RECHT UND KAPITALMARKT

Lieferkettenroulette im Unternehmenskauf

Sanktionsrisiken wirken als Giftpille in M&A-Transaktionen

Lieferkettenroulette im Unternehmenskauf

Von Jörn-Christian Schulze *)Rund 75 % der Deutschen halten es für richtig, Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen, wenn Zulieferer Menschenrechte verletzen. Demzufolge planen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Lieferkettengesetz. Die Vermeidung von Kinderarbeit sowie der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gerade in den internationalen Wertschöpfungsketten sind das Ziel.Die Bedeutung des Lieferkettengesetzes für Unternehmenskäufe wird wenig beleuchtet, weil es primär die Zielunternehmen treffen wird. Ein überbordender Pflichtenkatalog ist schon deshalb zu vermeiden. Aber auch mit Blick auf Nachfolgeproblematiken deutscher Familienunternehmen ist ein Lieferkettengesetz mit Augenmaß notwendig. Probleme in Lieferketten sind in der einem Unternehmenskauf vorgelagerten Unternehmensprüfung (sogenannte Due Diligence) kaum erkennbar. Legt das Gesetz überzogene Haftungsrisiken im Zielunternehmen an oder – schlimmer noch – bei einer Infektion der Käufergruppe, würde der Kauf produzierender Unternehmen zum Glücksspiel. Auf Sicht fahrenUm es klar zu sagen: Menschenrechtsverletzungen sind in vielen Billiglohnländern an der Tagesordnung. Weder die Regierungen dieser Länder noch die EU-Kommission haben bislang Einhalt bieten können. Es ist daher nicht fernliegend, das Thema in die Privatwirtschaft zu delegieren. Doch wie weit kann Unternehmen die quasipolizeiliche Kontrolle ihrer Lieferketten oktroyiert werden, ohne den Wirtschaftsstandort Deutschland zu überfordern? Hier kommt es entscheidend auf die Prüfungstiefe und den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab an. Ein größerer Textilhändler im Discount-Segment hat sicherlich 1 500 Erstzulieferer, an denen wiederum 7 000 ihm bekannte Zulieferer hängen. Die dritte Reihe ist kaum mehr überschaubar.Im Mittelstand wird das noch viel deutlicher. Ein normaler Rucksack hat schon etwa 30 direkt zugekaufte Komponenten. In Asien sind zudem bestimmte Vorprodukte nur über Großhändler kaufbar, die ihre Lieferketten aus Angst vor Umgehung nicht aufdecken. Eine Prüfungspflicht der gesamten Kette ist daher unmöglich.Es sind vernünftige Beschränkungen auf First Tier Supplier oder Wesentlichkeitsschwellen für eine eigene Prüfungspflicht unbedingt erforderlich. Das heißt nicht, dass nachlaufende Zuliefererketten ungeprüft bleiben dürfen; doch müssen andere Mittel, wie etwa eine vertragsstrafenbewehrte Weitergabe der Prüfungspflicht, verwandt werden.Manche Forderungen sind schlicht unrealistisch: So verlangt die Initiative Lieferkettengesetz eine Haftung für den Bruch eines Dammes in Brasilien, den der brasilianische TÜV kurz vorher freigegeben hat. Was soll ein saarländischer Unternehmer denn tun, um höhere Erkenntnisse zu gewinnen als die Prüfungsorganisation vor Ort?Das Lieferkettengesetz, egal in welcher Form es kommt, wird den Unternehmenskauf verändern. Ähnlich etwa dem UK Bribery Act, der harte Prüfungspflichten des Käufers bei Korruptionstatbeständen setzt, wird kein Käufer eine Prüfung der Methodik der Lieferkettenprüfung der Zielgesellschaft und gegebenenfalls Stichproben unterlassen können. Denn mit Vollzug des Erwerbs werden die Pflichten der Zielgesellschaft zu eigenen.Inwieweit Verstöße gegen das Lieferkettengesetz in Freistellungen im Kaufvertrag abgedeckt werden können, wird stark davon abhängen, wie der Gesetzgeber sanktionieren wird. Während Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Bußgelder präferiert, sind Strafen von bis zu 10 % des Umsatzes im Gespräch. Das wäre für M&A-Transaktionen aus zwei Gründen eine Giftpille. Gewährleistungen im Kaufvertrag sind nur so viel wert wie die finanzielle Leistungsfähigkeit der Verkäufer. Werden die Strafen unrealistisch hoch, kann dies erhaltene Kaufpreise übersteigen. Das steht bei 10 % des Umsatzes, wohlgemerkt nicht des Gewinns, schnell an. Ministerium entscheidetSchlimmer ist die Infektionsgefahr der Käufergruppe. Ein unentdeckter Verstoß gegen das Lieferkettengesetz hätte zur Folge, dass durch den Zukauf eines kleinen Unternehmens die Konzernbilanz des Käufers “vergiftet” würde. Eine umsatzbasierte Strafzahlung für die Zielgesellschaft hätte vielleicht nur wenige hunderttausend Euro bedeutet. Durch die Integration in einen größeren Konzern können es durch den Umsatzbezug viele, wenn nicht hunderte Millionen werden. In dieser Frage werden auch W+I-Versicherer keine Unterstützung sein, denn diese werden umsatzbezogene Schäden nicht decken können.Wohin die Reise des Lieferkettengesetzes führt, entscheidet derzeit das Bundeswirtschaftsministerium. Hier ist nicht im Hinblick auf Unternehmenskäufe, sondern ein die Interessen deutscher Unternehmen und die Menschenrechte der betroffenen Arbeiter in angemessener Form abwägender Entwurf zu erhoffen. Wird aber insbesondere auf der Rechtsfolgenseite überzogen, so kann das Gesetz einen ernsthaft lähmenden Effekt bei dem Erwerb im Ausland produzierender Unternehmen haben. *) Dr. Jörn-Christian Schulze ist Partner von Arqis.