Recht und Kapitalmarkt

Mehr Flexibilität für genehmigtes Kapital

Unternehmen können schnell auf Erwerbs- oder Beteiligungschancen reagieren - Blockaderisiko entschärft

Mehr Flexibilität für genehmigtes Kapital

Von Alexander Kiefner *) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat unlängst in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der Vorstand vor der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre keinen schriftlichen Bericht über die Gründe des Bezugsrechtsausschlusses an die Aktionäre erstatten muss. Ausreichend ist vielmehr eine Information auf der nächsten Hauptversammlung (HV). Ferner hat der BGH in einem Parallelverfahren entschieden, dass in einer rechtswidrigen Ausnutzung des genehmigten Kapitals eine Kompetenzüberschreitung des Vorstands liege, welche die Aktionäre im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage oder in einer nachgelagerten allgemeinen Feststellungsklage gerichtlich überprüfen lassen können (Urteile vom 10. Oktober 2005, Az. II ZR 148/03 und II ZR 90/03). Beide Verfahren betrafen genehmigte Kapitalia der Commerzbank, bei deren konkreter Ausnutzung es u. a. um den Einstieg der Generali-Versicherung im Wege der Sacheinlage ging. Insgesamt ist vor allem das erste Urteil zu begrüßen, denn der nunmehr höchstrichterlich festgeschriebene Verzicht auf eine Vorab-Berichtspflicht stärkt die Funktion des genehmigten Kapitals, der Verwaltung die flexible Reaktion auf Erwerbs- und Beteiligungschancen zu ermöglichen, ohne dem für HV-Beschlüsse typischen Blockaderisiko von Anfechtungsklagen ausgesetzt zu sein. Verständlich wird die Tragweite der Entscheidungen im Vergleich mit der “ordentlichen”, also der regulären und einzelfallbezogenen Kapitalerhöhung (§ 182 ff. AktG), bei der die Aktionäre ausführlich schriftlich über die Gründe eines beabsichtigten Ausschlusses ihres gesetzlich vorgesehenen Bezugsrechts unterrichtet werden müssen. Diese Informationspflicht ist im Zusammenhang mit den inhaltlichen Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss nach der sog. “Kali+Salz-Rechtsprechung” des BGH zu sehen, wonach der Ausschluss geeignet und erforderlich sein muss, um ein im Interesse der Gesellschaft liegendes Ziel zu erreichen. Das Berichtserfordernis dient hier einerseits den Aktionären als Entscheidungsgrundlage für ihre Beschlüsse und andererseits als Grundlage für die gerichtliche Inhaltskontrolle im Falle einer Anfechtung. Der BGH hat allerdings schon 1997 in der “Siemens/Nold-Entscheidung” erkannt, dass diese starren Grundsätze auf die Schaffung eines genehmigtes Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts nicht recht passen. Weiter RahmenDie Vorschriften zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG) eröffnen zeitlich wie inhaltlich (5 Jahre; bis zu 50 % des Grundkapitals) einen sehr weiten Ermächtigungsrahmen und sehen ausdrücklich auch die Möglichkeit einer Ermächtigung des Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss vor. Nimmt man diesen weiten Ermächtigungsrahmen ernst, müssen – bezogen auf den Zeitpunkt der Schaffung einer solchen Ermächtigung durch die HV – für eine Aktionärsinformation und die inhaltliche Kontrolle des HV-Beschlusses andere Maßstäbe gelten. Denn regelmäßig wird man zu diesem Zeitpunkt noch nicht konkret vorhersagen können, für welche Projekte das genehmigte Kapital herangezogen werden soll. Es entspricht daher bereits seit “Siemens/Nold” ständiger Rechtsprechung, dass es bei der Schaffung des genehmigten Kapitals mit Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss ausreicht, die Aktionäre lediglich abstrakt-generell über die Gründe für die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss zu informieren. Ähnlich herabgesetzt ist auch der Kontrollmaßstab für eine gerichtliche Überprüfung des Ermächtigungsbeschlusses. In den Mittelpunkt des Interesses rückt vielmehr die konkrete spätere Entscheidung der Verwaltung, die Ermächtigung unter Ausschluss des Bezugsrechts auszunutzen. Diese muss stets im “wohlverstandenen Interesse” der Gesellschaft erfolgen. In der Sache bedeutet dies, dass der konkrete Schutz der Gesellschafts- und Aktionärsinteressen von der