Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Rudolf Haas

Mit Verbot von Leerverkäufen soll Abwärtsspirale gestoppt werden

BaFin nutzt für ungewöhnlichen Eingriff zur Prävention Generalklausel - In Deutschland bisher kaum Beschwerden über Missbräuche

Mit Verbot von Leerverkäufen soll Abwärtsspirale gestoppt werden

Herr Haas, nach den Aufsichtsbehörden in den USA und in Großbritannien hat jetzt auch die BaFin ein Verbot von Leerverkäufen beziehungsweise sogenannten Short Sales erlassen. Warum bedarf es zur Unterbindung dieser Praxis einer besonderen behördlichen Anordnung?Das Konzept des Leerverkaufs ist ja nicht fremd. Wenn wir einen Kredit aufnehmen, haben wir auch vor, Geld auszugeben, das uns nicht gehört. Wir denken aber, dass wir dieses Geld zum vereinbarten Rückzahlungszeitpunkt haben werden, und wenn der Kreditgeber Zweifel daran hat, kann er Sicherheiten verlangen. Auch die Tatsache, dass Leerverkäufe eine Wette auf fallende Kurse darstellen, ist bei näherem Hinsehen nicht so bedenklich: Viele Short-Positionen werden von Investoren gehalten, die auch Long-Positionen haben und das Risiko daraus in einem unsicheren Marktumfeld absichern wollen. Anrüchig wird die Sache erst, wenn der Leerverkäufer etwa auf unzulässige Weise Einfluss darauf nimmt, dass seine Wette aufgeht, zum Beispiel indem er Gerüchte über die Emittentin streut, damit der Kurs fällt. – Muss man aus dem Handeln der Aufsichtsbehörden schließen, dass es zuletzt vermehrt derartige Missbräuche von Leerverkäufern gegeben hat, oder haben die Anordnungen auch eine andere Stoßrichtung?In den USA gab es tatsächlich Beschwerden vieler Emittenten, dass der Kurs ihrer Aktien dadurch unter Druck gerate, dass in großem Stile Leerverkäufe getätigt würden und gleichzeitig Gerüchte gestreut würden. Erwiesen ist das nicht, aber derartiges Verhalten wäre auch unendlich schwer zu beweisen. Hier in Deutschland habe ich solche Behauptungen noch nicht gehört. Nach der Begründung der BaFin ist die Stoßrichtung daher eine allgemeinere: Verkäufe bringen Kurse unter Druck. Die Möglichkeit von Leerverkäufen erhöht das verfügbare Volumen an zum Verkauf stehenden Wertpapieren. – Wieso ist das bedenklich?Normalerweise ist es das nicht, weil es einen späteren Zeitpunkt geben wird, an dem durch den Deckungskauf zusätzliche Käufer im Markt sind, neben den ,normalen’ Investoren, die sich neu in dem Wertpapier engagieren wollen. Dann muss der Short Seller ja kaufen, ob er an das Papier glaubt oder nicht, was den Kurs wieder stützt. Grundsätzlich sollten sich diese Kräfte im Markt also ausgleichen. – Aber im Moment ist die Lage eine andere?Ja, aufgrund der Verunsicherung vieler Anleger ist zu befürchten, dass steigende Verkäufe andere Aktionäre zum Verkauf veranlassen und damit eine Kettenreaktion in Gang setzen. Ich denke, dass das Einschreiten der Aufsichtsbehörden eher auf der Befürchtung beruht, dass im derzeitigen Umfeld Leerverkäufe eine Aktie in eine Abwärtsspirale schicken können, aus der sie nicht wieder herauskommt. – Ist das Einschreiten der BaFin sehr ungewöhnlich?Die Maßnahme ist sicherlich ungewöhnlich. Sogenannte Allgemeinverfügungen erlässt die BaFin nicht alle Tage. Normalerweise verfolgt sie eher Verfehlungen in Einzelfällen. In dem Beispiel des Leerverkäufers, der im Anschluss an den Verkauf Gerüchte streut, um den Kurs zu drücken, wäre es verzugswürdig, gegen den Täter wegen Kursmanipulation vorzugehen, ohne die Handlungsfreiheit derer einzuschränken, die aus legitimen Interessen Short-Positionen aufbauen. Noch ungewöhnlicher als die Maßnahme ist die Rechtsgrundlage, aufgrund derer die Behörde hier vorgegangen ist: das WpHG enthält viele spezielle Ge- und Verbote, deren Durchsetzung in die Zuständigkeit der BaFin fällt, von denen aber keines die vorliegende Situation hätte lösen können. – Wieso?Der § 4 Abs. 1 WpHG ist die Generalklausel, der im allgemeinen Polizeirecht die Befugnis zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung entspricht. