RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: OLIVER ROTHLEY

Mehr Spielraum für Unternehmen beim Delisting

Bundesverfassungsgericht entscheidet zum Börsenrückzug

Mehr Spielraum für Unternehmen beim Delisting

– Herr Dr. Rothley, das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zum Delisting gefällt, was ist deren Kern?Nach der Auffassung des ersten Senats setzt die Eigentumsgarantie aus Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz weder einem Delisting noch einem sog. Downgrading in ein qualifiziertes Freiverkehrssegment Schranken. So berühre der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts, da die faktische von der rechtlichen Verkehrsfähigkeit strikt zu trennen ist.- Mit welchen Folgen?Die Anforderungen an ein Delisting, die der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Macrotron-Entscheidung 2002 aufgestellt hat, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf ein Downgrading bestätigte das Bundesverfassungsgericht die gängige Praxis, wonach ein Hauptversammlungsbeschluss und ein gerichtlich überprüfbares Pflichtangebot an die (Minderheits-)Aktionäre nicht erforderlich sind. Zwingend geboten sei dies aber auch bei einem vollständigen Delisting nicht.- Besteht damit Rechtssicherheit für Unternehmen, die ihre Börsennotierung einstellen wollen?Rechtssicherheit besteht zunächst darin: Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz sowohl einem vollständigen Delisting als auch einem Downgrading nicht im Wege steht. Die Karlsruher Richter überlassen die Bestimmung der jeweiligen Voraussetzungen aber ausdrücklich den Fachgerichten. Die rechtliche Sicherheit hängt damit maßgeblich von deren künftigen Entscheidungen ab. Dennoch wird ein Downgrading in ein qualifiziertes Freiverkehrssegment wohl deutlich rechtssicherer, da nicht davon auszugehen ist, dass sich ein Fachgericht über die Wertungen des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzt. Zurückhaltender sollten die Unternehmen jedoch bei einem vollständigen Rückzug vom regulierten Markt sein – und die Macrotron-Grundsätze weiter beachten.- Gibt es nun neuen Spielraum?Spielräume eröffnen sich vor allem bei einem vollständigen Rückzug vom regulierten Markt. Denn die Entscheidung hat letztlich bestätigt, dass sowohl für ein Downgrading als auch ein vollständiges Delisting aus verfassungsrechtlicher Hinsicht weder ein Hauptversammlungsbeschluss noch ein Abfindungsangebot notwendig sind. Dies könnte die Unternehmen dazu verleiten, ihren Börsenrückzug in zwei Schritten vorzunehmen: Zunächst ein Downgrading in ein qualifiziertes Freiverkehrssegment, bevor in einem zweiten Schritt der vollständige Börsenrückzug erfolgt. Rein formal betrachtet fiele dieser zweite Schritt nicht unter die Macrotron-Grundsätze. Es bliebe hier die spannende Frage, ob die Fachgerichte dies als eine Umgehung der BGH-Grundsätze ansehen.- Ist nun mit einer Entscheidung “Macrotron 2” zu rechnen?Der BGH wird über kurz oder lang nicht umhinkommen, seine Macrotron-Grundsätze an die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben und das geänderte Marktumfeld anzupassen. Eine Macrotron-2-Entscheidung ist damit nur eine Frage der Zeit. Hierbei wird sich der BGH vor allem mit den qualifizierten Freiverkehrssegmenten und deren zunehmender praktischer Bedeutung näher beschäftigen müssen. Und am Ende gilt es zu entscheiden, ob bei einem Downgrading – neben den bereits bestehenden kapitalmarktrechtlichen Schutzmechanismen – ein ergänzender gesellschaftsrechtlicher Schutz der Anleger wirklich noch zeitgemäß ist. Dass sich der BGH vollständig von seinen Macrotron-Grundsätzen verabschiedet, erscheint derzeit aber eher unwahrscheinlich. Die Freiheit, ein Delisting auch ohne Abfindungsangebot zuzulassen, hätte er aber aus verfassungsrechtlicher Sicht.- Sollte der Gesetzgeber aktiv werden?Es ist ein klarer Trend dahin zu erkennen, dass sich das Recht der börsennotierten Gesellschaft zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt, das zunehmend komplexer wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es aus legislativer Sicht nur konsequent, auch diesen Bereich gesetzlich zu regeln. Der Gesetzgeber könnte, indem er das Verfahren für einen Börsenrückzug liberalisiert, gleichzeitig die Attraktivität von Börsengängen steigern.—-Dr. Oliver Rothley ist Partner im Münchner Büro von Taylor Wessing. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.