Recht und Kapitalmarkt

Marktpreise gewinnen in der Bewertung an Bedeutung

Nach Unternehmensübernahmen - Aktuelle Entscheidung des Landgerichts Köln - Ertragswertgutachten nur als Hilfsverfahren

Marktpreise gewinnen in der Bewertung an Bedeutung

Von Hartmut Krause und Jonas Wittgens *)Nach der Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft nimmt der neue Großaktionär häufig Strukturmaßnahmen in Angriff, um die Zielgesellschaft in seine Gruppe zu integrieren – etwa durch den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, die Verschmelzung mit der Zielgesellschaft oder den “Squeeze-out” der Minderheitsaktionäre. Nach den gesetzlichen Vorschriften muss den Minderheitsaktionären bei diesen Strukturmaßnahmen eine angemessene Abfindung angeboten werden. Die Angemessenheit können Minderheitsaktionäre im Spruchverfahren gerichtlich prüfen lassen. IDW-Standard üblichFür die Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung gibt das Gesetz keine Bewertungsmethode vor. Traditionell wird ein Gutachten nach Standard S1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) eingeholt; der nach dem Ertragswert- oder dem Discounted- Cash-flow-Verfahren ermittelte Unternehmenswert wird quotal auf alle Aktien umgelegt. Diese Methode erkennen die Gerichte an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Abfindung aber im Regelfall nicht niedriger als der Verkehrswert der Aktie – d. h. nicht niedriger als ihr Börsenkurs – sein. Welchen Preis der Großaktionär für die Aktien der Zielgesellschaft gezahlt hat, war für die Bestimmung der angemessenen Abfindung bislang unmaßgeblich.Das Landgericht Köln (Az: 82 O 10/08 v. 24.7.2009) ist dieser Praxis jetzt mit grundsätzlichen Erwägungen entgegengetreten. Im entschiedenen Fall hatte die Hauptversammlung den Rückzug von der Börse (Delisting) beschlossen. Nach Maßgabe der Macrotron-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war den Aktionären eine Barabfindung angeboten worden. Die Höhe der Abfindung entsprach exakt dem Preis je Aktie, den der Großaktionär in einem kompetitiven Bieterverfahren etwa ein halbes Jahr vor der Hauptversammlung für den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung gezahlt und danach im Rahmen eines Pflichtangebots nach WpÜG geboten hatte. Mehrere Aktionäre leiteten ein Spruchverfahren ein und beantragten die Erhöhung der angebotenen Abfindung.Das LG Köln hat diese Anträge zurückgewiesen, ohne ein Bewertungsgutachten einzuholen. Das Ertragswertverfahren sei nur ein Hilfsverfahren zur Ermittlung des Verkehrswerts der Aktien. Sei der Verkehrswert der Aktien bekannt (etwa aufgrund einer zeitnahen Anteilsveräußerung), dürfe die Abfindung hinter diesem Marktpreis nicht zurückbleiben; ein Bewertungsgutachten sei dann entbehrlich. Für das LG Köln ist ein Marktpreis jeder Schätzung des Verkehrswerts überlegen. Er sei ein realistischer Wert, in den alle maßgeblichen Marktaspekte einflössen, und nicht nur ein theoretischer Laborwert, der sich auf unsichere Ertragsprognosen stütze und Marktaspekte ausblende.Das LG Köln entnimmt aus dem Steuer-, Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsrecht den Rechtsgedanken, dass der Verkehrswert aus nicht mehr als ein Jahr zurückliegenden Anteilsverkäufen abgeleitet werden kann. Zudem müsse sich der Preis bei diesen Anteilsverkäufen in einer echten Marktsituation gebildet haben. Das erfordere grundsätzlich eine Wettbewerbslage auf Käufer- und Verkäuferseite. Ferner müssten sich gleichwertige Vertragspartner gegenüberstehen, die in der Lage seien, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen. Schließlich dürften Sonderinteressen des Käufers oder Verkäufers, die zu einem Preis abseits eines akzeptablen Verkehrs-wertspektrums führten, keine Bedeutung haben. Grundsätzlich könne aus dem Marktpreis für ein größeres Aktienpaket auf den Verkehrswert des Unternehmens und die Angemessenheit der Abfindung geschlossen werden, wenn der Erwerb auf die Erlangung der Kontrolle abziele, das Aktienpaket die Kontrolle über das Unternehmen tatsächlich ermögliche und bei der Preisfindung für das Aktienpaket der wahre Wert