HV-Entscheidung weitgehend abgekoppelt ist und stattdessen durch entsprechende Verhaltensanforderungen an Vorstand und Aufsichtsrat verwirklicht wird. Mehreren Stimmen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum geht dies nicht weit genug. Sie fordern, dass, sobald die “konkreten Fakten” für die bezugsrechtsausschließende Ausnutzung des genehmigten Kapitals auf dem Tisch liegen, die Aktionäre – gleichsam als “Ersatz” für die eingeschränkte Information bei der Beschlussfassung in der HV – vorab über die Ausnutzung der Ermächtigung genau informiert werden müssen. Dieser Auffassung ist der BGH jetzt zu Recht entgegengetreten. Keine Berichterstattung Die vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Informationsrechte der Aktionäre dienen in erster Linie der Vorbereitung der Entscheidungsfindung in der HV. Diese ist aber im Fall des genehmigten Kapitals zum Zeitpunkt der Ermächtigungsausnutzung längst abgeschlossen. Nach der Erteilung der Ermächtigung durch die HV liegt es ausschließlich an der Verwaltung, hiervon verantwortungsvoll Gebrauch zu machen. Eine durch eine entsprechende Berichtspflicht institutionalisierte Aktionärskontrolle über das Vorstandshandeln wäre mit der Aufgabenverteilung in der Aktiengesellschaft nur schwer zu vereinbaren, denn die Überwachung des Vorstands obliegt dem Aufsichtsrat als dem gesetzlich vorgesehenen Kontrollorgan. Nicht zuletzt stünde eine Vorab-Berichtspflicht auch der Funktion des genehmigten Kapitals als flexiblem Finanzierungs- und Akquiseinstrument entgegen, denn zahlreiche Maßnahmen ließen sich nicht umsetzen, wenn mit entsprechendem zeitlichem Vorlauf vertrauliche Details veröffentlicht werden müssten. Der hohe Stellenwert, dem die Flexibilität beim genehmigten Kapital zukommt, würde es an sich nahe legen, die gerichtliche Einzelfallkontrolle ausschließlich in nachgelagerten Schadenersatzverfahren vorzunehmen. Der BGH möchte allerdings so weit nicht gehen und hat in der zweiten Entscheidung den Aktionären die Möglichkeit eingeräumt, gegenüber der Gesellschaft auf vorbeugende Unterlassung einer rechtswidrigen Ermächtigungsausnutzung oder auf deren nachträgliche Feststellung zu klagen. Zur Begründung führt der BGH an, dass der in “Siemens/Nold” eingeleitete Rückbau der präventiven Schranken nicht dazu führen dürfe, den Aktionären eine systemkonforme gerichtliche Kontrollmöglichkeit vorzuenthalten. Rechtskonstruktiv greift der BGH dabei auf das in der “Holzmüller-Entscheidung” von 1982 erstmals anerkannte Recht der Aktionäre zurück, gerichtlich gegen kompetenzwidriges Vorstandshandeln vorzugehen. Zwingend erscheint diese Sichtweise nicht, denn Aufgabenzuständigkeit und Rechtmäßigkeit der Aufgabenerfüllung betreffen an sich zwei verschiedene Fragestellungen. Frage der Ad-hoc-PflichtAbzuwarten wird bleiben, ob der vom BGH zugestandenen Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage in der Praxis größere Bedeutung zukommen wird und kritischen Aktionären ein neues Betätigungsfeld zur Blockade von Kapitalmaßnahmen eröffnet. Da eine ausführliche Vorabinformationspflicht nicht besteht, wird es häufig bereits an der Kenntnis des Vorgangs fehlen. Allerdings hat das Anlegerschutzverbesserungsgesetz die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität tendenziell ausgedehnt, so dass im Einzelfall nicht auszuschließen ist, dass bereits vor der eigentlichen Ausnutzung eine entsprechende Mitteilung in den Markt gegeben werden muss. Hier besteht das Risiko, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sog. Unterlassungsverfügungen beantragt werden. Die Gerichte werden dazu aufgerufen sein, strenge Maßstäbe an die Darlegung von Verfügungsanspruch und -grund anzulegen, um die für das genehmigte Kapital kennzeichnende Flexibilität nicht durch den Erfolg nur unzureichend begründeter Verfügungsanträge zu gefährden. Sofern mit einem Verfügungsantrag zu rechnen ist, wird es den Vorständen ggf. zu empfehlen sein, bei den Gerichten vorsorglich sog. Schutzschriften zu hinterlegen, in welchen der Standpunkt der Verwaltung dargelegt ist. *) Dr. Alexander Kiefner ist Rechtsanwalt bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt am Main.