Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Harald Gesell

Mehr Spielraum für internationale Reorganisation von Holdingstrukturen

Erste niederländisch-deutsche Verschmelzung auf Basis EuGH-Rechtsprechung

Mehr Spielraum für internationale Reorganisation von Holdingstrukturen

– Herr Gesell, Sie haben die Verschmelzung einer niederländischen auf eine deutsche Gesellschaft begleitet. Wie war diese Konstruktion möglich, nachdem das deutsche Umwandlungsrecht grenzüberschreitende Fusionen nicht vorsieht?Bei dieser Verschmelzung einer niederländischen B.V. zur Aufnahme auf eine deutsche GmbH sind alle Aktiva und Passiva der B.V. auf die GmbH im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangen, und die B.V. ist ohne Liquidation erloschen. Die deutschen Registergerichte waren bisher der Auffassung, dass eine solche Maßnahme unzulässig sei. Ausländische Behörden und Register sahen das oft ähnlich. Den Weg für unsere Beratung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 13. Dezember 2005 in der Rechtssache Sevic (C-411/03) geebnet. Darin hat der EuGH klargestellt, dass eine Verschmelzung nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die beteiligten Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten kommen. Sein Argument: die durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit. – Wie weit ist der deutsche Gesetzgeber bei der Ermöglichung internationaler Zusammenschlüsse?Um das Verfahren grenzüberschreitender Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften in der EU einheitlich zu regeln, haben das EU-Parlament und der Rat im Herbst vergangenen Jahres eine europäische Richtlinie verabschiedet. Diese bedarf noch der Umsetzung in die nationalen Verschmelzungsrechte der 25 Mitgliedstaaten. Die Umsetzungsfrist läuft bis Dezember 2007. Der deutsche Gesetzgeber hat recht kurzfristig einen Referentenentwurf für ein Umsetzungsgesetz vorgelegt. – In dem aktuellen Fall handelt es sich um den Zusammenschluss von Zwischenholdings innerhalb einer Konzernstruktur. Wäre eine vergleichbare Konstruktion auch bei unabhängigen Firmen möglich, etwa bei Akquisitionen?Theoretisch hat jede Kapitalgesellschaft diese Option. Allerdings ist für operative Gesellschaften zu berücksichtigen, dass zum Beispiel die Frage der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der aufnehmenden Gesellschaft noch ungeklärt ist. Zwar gibt es auch hierfür Vorgaben des europäischen Gesetzgebers, die im wesentlichen die Anwendung des schon für die Europäische Gesellschaft (SE) bekannten mindestens sechsmonatigen Verhandlungsverfahrens vorsehen. Auch hier fehlt es aber noch an der Umsetzung in nationales Recht. – Welcher Spielraum eröffnet sich generell für Unternehmen?Durch die Möglichkeit grenzüberschreitender Verschmelzungen erhalten europaweit tätige Unternehmensgruppierungen erheblich mehr Spielraum bei der grenzüberschreitenden Reorganisation ihrer Holdingstrukturen. Bisher stand hierfür lediglich der Weg über Asset-Transfers, Liquidationen oder Anwachsungsmodelle zur Verfügung, der oft zeitraubend oder steuerlich nachteilig war. – Gib es noch rechtliche Fallstricke, die zu beachten sind?Neben der Unsicherheit außerhalb von Konzernsachverhalten ist noch nicht völlig geklärt, ob die EuGH-Rechtsprechung nur für Verschmelzungen nach Deutschland hinein gilt oder auch für solche aus Deutschland heraus, bei denen also die deutsche Gesellschaft in einer ausländischen Gesellschaft aufgeht und dadurch erlischt. Während die deutsche Rechtsprechung dies ablehnte, mehren sich die Stimmen, die das neue Urteil auf beide Sachverhalte anwenden wollen. Dies dürfte richtig sein, da die Niederlassungsfreiheit letztlich in beide Richtungen gelten muss. Anspruchsvoll ist auch die Synchronisation der Verschmelzungsrechte der beteiligten Mitgliedstaaten. Gerade weil es noch an einer europäischen Harmonisierung fehlt, bereitet die konkrete Transaktion zahlreiche Schwierigkeiten im Detail. Das fängt bei Fragen der Beurkundungsbedürftigkeit bestimmter Erklärungen an und geht bis hin zu dem Problem, dass bestimmte Dokumente zwingend in einer Sprache zu beurkunden sind. – Sehen Sie regionale Schwerpunkte für solche Transaktionen?Die neuen Möglichkeiten stehen grundsätzlich für den gesamten EU-Raum zur Verfügung. Es ist aber sicherlich mit einer Häufung von Verschmelzungen unter Beteiligung von Gesellschaften aus beliebten Holdingstandorten zu rechnen. Niederländische Gesellschaften, wie in unserem Fall, oder solche aus Luxemburg, wie sie der EuGH-Entscheidung zugrunde lagen, dürften also häufiger anzutreffen sein – vor allem dann, wenn die ursprüngliche, zumeist steuerlich bedingte Attraktivität dieser ausländischen Holding zwischenzeitlich weggefallen ist. Dr. Harald Gesell ist Partner im Kölner Büro von Linklaters. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.