der Anteile, also der Wert des Unternehmens, zugrunde gelegt worden sei. Geringfügig darüberIn dem vom LG Köln entschiedenen Fall lag der nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgebliche durchschnittliche Börsenkurs geringfügig über der angebotenen Barabfindung. Gleichwohl hat das LG Köln die angebotene Barabfindung für angemessen gehalten. Die Ableitung der angemessenen Barabfindung anhand des durchschnittlichen Börsenkurses stelle – wie jede Methode der Abfindungsermittlung – nur eine Schätzung dar. Weil es stets eine Bandbreite gebe, innerhalb derer die Abfindung als angemessen bezeichnet werden könne, sei eine punktgenaue Wertermittlung weder möglich noch geboten. Daher könne eine Abweichung nach unten auch beim Börsenkurs in gewissen Bandbreiten, zumindest aber im Bereich von 1 % bis 2 %, akzeptiert werden.Wenn sich die Überlegungen des LG Köln in der Rechtsprechung durchsetzen, dürften Kaufpreise für größere Aktienpakete bei der Unternehmensbewertung an Bedeutung gewinnen. Wird eine kontrollierende Beteiligung an einer AG im Rahmen eines kompetitiven Bieterverfahrens erworben und sind die vom LG Köln postulierten Anforderungen an die Preisfindung erfüllt, ist der gezahlte Preis je Aktie ein Marktpreis. Beschließt die Hauptversammlung innerhalb eines Jahres nach einem derartigen Beteiligungserwerb über eine Strukturmaßnahme, ist dieser Marktpreis bei der Bemessung der Abfindung zu berücksichtigen. Muss ein Marktpreis berücksichtigt werden, können sich Aktionäre, die ein Spruchverfahren anstrengen und die Erhöhung der Abfindung verlangen, nicht darauf berufen, dass der auf ihre Aktien umgelegte, nach IDW-Standard S1 ermittelte Ertragswert höher ist als der Marktpreis ihrer Aktien. Unter diesen Umständen können Spruchverfahren vergleichsweise zügig abgeschlossen werden (das LG Köln entschied erstinstanzlich nach etwa 18 Monaten, ohne ein Bewertungsgutachten einzuholen).Umgekehrt dürfte es wohl konsequenterweise dann, wenn der für den Kontrollerwerb gezahlte Preis je Aktie einen Marktpreis darstellt, nicht möglich sein, im Rahmen der Strukturmaßnahme eine Abfindung unterhalb dieses Marktpreises festzusetzen – selbst wenn ein Ertragswertgutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass ein niedrigerer Preis angemessen wäre. Dieser präjudiziellen Wirkung des Marktpreises kann man nur entgehen, wenn man entweder zwischen dem Erwerb der Kontrollbeteiligung und der Strukturmaßnahme über ein Jahr verstreichen lässt oder der Erwerb der Kontrollbeteiligung so strukturiert wird, dass der für diese Beteiligung gezahlte Preis keinen Marktpreis darstellt. Nach dem LG Köln wäre etwa die im Rahmen eines WpÜG-Übernahmeangebots gebotene Gegenleistung kein Marktpreis, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten – wie z. B. ein konkurrierendes Angebot, das einen Bieterwettbewerb auslöst. Ob die Zusage eines maßgeblichen Aktionärs, seine Aktien im Rahmen des Übernahmeangebots zu verkaufen (“irrevocable undertaking”), dazu führt, dass die Gegenleistung des Übernahmeangebots einen Marktpreis darstellt, dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Kaum entbehrlichBewertungsgutachten nach IDW-Standard S1 werden jedoch auch künftig bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung kaum entbehrlich sein. Bei den gesetzlich geregelten Strukturmaßnahmen verlangt das Aktienrecht die gerichtliche Bestellung eines sachverständigen Prüfers, der der Hauptversammlung über die Unternehmensbewertung Bericht erstatten muss. Im Wesentlichen haben nur Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Zugang zu dieser Rolle. Nach Auffassung des Berufsstands besteht die Prüfungstätigkeit in der Überprüfung einer bereits vorliegenden Bewertung anhand des zugrunde liegenden Zahlenmaterials. Weil Wirtschaftsprüfer nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen Gründen den Standards des IDW zu folgen pflegen, ist zu erwarten, dass diese Bewertungen weiterhin nach dem Ertragswert- oder DCF-Verfahren des IDW-Standards S1 vorgenommen werden.—-*) Dr. Hartmut Krause ist Partner, Dr. Jonas Wittgens Rechtsanwalt bei Allen & Overy.