RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: FRANK TSCHESCHE

Meilensteine der Umwandlungssteuer und die Steine des Anstoßes

Erlass kurz vor Veröffentlichung - Neue restriktive Rechtsmeinungen fragwürdig

Meilensteine der Umwandlungssteuer und die Steine des Anstoßes

– Herr Tschesche, die endgültige Fassung des Umwandlungssteuererlasses soll noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. Er wurde von Praktikern sehnsüchtig erwartet. Warum?Das Umwandlungssteuergesetz wurde zuletzt durch das sogenannte SEStEG 2006 grundlegend überarbeitet. Der Gesetzgeber erweiterte dabei vor allem den Anwendungsbereich des Umwandlungssteuergesetzes auf grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen innerhalb der EU. Bei der Frage, wie die komplexen neuen Vorschriften in der Praxis angewendet werden sollen, hat die Finanzverwaltung bisher die Unternehmen allerdings weitgehend allein gelassen. Erst im Mai dieses Jahres hat sie den ersten Entwurf eines Umwandlungssteuererlasses veröffentlicht. Umso mehr ist zu begrüßen, dass der Erlass nun endgültig inhaltlich abgestimmt wurde und – vorbehaltlich redaktioneller Änderungen – wohl noch in diesem Jahr veröffentlicht wird.- Welche für die Praxis positiven Regelungen enthält der Erlass?Mit dem Erlass wird endlich eine wichtige Orientierungsgrundlage bei der steuerlichen Planung von Unternehmensumstrukturierungen vorliegen. Allerdings enthält er gegenüber der bisherigen Rechtsauffassung der Finanzverwaltung leider überwiegend erhebliche Verschärfungen, die in den geänderten Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes keine gesetzliche Grundlage finden. Dies gilt insbesondere für die verschärften Anforderungen an rückwirkende Umstrukturierungsmaßnahmen. Grundsätzlich gilt auch der Erlass rückwirkend für alle nicht bestandskräftig veranlagten Fälle des SEStEG. Die Finanzverwaltung sieht deswegen zum Teil Übergangsregelungen vor, etwa für die europäisierte Auslegung des sogenannten Teilbetriebsbegriffs sowie für das Erfordernis, dass die Teilbetriebsvoraussetzungen bereits zum steuerlichen Übertragungsstichtag vorliegen müssen, damit die Umwandlung oder Einbringung rückwirkend und ertragsteuerneutral erfolgen kann.- Wo hat sich die Finanzverwaltung gegenüber dem ersten Entwurf vom Mai bewegt?Nach der Entwurfsfassung sollte die Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine Organgesellschaft nur auf Antrag der Beteiligten ertragsteuerneutral möglich sein. Von dieser gerade in Konzernverhältnissen tiefgreifenden Verschärfung rückt die Finanzverwaltung nun zumindest dann ab, wenn das dem Organträger zugerechnete Einkommen körperschaftsteuerpflichtig ist. Festgehalten hat die Finanzverwaltung allerdings an den einschränkenden neuen Anforderungen, soweit das dem Organträger zugerechnete Einkommen der Einkommensteuer unterliegt. Positiv ist weiterhin, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung aufgegeben hat, dass Mitunternehmeranteile einem anderen Teilbetrieb als wesentliche Betriebsgrundlage zuzuordnen sein können. Diese im Entwurf im Zusammenhang mit Spaltungen und Einbringungen vertretene Auffassung hatte erhebliche Unsicherheit ausgelöst, da sie die Steuerneutralität in vielen Fällen in Frage gestellt hätte.- Wo sehen Sie noch ungelöste Probleme für die Praxis?Auch nach dem endgültigen Erlass bestehen noch zahlreiche offene Fragen. Zum Teil sind es Altfragen, zum Teil sind wesentliche neue hinzugekommen. Da die Finanzverwaltung die Auslegung des Teilbetriebsbegriffs anhand der Fusionsrichtlinie vornimmt, wird hier auf absehbare Zeit Rechtsunsicherheit bestehen.- Worum geht es noch?Nicht zufriedenstellend gelöst sind verschiedene Wertungswidersprüche zwischen der steuerlich zulässigen Rückwirkung einerseits und der fehlenden zivil- und gesellschaftsrechtlichen Rückbeziehung andererseits. Hier verlangt die Finanzverwaltung neuerdings zusätzlich, dass ein Betrieb oder Teilbetrieb bereits zum zurückliegenden steuerlichen Übertragungsstichtag bestehen muss. Insoweit besteht ein praktisches Umwandlungshindernis. Dass der neue Erlass alle Anwendungs- und Rechtsfragen löst, konnte nicht erwartet werden. Dass die Finanzverwaltung in zentralen Fragen ohne gesetzliche Anordnung neue restriktive Rechtsmeinungen vertritt, ist fragwürdig, zumal diese der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Der neue Erlass ist deshalb ein Meilenstein und ein Stein des Anstoßes zugleich.—-Dr. Frank Tschesche ist Partner bei Dewey & LeBoeuf in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.