Managerhaftung - die Luft wird dünner
Von Franz-Josef Schöne *)Die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit von Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsratsmitgliedern hat immens an Bedeutung gewonnen. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht darüber berichtet wird, dass Angehörige des Managements oder Aufsichtsratsmitglieder wegen Verletzung von organschaftlichen Pflichten zur Verantwortung gezogen werden sollen. Dies gilt nicht nur für Organmitglieder von Unternehmen des privaten Sektors, sondern auch für solche der öffentlichen Hand, und zwar gleich welcher Rechtsform, insbesondere auch von Anstalten des öffentlichen Rechts.Als Reaktion greifen Organmitglieder zunehmend auf fachkundigen Rat zurück. Diese lassen sich sowohl vor Entscheidungen als auch in der Entscheidungsphase selbst immer häufiger von Fachleuten beraten. Insbesondere werden Experten vermehrt zu Vorstands-, Aufsichtsrats- und sonstigen Gremiensitzungen, in denen schwierige und weitreichende Entscheidungen getroffen werden, hinzugezogen. Vor allem Rechtsrat durch Inhouse-Juristen, Rechtsanwälte und Professoren ist gefragt. Die Organmitglieder verfolgen damit das Ziel, bei ihrer Amtsausübung die ihnen obliegenden Pflichten zu erfüllen und sich insbesondere an Recht und Gesetz zu halten. Zudem wollen sie sich vor zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen schützen und gegen strafrechtliche Verantwortung absichern.Dürfen sich Organmitglieder bei ihrer Pflichtenerfüllung auf den Expertenrat verlassen? Müssen sie sogar fachkundigen Expertenrat einholen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wann ist die Vertrauenswürdigkeit des erteilten Rats zu verneinen? Zu diesen Fragen hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 20. September 2011 einige wichtige Aussagen getroffen und gleichzeitig seine Rechtsprechung (Urteil des BGH vom 14. Mai 2007, Az.: II ZR 48/06) zu diesem Problemkreis fortgesetzt. Unter Zugrundlegung der Entscheidungen zeichnen sich die nachfolgenden Linien ab. Expertenrat einholenNach dem Aktiengesetz (AktG) (§§ 76, 77) ist es Aufgabe des Vorstands, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten und die Geschäfte der Gesellschaft zu führen. Der Sorgfaltsmaßstab, den die Vorstandsmitglieder bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben einzuhalten haben, ist in § 93 Absatz 1, Satz 1 AktG normiert. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Mitglieder des Vorstands die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben.Aus der Vorschrift ergibt sich, dass ein Vorstand als ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter Expertenrat einzuholen hat, falls er nicht über die im konkreten Einzelfall erforderliche Sachkunde verfügt. Wie in dem aktuellen BGH-Urteil im Hinblick auf eine Kapitalerhöhung entschieden, gilt dies insbesondere auch für Unternehmenstransaktionen. Falls das Vorstandsmitglied transaktionsrelevante Fragestellungen – etwa steuerrechtliche, fusionskontrollrechtliche, beihilferechtliche, gesellschaftsrechtliche oder regulative Problemstellungen der Transaktion – mangels eigener Sachkunde nicht beurteilen kann, hat es zu diesen Problemstellungen Rechtsrat einzuholen.Dabei ist es nicht in jedem Fall ausreichend, dass die Transaktionsdokumentation durch eine Anwaltskanzlei ausgearbeitet wird. Denn – wie der BGH betont – die Transaktionsdokumentation allein stellt für den Vorstand keine geeignete Grundlage dar, um die verlangte Plausibilitätskontrolle durchzuführen. Ganz abgesehen davon bedeutet die bloße Erarbeitung der Transaktionsdokumentation durch eine Anwaltskanzlei nicht notwendigerweise, dass die transaktionsrelevanten Fragestellungen auch tatsächlich überprüft worden sind.Falls der Vorstand demnach verpflichtet ist, Expertenrat einzuholen, stellt sich die Frage, welche Anforderungen er dabei zu beachten hat. Auch diese Frage beurteilt sich – grob vereinfacht – gemäß dem Sorgfaltsmaßstab des “ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters”. Im