Recht und Kapitalmarkt

Mehr Sicherheit und Transparenz für Derivatemärkte

EU-Verordnungsentwurf sieht umfassende Neuregelungen für OTC-Segment vor - Harmonisierungsbedarf in Deutschland

Mehr Sicherheit und Transparenz für Derivatemärkte

Von Oliver Dreher, Bernd Geier und Patrick Scholl *) Außerbörslich gehandelte Derivate (OTC-Derivate) stehen im Fokus der anstehenden weltweiten Regulierung des Finanzmarktes. In Krisensituationen können diese Finanzinstrumente das Ausfallrisiko für Marktteilnehmer gegenüber ihren Gegenparteien (sogenanntes Kontrahentenrisiko) erhöhen und systemische Störungen verursachen oder verstärken, weil infolge erhöhter Marktvolatilität hohe Zahlungen fällig werden. Auch sind für Dritte – inklusive Aufsichtsbehörden – die mit OTC-Derivaten zusammenhängenden Risiken in der Regel nicht feststellbar, da der Inhalt der Verträge anderen als den beteiligten Marktteilnehmern nicht offengelegt wird.An diesen strukturellen Defiziten setzt der Verordnungsentwurf an, den nun der Rat der Europäischen Union vorgelegt hat (sog. Kompromissvorschlag), um mehr Sicherheit und Transparenz in diesem Marktsegment zu schaffen. Danach sollen standardisierte OTC-Derivate künftig weitgehend über zentrale Kontrahenten, “central counterparties” (CCP), abgewickelt werden. Darüber hinaus sind Informationen über OTC-Derivate an Transaktionsregister zu melden und so den Aufsichtsbehörden zugänglich zu machen. ClearingzwangDas Kontrahentenrisiko soll nach dem Verordnungsentwurf weitgehend durch die Einführung eines Clearingzwangs für standardisierte OTC-Derivate eingedämmt werden. Zwischen die Vertragsparteien eines OTC-Derivats tritt ein zentraler Kontrahent in Form eines Clearinghauses. Ausschließlich dieser wird Vertragspartner des Käufers und Verkäufers des gehandelten Derivats – und trägt damit allein das Risiko des Ausfalls einer der beiden Parteien.Der Verordnungsentwurf sieht eine Vielzahl zwingender Schutzmechanismen vor, die dem jeweiligen Clearinghaus im Wege von Organisations- oder Verhaltenspflichten aufgegeben werden. Die beiden zentralen Strukturelemente dieser Ausgestaltung des zentralen Kontrahenten sind die Stellung von Sicherheiten der teilnehmenden Parteien an den zentralen Kontrahenten auf Intraday-Basis und die Errichtung eines Clearingfonds, in den die teilnehmenden Parteien einzuzahlen verpflichtet sind. Daneben treten zahlreiche weitere qualitative Anforderungen an das Risikomanagement des Clearinghauses und eine Überwachung des Clearinghauses durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Deutsche Clearinghäuser erfüllen diese Vorgaben grundsätzlich bereits heute, da sie als Institut den Vorgaben des Kreditwesengesetzes unterliegen.Funktionierende Finanzmärkte sind jedoch auch auf den Handel mit OTC-Derivaten angewiesen, die auf spezifische Interessen von Marktteilnehmern zugeschnitten und nicht standardisierbar sind. Welche OTC-Derivate daher letztlich in den Clearingzwang einbezogen werden, wird von dem Verordnungsentwurf nicht festgelegt. Hierüber entscheidet vielmehr erst die zu gründende neue europäische Finanzaufsichtsbehörde EMSA, entweder gemeinsam mit dem European Systemic Risk Board (“Top-down-Prinzip”) oder auf Vorschlag eines Clearinghauses (“Bottom-up-Prinzip”).OTC-Derivate, die gleichwohl nicht dem Clearingzwang unterliegen, werden ebenfalls vom Verordnungsentwurf erfasst. Der Verordnungsentwurf erlegt den Vertragspartnern dieser OTC-Derivate bestimmte Verhaltens- und Überwachungspflichten auf. Insbesondere verlangt er eine adäquate, täglich neu zu bewertende Besicherung dieser OTC-Derivate.Zudem soll der bislang vergleichsweise undurchsichtige Markt für OTC-Derivate transparenter gemacht werden: Hierzu wird – unabhängig von der Einführung eines Clearingzwangs für einzelne Kategorien von OTC-Derivaten – verpflichtend vorgeschrieben, dass Informationen über diese Finanzinstrumente an zentrale Datenbanken (“trade repositories”) zu übermitteln