Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Rolf Rattunde

Mit Senator neues Modell für Sanierung in der Insolvenz erfolgreich

Modell für Anleger interessant - Verlagerung ins Ausland überflüssig

Mit Senator neues Modell für Sanierung in der Insolvenz erfolgreich

Herr Rattunde, der Berliner Filmkonzern Senator war einst erfolgreich am Neuen Markt. Doch 2004 musste Insolvenz angemeldet werden. Jüngst wurde Senator aus der Insolvenz entlassen. Ist der Medienwert wieder ein interessanter Börsentitel?In der Insolvenz konnten wir Senator sanieren. Heute ist das Unternehmen gestärkt und erwartet für 2006 sogar einen Gewinn. Während der Insolvenz haben wir zwar den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten, aber natürlich hat das Geschäft gelitten. Der Umsatz sank von 50 Mill. 2004 auf 19 Mill. Euro, die Mitarbeiterzahl von 140 auf 120. Aber wir konnten viele Filmprojekte anstoßen, die sich jetzt auszahlen. Mit “Merry Christmas” wurde sogar ein Film produziert, der für den Oscar nominiert wurde. Mit der Entlassung aus der Insolvenz wird Senator auch für Investoren wieder interessant. Denn bisher waren die Möglichkeiten des Vorstands begrenzt und ein Teil der Aktien nicht zum Handel zugelassen. – Üblicherweise wird in Deutschland ein insolventes Unternehmen zerschlagen oder an einen Investor verkauft. Sie haben dagegen frisches Geld am Kapitalmarkt besorgt. Damit haben wir in Deutschland Neuland betreten. Erstmals haben wir eine börsennotierte Gesellschaft in Insolvenz über eine Kapitalerhöhung mit der Ausgabe neuer Aktien saniert. Grundlage unseres Konzepts war ein Insolvenzplan, den die Gläubiger im September 2004 einstimmig angenommen haben. In Abstimmung mit dem Management haben wir darin unter anderem einen Kapitalschnitt vorgeschlagen. In zwei Hauptversammlungen wurde das Grundkapital von 34 Mill. zunächst auf 3,4 Mill. Euro herabgesetzt. Über die Ausgabe neuer Anteile gegen frisches Geld wurde es anschließend auf 13,8 Mill. und später noch durch eine Sacheinlage auf 19 Mill. Euro aufgestockt. Im Unterschied zu insolventen Aktiengesellschaften wie Walter Bau verschwand Senator nicht vom Kurszettel, und kein Aktionär wurde enteignet. Der Kapitalschnitt ist zwar schmerzlich für die Aktionäre. Aber sie bleiben Eigentümer und sind damit am Gewinn beteiligt. Die neuen Aktien fielen nie unter den Ausgabekurs und konnten sich im Wert sogar vervierfachen. – Senator war mit 190 Mill. Euro verschuldet. Wie viel Schulden hat das Unternehmen heute, und wie konnten Sie die Last vermindern?Bis auf einen Bankkredit von 5,5 Mill. Euro, der über vier Raten getilgt wird, ist Senator entschuldet. Erstmals in Deutschland konnten wir während der Insolvenz uneinbringbare Kredite in großem Stil verkaufen. Das Bankenkonsortium verkaufte sie an die Deutsche Bank London, die damit Gläubigerin wurde. Internationale Finanzinvestoren erwarben sie und verkauften sie zu höheren Preisen weiter. Nach britischem Vorbild wurden erstmals auch Forderungen in Anteile umgewandelt. Dieser Dept Equity Swap wurde bisher nur in angelsächsischen Ländern zur Sanierung insolventer Firmen eingesetzt. Die Entschuldung gelang durch den Einsatz mehrerer Instrumente und Methoden: die Kapitalmaßnahmen, der Verkauf von Vermögenswerten außerhalb des Kerngeschäfts und Verzichte bei Aktionären, Gläubigern und Mitarbeitern. – Insolvenzgefährdete Börsengesellschaften wie die ehemalige Deutsche Nickel sind nach England gegangen, da das deutsche Insolvenzrecht als zu schwierig galt, um Unternehmen zu sanieren. Dieser Tourismus in letzter Sekunde ist überflüssig. Das Beispiel Senator zeigt, dass insolvente Konzerne auch in Deutschland mit den bestehenden rechtlichen Möglichkeiten saniert werden können. Das ist zwar eine schwierige Operation, aber es funktioniert. Noch sind Insolvenzpläne zur Rettung von Unternehmen in Deutschland selten. Die meisten Verwalter und Insolvenzgerichte sind solche Pläne nicht gewohnt, die auch sehr fehleranfällig sein können und erhebliche Haftungsrisiken bergen. Das Insolvenzplanrecht hat Schwächen, trotzdem bietet es viele Chancen, um notierte Unternehmen jeder Größenordnung zu sanieren. – Kommen Sie als Insolvenzverwalter dabei nicht in Konflikt mit dem Aktienrecht? Die Corporate Governance sieht einen Insolvenzverwalter gar nicht vor.Deutschland hat funktionierende Sanierungsregelungen im Insolvenzrecht. Aber das Aktienrecht müsste dringend sanierungsfreundlicher gestaltet werden. Viele seiner Regelungen sind lästig, da ein Insolvenzverwalter ausschließlich dem Insolvenzrecht verpflichtet ist. Ein Verwalter wird gleichsam als Betriebsfremder behandelt, der das Unternehmen führt und damit das Testat der Bilanz erschwert. Hier hinkt das Recht der Realität hinterher. Ein Insolvenzverwalter ist beispielsweise nicht verpflichtet, Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen oder eine HV einzuberufen. Mit der Entlassung aus der Insolvenz sind diese Probleme bei Senator gelöst. Rolf Rattunde war Insolvenzverwalter der Senator Entertainment AG. Der Partner der Berliner Kanzlei Leonhardt & Partner ist Rechtsanwalt, Notar sowie Fachanwalt für Steuerrecht und Insolvenzrecht.Die Fragen stellte Walther Becker.