Lichte dessen erscheint es selbstverständlich, dass der Vorstand zunächst den Berater sorgfältig auswählen muss. Auch liegt es auf der Hand, dass der Berater fachlich qualifiziert und unabhängig sein muss.So naheliegend diese Anforderungen auf den ersten Blick sind, so verschwommen werden sie, wenn man sie näher betrachtet. Reicht es im Hinblick auf die fachliche Qualifikation aus, dass der Berater zu dem relevanten Beruf zugelassen, mithin ein Berufsträger ist? Ist eine besondere Spezialisierung erforderlich oder muss der Berater gar über einen besonderen Ruf verfügen, folglich ein “anerkannter Spezialist” sein? Was ist unter dem geforderten Merkmal “unabhängiger Berater” zu verstehen? Zielt dieses auf eine fehlende Weisungsunabhängigkeit ab, meint es mithin vom Vorstand weisungsunabhängige Berater? Oder bedeutet dieses Tatbestandsmerkmal, dass sich der Berater nicht in einem Interessenkonflikt befinden darf?Heftig wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob in solchen Fällen die Rechtsberatung durch die eigene Rechtsabteilung überhaupt zulässig ist. Im Zweifel, etwa bei Fragestellungen von besonderer Komplexität oder Tragweite für das Unternehmen, wird der Vorstand auf jeden Fall gut daran tun, den sicheren Weg zu gehen und externen Rechtsrat einzuholen. Bei besonderem Schwierigkeitsgrad der zu beurteilenden Fragestellungen mag sich sogar eine “Second Opinion” eines weiteren externen Rechtsberaters empfehlen.Es ist ebenso offensichtlich, dass der Vorstand dem Berater den relevanten Sachverhalt zutreffend und vollständig darstellen muss. Überaus kontrovers wird indessen wiederum die Frage erörtert, ob der Expertenrat schriftlich zu erteilen ist oder ob auch die mündliche Auskunftserteilung genügt. Der BGH hat dazu festgestellt, dass die mündliche Auskunftserteilung jedenfalls dann nicht ausreichend ist, wenn diese dem Vorstand die notwendige Plausibilitätskontrolle nicht ermöglicht. Dies mag den Schluss zulassen, dass im Einzelfall, etwa bei einfach gelagerten, übersehbaren Fällen, die Auskunft auch mündlich erteilt werden kann, wenn diese von dem Vorstand ohne große Schwierigkeiten plausi-bilisiert werden kann.Schließlich hat der BGH – wie bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2007 – nochmals klargestellt, dass der Vorstand in jedem Fall den erteilten Expertenrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen muss. Demgemäß muss sich der Vorstand etwa vergewissern, dass die Auskunft an den zutreffenden und vollständigen Sachverhalt anknüpft.Auch muss der Vorstand den Expertenrat inhaltlich auf Widersprüche und Begründungslücken durchsehen und die gezogenen Schlussfolgerungen abgleichen. Wie das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 15. November 2009 (Az.:Z 20 U 5/09) feststellt, hat der Vorstand dabei zudem zu prüfen, ob die beabsichtigte Maßnahme überhaupt durch den Expertenrat gedeckt ist. SorgfaltspflichtenWenn der Vorstand diese Anforderungen einhält, hat er seine Sorgfaltspflichten erfüllt. Er haftet in diesem Fall auch dann nicht, wenn sich der erteilte Expertenrat im Nachhinein als unzutreffend erweisen sollte. Aufgrund dessen sind Vorstände, aber auch Aufsichtsräte und Geschäftsführer, für die diese Grundsätze ebenso gelten, gut beraten, “im Zweifelsfall” unter Beachtung der vorstehenden Kriterien Expertenrat, und zwar externen und schriftlichen Expertenrat einzuholen. Dabei sollten sie all dies sorgfältig dokumentieren.Insbesondere sollten sie schriftlich festhalten, dass, in welcher Art und Weise und mit welchem Ergebnis der Expertenrat der Plausibilitätskontrolle unterzogen wurde. Denn aufgrund der gesetzlichen Beweislastumkehr des § 93 Absatz 2, Satz 2 AktG hat das Vorstandsmitglied darzulegen und gegebenfalls zu beweisen, dass es seiner Sorgfaltspflicht Genüge geleistet hat und es kein Verschulden trifft. Dies gilt selbst dann, wenn das Vorstandsmitglied aus der Gesellschaft ausgeschieden ist.—-*) Dr. Franz-Josef Schöne ist Partner von Hogan Lovells in Düsseldorf.