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem die BaFin von dieser allgemeinen Befugnis Gebrauch gemacht hätte. – Ist der deutsche Markt tatsächlich genauso gefährdet wie der amerikanische, durch missbräuchliche Leerverkäufe verzerrt zu werden, oder ist die Anordnung der BaFin eine Überreaktion?Es gibt einige Rahmenbedingungen, die den deutschen Markt etwas weniger anfällig für Short Sales machen. Insbesondere gelten in Deutschland etwas kürzere Fristen zur Belieferung von Börsengeschäften, und Leerverkäufer müssen sich schneller eindecken, wenn sie das nicht schon vor Abschluss des Leerverkaufs getan haben, was sie nach der BaFin-Anordnung nun müssen. – Bislang hat man aber von deutschen Emittenten auch wenig Klagen über Leerverkäufe gehört, oder?Ja, das ist so. Doch andererseits geht es bei einer derartigen Anordnung ja um Prävention, und es hilft daher nicht, mit einer solchen Maßnahme zu warten, bis auch die deutschen Finanztitel unter verstärkten Druck von Short Sellers geraten. – Professionelle Investoren sind mobil genug, jeden Kapitalmarkt auf der Welt anzusteuern . . .Das steht ebenso außer Frage wie die Tatsache, dass Leerverkäufe auch am deutschen Markt regelmäßig getätigt werden. Insofern ist es verständlich, dass die BaFin hier die Initiative ergriffen hat. Allerdings werden, wie erwähnt, auch ganz legitime Investmentstrategien mit der Anordnung unterbunden. Ich könnte mir vorstellen, dass die BaFin ihre Anordnung in den nächsten Wochen noch etwas nachjustiert, um den Eingriff in das Marktgeschehen so gering wie möglich zu halten. Das hat sie am Sonntag ja bereits getan und bestimmte Geschäfte ausdrücklich zugelassen. – Wenn die Maßnahme so eine generelle Zielrichtung hat, warum beschränkt sich das Verbot dann auf elf Werte?Rechtlich muss die BaFin den geringstmöglichen Eingriff vornehmen, der den Präventionszweck erfüllen kann, sie muss sich also auch bei jedem der Werte, die sie auf die Liste setzt, die Frage stellen, ob dieser Schutz tatsächlich erforderlich ist. Für Banken und Versicherungen ist wegen ihres ständigen Refinanzierungsbedarfs der Börsenkurs von noch größerer Bedeutung als für andere Emittenten. Gleichzeitig sind die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft bei einem Scheitern eines dieser Unternehmen deutlich größer als etwa bei Industrieunternehmen. Daher rührt das staatliche Interesse, diese Branchen in der derzeitigen Situation besonders zu schützen. – Die elf Emittenten sind allesamt aus Dax und MDax. Ja, und zwei Gründe sprechen auch dafür, die Anordnung auf diese Gesellschaften zu beschränken: Zum einen sind es Unternehmen von solcher Größe, dass der Markt ihren Ausfall nicht ohne Weiteres auffangen könnte. Bei kleineren Banken ist das nicht im gleichen Maße der Fall. Viele Krisen bei kleineren Banken hat die Branche, koordiniert durch den Bundesverband deutscher Banken, selbst gelöst. Hier musste der Staat also nicht eingreifen. Zum anderen ist bei kleineren Werten die Liquidität im Börsenhandel deutlich geringer. Das reduziert auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Investor eine Short-Position eingeht, denn das Risiko, dass zum Zeitpunkt des Deckungskaufs der Markt leer ist – der sogenannte Short Squeeze – ist bei Nebenwerten sehr real und macht den Leerverkauf wesentlich riskanter als bei großen Werten. Rudolf Haas ist Anwalt bei Latham & Watkins.Die Fragen stellte Walther Becker.