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"Milch ist das neue Öl"

Experten sehen hohe Wachstumsraten bei Agrarrohstoffen - Kanada als einer der größten Profiteure

"Milch ist das neue Öl"

Von Markus Gärtner, Vancouver Jahrelang plagten den Weizenbauern Gerrid Gust in der zentralkanadischen Provinz Saskatchewan Zweifel. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen, als er in der Farm der Familie einstieg? Seit August sind die Weizenpreise um 50 % gestiegen, und Gerrid Gust stellt sich die Frage jetzt nicht mehr. “Ich hatte meiner Frau versprochen, wenn Raps über 12 US-Dollar steigt, kaufen wir eine neue Küche. Jetzt zahlen wir sogar alte Schulden ab und sparen Geld, falls Nachbarn den Bauernhof verkaufen wollen”, sagt er.In Saskatchewan, das über 45 % der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in Kanada verfügt, haben eskalierende Preise für Agrarprodukte einen Boom ausgelöst, wie ihn die “Prärie-Provinzen” seit 30 Jahren nicht gesehen haben. In der Nachbarprovinz Manitoba, die ebenfalls von der Landwirtschaft geprägt wird, kaufen Bauern im Rekordtempo Agrargeräte auf. Obwohl die Preise sich verdoppelt haben, kommen Düngemittel-Händler mit den Bestellungen nicht mit. Im laufenden Jahr rechnen die Experten bei Agriculture and Agri-Food Canada mit 40 % höheren Getreidepreisen und – wegen steigender Materialkosten – 16 % höheren Einkommen. Der Canadian Wheat Board, führender Getreidevermarkter Kanadas, meldete Mitte Februar im Jahresbericht für 2007 einen Umsatzanstieg um 44 %.Die Spuren des Booms sind allerorten zu sehen: Traktoren sind fast überall ausverkauft, selbst auf alten Höfen sprießen Satellitenschüsseln, weil Bauern die neuesten Getreide-Notierungen über das Internet in Realtime abrufen wollen; einst verlassene Farmen werden in Windeseile wieder bewirtschaftet, die Landpreise haben sich seit 2006 verdoppelt. Auf der anderen Seite der nahen Landesgrenze, in den USA, sieht die Entwicklung ähnlich aus. Selbst im fernen Omaha, wo Warren Buffett einst seine Einkünfte als Zeitungsausträger nutzte, um spottbilliges Farmland zu kaufen und an Bauern zu leasen, sind seit 2003 die Preise um über die Hälfte geklettert.Kanada gehört zu den größten Profiteuren des weltweiten Landwirtschaftsbooms. Und der hat starke Antriebskräfte: Die Weltbevölkerung wächst um 80 Millionen Menschen im Jahr. Hinzu kommt: Die neue Mittelklasse in China und Indien sowie die rasant wachsende Ethanol-Industrie, die allein in den USA 2008 eine Fläche verschlingen wird, die der gesamten Landwirtschaft in Kanada entspricht, treiben unaufhörlich die Preise für Weizen, Mais, Sojabohnen und Gerste. “Die Welt kommt in eine Phase globaler Knappheiten für Nahrungsmittel”, sagt der Portfolio-Stratege Don Coxe bei der BMO Financial Group in Chicago voraus, “die größte Bedrohung ist jetzt eine globale Nahrungsmittelkrise, Milch ist das neue Öl”. Wenn es in diesem Jahr keinen großen Ernteausfall gibt, prognostiziert Coxe, “sehen die Bauern den größten Einkünften in der Landesgeschichte entgegen”. RIM abgehängtFür Anleger sind dies gute Nachrichten, sie können von diesem Boom profitieren. Dabei gibt es eine gute Auswahl zwischen Düngemittel-Herstellern, Geräteproduzenten, Nahrungsmittelfirmen und sogar ein paar Einzelhandelsketten. Beispiel Nummer eins, die Potash Corp. in Saskatoon, der größten Stadt Saskatchewans. Potash ist der weltweit größte Düngemittelproduzent, gemessen an der Produktionskapazität. Das operative Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) stieg 2007 um 68 % auf 1,9 Mrd. US-Dollar. Potash hat zwar seit Anfang 2006 um 355 % zugelegt, doch acht von elf Analysten, die das Unternehmen beobachten, geben eine Kaufempfehlung. Potash hat in den vergangenen zwölf Monaten an der Börse Toronto den größten Anteil eines einzelnen Unternehmens am Zuwachs des TSX-Index verbucht und damit Publikumsliebling Research in Motion (RIM) abgehängt.Auch die Agrium Inc., ein Düngemittel-Hersteller und Agrargeräte-Händler in Vancouver, empfiehlt sich. Der Kurs hat sich seit Juli fast verdoppelt und notiert am 52-Wochen-Hoch. Das Unternehmen verkauft viel ins boomende Asien und hat Anfang Februar bei der Vorlage seiner Quartalszahlen die Erwartungen der Analysten mit 1,24 Dollar je Aktie um 40 % übertroffen. Sechs von sieben Analysten, die das Unternehmen beobachten, empfehlen auch auf diesem Niveau zum Kauf.Interessant ist auch der Bagger-, Traktoren- und Mähdrescher-Händler Cervus LP, der zwölf John-Deere-Läden in Alberta, Saskatchewan und Manitoba betreibt. Der Kurs der Aktie hat sich seit August fast verdoppelt. Die Aktie ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, besonders das Segment für Baugeräte könnte leiden, wenn sich der US-Immobiliensektor weiter abschwächt. Gestützt wird die Aktie allerdings von blendenden Geschäften mit Maschinen für Energiefirmen in den boomenden Ölsanden Albertas. Die positiven Vorhersagen der meisten Analysten wurden vom Kurs in den vergangenen Wochen überholt. Kosten überwälztAuch den Nahrungsmittel-Hersteller Maple Leaf Foods Inc. empfehlen Analysten. Das Unternehmen ist zwar an Schweinefarmen beteiligt, die unter den hohen Futtermittelpreisen leiden, doch Maple Leaf besitzt 88 % des Brot-, Bagel- und Nudelherstellers Canada Bread, der die hohen Weizenpreise bislang auf seine Kunden überwälzen kann. Canada Bread hat seit Oktober um knapp 20 % zugelegt und stagniert seit Januar knapp unter dem 52-Wochen-Hoch von 73,84 kan. Dollar. Maple Leaf Foods hat seit Oktober fünf vergebliche Ausbruchsversuche aus der Zone um 13 kan. Dollar unternommen und ist derzeit eher für kurzfristig orientierte Trader interessant.