sind. Der genaue Umfang dieser Informationen wird von der Kommission noch festgelegt.Grundsätzlich offenzulegen sind jedoch die Vertragsparteien des Derivats, der Nominalbetrag, die Laufzeit, der Basiswert und andere wesentliche kommerzielle Grundzüge. Die Informationspflicht erstreckt sich auch auf Änderungen des Derivateinhalts und auf die Schließung von Positionen. Die Informationen werden den Aufsichtsbehörden und – auf aggregierter Basis – auch der Öffentlichkeit bekannt gemacht.Sowohl der Clearingzwang als auch die Transparenzregeln erfassen grundsätzlich alle Unternehmen des Finanzsektors und sonstige Unternehmen, wenn diese einschlägige Grenzwerte – deren Bestimmung bislang noch aussteht – im Hinblick auf die von ihnen eingegangenen Derivatepositionen überschreiten. Bei sonstigen Unternehmen werden jedoch für die Frage des Clearingzwangs diejenigen Derivatepositionen nicht berücksichtigt, die einen unmittelbaren Bezug zur Geschäftstätigkeit dieser Unternehmen und damit keinen spekulativen Charakter haben. Das gilt etwa für die Absicherung eines Luftfahrtunternehmens gegenüber Kerosinpreisschwankungen.Der Verordnungsentwurf kann nur im Zusammenhang mit den nationalen Rechtsordnungen und im Gesamtkontext der aktuellen bzw. geplanten europäischen Regelungen gewürdigt werden. So schweigt der Verordnungsentwurf zu den Folgen, die aus den an die zentralen Datenbanken übermittelten Daten abzuleiten sind. Damit scheint es im Ermessen der Marktteilnehmer zu stehen, selbst Konsequenzen aus den Informationen zu ziehen, die auf aggregierter Basis veröffentlicht werden. Es wird den Aufsichtsbehörden obliegen, flankierende Maßnahmen zur Risikovermeidung zu ergreifen, wenn systematische Risiken künftig identifiziert werden. Diese aufsichtsrechtlichen Maßnahmen können ihre Grundlage jedoch nur in Ermächtigungsnormen finden, die weder Gegenstand des Verordnungsentwurfs sind noch durch diesen harmonisiert werden.Die weitgehende Einführung von geclearten OTC-Derivaten kann durchaus zur Reduzierung systematischer Risiken beitragen. Ob dieses Ziel jedoch erreicht wird, hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Verordnungsentwurf in den Mitgliedstaaten hinreichend Rechtssicherheit schafft. Da die EU-Kommission die Rechtsform der Verordnung gewählt hat, werden die Regeln unmittelbar und verbindlich in allen Mitgliedstaaten gelten. Damit fehlt es an der sonst – für europäische Richtlinien – bestehenden Möglichkeit, im Rahmen der Umsetzung der Verordnung durch den nationalen Gesetzgeber die Besonderheiten und Strukturmerkmale des nationalen Rechts zu berücksichtigen. HarmonisierungDas deutsche Recht, insbesondere das Insolvenzrecht, enthält Regelungen, die umgestaltet werden müssen, um sich stimmig in die Vorgaben der Verordnung einzufügen. Dies gilt insbesondere für das deutsche Anfechtungsrecht, aber auch für die Behandlung von Derivatepositionen im Insolvenzfall und für zahlreiche aufsichtsrechtliche Maßnahmen. Gerade neuere Gesetzesentwürfe, wie z. B. das Restrukturierungsgesetz, sind mit den Vorgaben der Verordnung zu harmonisieren. Zielführend wäre es auch, bei dieser Gelegenheit den durch deutsche Treuhandverhältnisse vermittelten Insolvenzschutz zu kodifizieren. Zudem sollten Finanzunternehmen zum Schutz ihrer Kunden abgeschirmte Sondervermögen errichten können. Ohne eine Anpassung des nationalen Rechts entsteht ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit, soweit der Inhalt der Verordnung auf widersprechendes nationales Recht stößt und dieses überlagert (Anwendungsvorrang). Hieraus erwächst zudem die Gefahr, dass der Anwendungsbereich nationalen Rechts und die Abgrenzung nationaler Vorschriften vom Anwendungsbereich der Verordnung erstmals verbindlich im Krisenfall – und damit im Ernstfall – geklärt werden.—-*) Oliver Dreher ist Partner und Rechtsanwalt, Dr. Bernd Geier und Dr. Patrick Scholl sind Rechtsanwälte und Managing Associates im Frankfurter Büro von Linklaters LLP.