Tappen ist Fachanwalt für Steuerrecht bei DLA Piper.